Hamas-Angriff auf Israel: Europas Linke streiten über Nahost
Es gibt nicht die eine linke Perspektive auf den Nahost-Konflikt. Was es aber immer gibt, ist Streit.
Für viele Beobachter war es ein Symbol für die Regierungsfähigkeit der Partei. Doch dann zerbröckelte die Einheit kurz vor Ende des Parteitags wieder. Auslöser war ein Interview Starmers beim britischen Radiosender LBC. Israel sei berechtigt, den Menschen in Gaza das Wasser und den Strom abzudrehen, solange dies mit internationalem Recht in Einklang stünde, sagte er dort.
Das Netzwerk muslimischer Labourpolitiker:innen brauchte für seinen Protest nicht lange. Starmer habe mit seiner Aussage die „kollektive Bestrafung“ der Menschen in Gaza befürwortet. Es folgten erste Parteiaustritte unter muslimischen Labour-Mitgliedern.
Ein offener Brief an Starmer, der von vielen muslimischen Labouranhänger:innen unterschrieben wurde, verurteilt den Angriff auf israelische Zivilisten, jedoch ohne ihn in den Zusammenhang mit Hamas zu bringen. Dort heißt es: „Ihre durchgehende Verteidigung der Maßnahmen Israels, oft mit wenig Beachtung der humanitären Notsituation der Palästinenser:innen, hat vielen Mitglieder der muslimischen Gemeinschaft das Gefühl gegeben, nicht gehört und repräsentiert zu werden.“
Der Brief verurteilt Labours Position, dass nur die Hamas für das Nichterreichen von Frieden in der Region verantwortlich sei, und weist auf Berichte internationaler Organisationen über „Israels diskriminierende Praktiken, Siedlungsbau und Bewegungseinschränkungen“ hin. Starmer müsse den palästinensischen Kampf und die Gründe des Konflikts anerkennen. Sollte er dies nicht tun, sei seine Stellung als Labourchef für Muslime unvertretbar.
Mitglieder aus dem Schattenkabinett, darunter auch Starmer selbst, stellten daraufhin klar, dass man über das Wohl der Zivilbevölkerung Gaza sehr wohl besorgt sei und dass Israel im Rahmen des internationalen Rechts handeln müsse. Doch ein Bericht der britischen Financial Times über eine Mahnung von David Evans, Labour-Generalsekretär, an Genoss:innen in kommunalpolitischen Führungspositionen, sich von propalästinensischen Demonstrationen fernzuhalten, goss erneut Öl ins Feuer.
Am Mittwoch verteidigte Starmer Israels Recht zur Selbstverteidigung im Unterhaus, unterstrich jedoch, dass Hamas nicht mit der palästinensischen Bevölkerung gleichzusetzen sei. Alle Seiten des Konflikts müssten sich dem internationalen Recht beugen und die Sicherheit der Zivilbevölkerungen gewährleisten. Unter den Trauernden der vergangenen Wochen seien Israelis, Palästinenser:innen, Muslim:innen und Jüdinnen und Juden, so Starmer. Daniel Zylbersztajn-Lewandowski, London
Letzter Sargnargel für Frankreichs Nupes-Bündnis
Ist die Hamas eine terroristische Organisation oder nicht? Tatsächlich ist das eine Frage, an der das linke Bündnis Nupes in Frankreich, die Neue Ökologische und Soziale Volksunion, aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und der linkspopulistischen Bewegung La France insoumise (LFI) gerade zerbricht.
Kurz nach dem Überfall der Hamas auf Israel hatte die LFI-Fraktion in der Nationalversammlung in einem Kommuniqué die Gewalt beider Nahostkonfliktparteien gleichermaßen verurteilt und erklärt: „Die palästinensische militärische Offensive der Hamas erfolgt im Kontext einer verstärkten israelischen Politik der Besetzung in Gaza, im Westjordan und in Jerusalem.“ Am Dienstag schlug die Abgeordnete Danièle Obono in dieselbe Kerbe: Für sie sei die Hamas eine „Widerstandsbewegung“. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin will Obono nun wegen der „Rechtfertigung von Terror“ anklagen.
Auch die Führung von LFI, in der Jean-Luc Mélenchon als Ex-Präsidentschaftskandidat der Linken immer noch den Ton angibt, möchte sich der Verurteilung der Hamas nicht anschließen. Stattdessen versucht man sich mit einer differenzierenden Definition aus der Klemme zu helfen: „Es handelt sich (bei der Hamas) um eine politische islamistische Gruppe mit einem militärischen Ableger, die zu den palästinensischen politischen Organisationen gehört und die sich zum Ziel gesetzt hat, gegen die Besetzung zu kämpfen und Palästina zu befreien.“
Das ist eine Spitzfindigkeit, mit der sich LFI in der politischen Landschaft Frankreichs isoliert hat – auch innerhalb der Nupes. So bewerten die anderen Parteien die LFI-Stellungnahme sowohl als strategischen wie moralischen Fehler, der die gesamte Linke belasten würde.
