piwik no script img

Pakistans Kurswechsel gegen FlüchtlingeAfghanen als Sündenböcke

Pakistans Regierung macht Afghanen für Terroranschläge verantwortlich. Sie will alle Flüchtlinge ohne Aufenthaltspapiere aus dem Land werfen.

Afghanische Mädchen im Gespräch nach einer Schulstunde in Peshawar Foto: Fayaz Aziz/reuters

Islamabad taz | „Verlassen Sie Pakistan bis zum 1. November oder bereiten Sie sich auf Ihre Abschiebung nach Afghanistan vor“, erklärte Interimsinnenminister Sarfaraz Bugti kürzlich in Islamabad den Migranten aus dem Nachbarland. Damit stellte er über 1,7 Millionen „illegalen“ afghanischen Flüchtlingen in Pakistan ein Ultimatum, das der pakistanische Sicherheitsrat am 3. Oktober beschlossen hatte.

Laut Bugti basiere die Entscheidung auf den Ermittlungen zu den jüngsten Terroranschlägen in Pakistan: „14 der beteiligten 24 Selbstmordattentäter waren afghanische Staatsbürger, auch 8 der 11 Angreifer zweier Militär­einrichtungen in Pakistans Südwestprovinz Baluchistan waren Afghanen.“

Pakistan nahm seit der sowjetischen Invasion in Kabul im Jahr 1979 weltweit die meisten afghanischen Flüchtlinge auf. Offiziell leben derzeit 4,4 Millionen Afghanen in Pakistan, davon 1,73 Millionen ohne Aufenthaltsberechtigung.

Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban im August 2021 flohen 600.000 Afghanen nach Pakistan. Das UN-Flüchtlingshilfswerk ­UNHCR hat in Pakistan 1,3 Millionen afghanische Flüchtlinge registriert und weitere 880.000 mit einem anderen legalen Aufenthaltsstatus.

Visaverlängerung für viele unerschwinglich

Laut dem afghanischen Journalisten Ehsan Mahjoor in Islamabad können viele Afghanen in Pakistan ihr Visum schon aus finanziellen Gründen nicht verlängern: „Eine Verlängerung um bis zu 180 Tage kostet 80 Euro, hinzu kommen Bußgelder für die Überschreitung der Aufenthaltsdauer. Eine fünf- bis achtköpfige Familie kann sich das kaum leisten.“

Nachbeben erschüttert Nordwesten von Afghanistan

Neues Beben Nach der verheerenden Erdbebenserie in Afghanistan geht die Suche nach Überlebenden weiter - die Hoffnung schwindet jedoch stündlich. Zugleich schreckte die Menschen ein weiteres Beben in der Provinz Herat nahe der Grenze zum Iran auf. Nach Angaben der US-Erdbebenwarte USGS hatte es eine Stärke von 4,9.

Sorge um Frauen Die Hilfsorganisation Care sorgte sich unterdessen um Frauen und Mädchen in den betroffenen Regionen. „Ihre Freiheit war bereits vorher erheblich eingeschränkt und sie haben daher nur einen erschwerten Zugang zu wichtigen lebensrettenden Diensten“, sagte Reshma Azmi, Vizechefin von Care Afghanistan.

Opferzahlen Der Katastrophenschutz NDMA gab die Zahl der Toten und Verletzten am Sonntag mit insgesamt mehr als 2400 an, das UN-Nothilfebüro OCHA sprach von mehr als 1.000 Toten. Laut NDMA sei die Lage noch unübersichtlich, die Opferzahlen könnten noch steigen. 20 Dörfer und rund 2000 Häuser seien völlig zerstört. (dpa)

Beobachter gehen ohnehin davon aus, dass Bugtis Ankündigung allein auf Afghanen zielt, da es sonst kaum andere Migranten im Land gibt. In den sozialen Medien wird schon behauptet, Pakistans harter Kurs beschränke sich nicht nur auf „illegale“ Einwanderer, sondern auch auf jene, die schon Jahrzehnte in Pakistan leben. Denn Bugti drohte auch mit der Konfiszierung von Eigentum und Unternehmen.

Pakistans prominenter islamistischer Parteichef Molana Fazal-ur Rehman, paschtunische Nationalisten und Menschenrechtsaktivisten werfen der Regierung vor, bei der Terrorbekämpfung zu versagen und deshalb die Aufmerksamkeit auf afghanische Migranten lenken.