Die Kommunistische Partei hat sich bereits explizit aus diesem Bündnis verabschiedet, die Sozialisten erwägen es, die Grünen ebenso. In den politischen Kommentaren der französischen Medien wird die Nupes bereits für tot erklärt.
Auch innerhalb von LFI sind nicht alle auf der von Mélenchon diktierten Linie: Sein wichtigster Rivale, François Ruffin, der bei der letzten Umgruppierung aus der Parteileitung entfernt wurde, kritisierte öffentlich die Stellungnahme. Er fordert die französische Linke dazu auf, die „terroristischen Verbrechen der Hamas“ mit eindeutigen Worten zu verurteilen.
Der Streit über die Einschätzung der Hamas könnte damit der Sargnagel für das linke Bündnis in Frankreich sein. Schon vorher gab es Spannungen wegen des Umgangs mit den Protesten gegen die Rentenreform. Auch eine gemeinsame Haltung zur Atomenergie gab es nicht.
Möglicherweise spielen auch wahlpolitische Interessen eine Rolle. Kommunisten, Grüne und Sozialisten wollen bei den Europawahlen im nächsten Jahr nicht eine gemeinsame Nupes-Liste, sondern separat eigene Kandidat*innen aufstellen, während La France insoumise auf einer Einheitsliste besteht. Doch außer einigen Sympathisanten an der Basis der betroffenen Parteien glaubt daran niemand mehr. Rudolf Balmer, Paris
Spaniens Sozialministerin verurteilt Israel
Der Nahostkonflikt wird immer mehr zum Problem der alten und wohl auch kommenden spanischen Regierungskoalition aus der sozialistischen PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez und dem linksalternativen Bündnis Sumar. Mitten in den Verhandlungen für eine Neuauflage der Minderheitsregierung machen namhafte Sumar-PolitikerInnen durch alles andere als ausgewogene Aussagen zum Thema auf sich aufmerksam. Sie sorgen damit nicht nur für Missstimmung innerhalb des Regierungslagers, sondern auch für einen diplomatischen Konflikt mit Israel.
Vor allem Ione Belarra, Spaniens bisherige Sozialministerin und Generalsekretärin der in Sumar aufgegangenen Podemos sorgt für Aufregung. Sie forderte angesichts des „Willens zur Vernichtung des palästinensischen Volkes“ nicht nur die Einstellung von Waffenverkäufen an Tel Aviv, sondern auch die „Einstellung der diplomatischen Beziehungen“.
Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu möchte sie vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Völkermord angeklagt sehen. Wer dem nicht folge, „mache sich mitverantwortlich“, griff sie Sánchez an. Spaniens Ministerpräsident vertritt eine abwägende Position, indem er sowohl den Terror der Hamas als auch die Antwort Israels kritisierte.
Es ist genau das Wort „Terror“, das Belarra, die als einzige Ministerin an propalästinensischen Demonstrationen in Madrid teilnahm, und anderen Sumar-PolitikerInnen nur in Zusammenhang mit den Kriegshandlungen der israelischen Armee über die Lippen kommt. Ihr Fraktionskollege Enrique Santiago, ehemaliger Staatssekretär und Chef der Kommunistischen Partei, erklärte nur zwei Tage nach dem Angriff der Hamas, dass dieser die logische Folge der „zionistischen Apartheidpolitik“ sei.
Auch er weigerte sich, das Wort Terrorismus auf die Hamas anzuwenden. „Wir wissen ganz einfach nicht, was eine Terrorgruppe ist. Jeder definiert das so, wie er will. Und bisher entspricht die Aufnahme von Organisationen in die Terroristenlisten den politischen Kriterien der Staaten“, erklärte der Kommunist, der sich in den sozialen Netzwerken auch als Menschenrechtsanwalt bezeichnet.
Bei dem Aufruf zu den Demonstrationen, an denen auch Santiago teilnahm, waren sie freilich weniger zurückhaltend. „Dringlichkeitskundgebung gegen den israelischen Terror“ stand auf den Plakaten.
Die Reaktion aus Israel ließ nicht lange auf sich warten. Die Botschaft in Madrid verurteilte die „Äußerungen einiger Mitglieder der spanischen Regierung auf das Schärfste“. Diese seien „unmoralisch“. Spaniens Außenminister José Manuel Albares bezeichnete das Schreiben als eine „nicht freundschaftliche Geste“. In jeder Regierung gebe es unterschiedliche Meinungen, versuchte er gegenüber der Presse zu beschwichtigen. Das Letzte, was Sánchez und die Sozialisten während der Regierungsbildung brauchen können, ist ein offener Koalitionsstreit. Reiner Wandler, Madrid
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