Der 45-jährige afghanische Geschäftsmann Ayub Khan, dessen Familie vor Jahrzehnten nach Pakistan zog, fühlt sich bedroht: „Ich wurde in Pakistan geboren; mein Geschäft, mein Haus und mein Eigentum sind hier. Ich war noch nie in Afghanistan. Jetzt werde ich gezwungen, nach Afghanistan zu ziehen, wo ich nicht weiß, wie ich überleben soll. Ich hatte schon die pakistanische Staatsbürgerschaft, die mir aber 2016 nach einer Razzia gegen Afghanen wieder entzogen wurde. Ohne legale Papiere kann ich jetzt nicht einmal mein Eigentum verkaufen.“

Bildungschancen für Mädchen und Frauen bedroht

Von der Abschiebung werden auch zehntausende afghanische Mädchen betroffen sein, die derzeit an pakistanischen Schulen und Hochschulen lernen. Die Familie der 19-jährigen Afghanin Ayesha floh nach Pakistan, nachdem Afghanistans Taliban Mädchen Bildung verboten hatten. Ayesha wollte ihren Universitätsabschluss in Pakistan machen und sich dann für einen höheren Abschluss im Ausland bewerben.

Afghanische Familien warten am 6. Oktober in Karatschi auf die Busfahrt nach Afghanistan Foto: Fareed Khan/ap

Jetzt fühlt sie sich ihrer Träume beraubt: „Wir sind unschuldig und keine Terroristen. Pakistan hat jahrzehntelang die afghanischen Taliban beherbergt. Jetzt unschuldige Zivilisten zu zwingen, nach Afghanistan zurückzukehren und unter dem brutalen Taliban-Regime zu leben, ist ungerecht“.

Der Taliban-Sprecher Zabiullah Mujahid in Kabul bezeichnete auf X Pakistans Verhalten gegenüber afghanischen Flüchtlingen als „inakzeptabel“. Die afghanische Taliban-Botschaft in Islamabad protestierte in sozialen Medien schon gegen die Festnahme von über 1.000 Afghanen durch die Polizei und sprach von „Schikane“.

Experten warnen davor, dass Islamabads Vorgehen die bilateralen Beziehungen zwischen den Nachbarn weiter verschlechtern könne. Die leiden bereits unter Islamabads Vorwurf, dass die pakistanischen Taliban (TTP) afghanisches Territorium für ihre Terroranschläge in Pakistan nutzten.

Die UNO und Menschenrechtsorganisationen warnen vor der Abschiebung von Afghanen, die nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul nach Pakistan geflohen sind. So erklärte Amnesty International: „Die Afghanen in Pakistan sind auf der Flucht vor den Taliban. Sie leben in sehr prekären Verhältnissen, da sie entweder mühsame Verfahren zur Registrierung als Flüchtlinge durchlaufen müssen oder in langwierigen Prozessen feststecken, während sie darauf warten, in ein anderes Land umgesiedelt zu werden. Eine erzwungene Rückkehr nach Afghanistan könnte sie in große Gefahr bringen“.

Aus dem Englischen Sven Hansen

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Den Wohnungs, Büro und Geschäftsbesitzern wurden schon Briefe zugeschickt, illegalen Afghan: innen zu kündigen. Es werden beiden Seiten drakonische Strafen angedroht. Briefe dazu liegen mir vor.



    Das Problem auch, auf deutsche Visum wartende, bekommen keine Visaverlängerung der Pakistani mehr. Somit rutschen diese in die Illegalität. Wartezeit bei der deutschen Botschaft auf den Termin, mind. ein Jahr, gerne auch zwei, danach nochmals 6 Monate bis zu einem Jahr, um endlich ausreisen zu dürfen. Viele in Pakistan gestrandete sind Frauen, deren Männer in Deutschland sind und deren Kinder. Und viele stehen auf der Todesliste der Taliban. Es ist ein Skandal, was die deutsche Regierung sich da leistet!!

  • Wieder einmal sieht man, wie gastfreundlich islamische Länder sind! Und wie viel besser afghanische Flüchtlinge in Pakistan behandelt werden, als in Deutschland. Einmal mehr sind es die PoC, die unter der patriarchalischen, imperialistischen und kolonialistischen Knute des alten weißen Mannes leiden müssen!

  • Unpopular opinion: Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn die Amis in Afghanistan geblieben wären.

    • @__tester:

      Gut wäre auch gewesen, wenn Afghanistan nicht zum Spielball des europäischen Imperialismus geworden wäre, und später zu einem der Schauplätze des kalten Krieges. Gut wäre gewesen, wenn die CIA nicht islamistische Gotteskrieger zu Kämpfern gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan ausgebildet hätte. Diese ganze Region hat sich über lange Zeit nicht frei entwickeln können, und zum Teil fällt uns dies jetzt vor die Füße.