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EU-Gipfel in GranadaÖffnen und abschotten

Bei einem Treffen in Spanien diskutieren die EU-Chefs über das Ende des Einstimmigkeitsprinzips. Ungarn und Polen blockieren die Erklärung zur Migration.

Regierungschefs von Kroatien, Ungarn, Dänemark, Tschechien und Griechenland mit Von der Leyen Foto: Juan Medina/reuters

Granada taz | Die Europäische Union will sich öffnen und abschotten zugleich. Der Club der 27 bereitet sich auf den Beitritt neuer Länder vor, um endgültig zum wichtigen geostrategischen Block zu werden. Gleichzeitig will die EU die Grenzen für Menschen schließen, die bei jenen geopolitischen Auseinandersetzungen unter die Räder kommen. So diskutierten es die Staats- oder Regierungschefs am Freitag bei einem EU-Gipfel in Südspanien. Beschlüsse wurden keine gefasst, es handelte sich um einen informellen Gipfel. Polen und Ungarn haben eine geplante Erklärung zur Migrationspolitik blockiert.

Die EU erstrebe eine „geostrategische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand für die Bürger Europas“, hieß es. „Wir müssen uns vorbereiten“, erklärte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, und fordert die 27 auf, eine „strategische Agenda“ auszuarbeiten. Nur so könne sich die EU ab 2030 in Richtung Balkan, Türkei, Moldau, eventuell Georgien und vor allem Ukrai­ne ausdehnen. „Erweiterung bedeutet, dass die Kandidatenländer die Reformen vornehmen müssen, wissen, was sie tun sollen“, sagte er.

Das bedarf, neben einer Neugestaltung des EU-Haushaltes und Strukturhilfefonds, vor allem interner Reformen bei der EU selbst. „Wir müssen dann auch mit qualifizierten Mehrheiten Entscheidungen treffen können, damit die Handlungsfähigkeit der EU gewährleistet ist“, verlangte Bundeskanzler Olaf Scholz. Er und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen, mit Blick auf eine Union von über 30 Mitgliedern, das bisherige Einstimmigkeitsprinzip aufheben. Vor allem bei der Außen- und Sicherheitspolitik. Kleinere EU-Mitglieder fürchten um ihren Einfluss.

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Zu heftigen Diskussionen kam es bei der Frage, wer Flüchtlinge aufnimmt. Polen und Ungarn wollen von einer Solidaritätspflicht mit den Ankunftsländern am Mittelmeer, wie Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sie fordert, nichts wissen. Schon gar nicht von Ausgleichszahlungen bei Nichterfüllung. Beide Länder würden „rechtlich vergewaltigt“, wetterte Ungarns Premier Viktor Orbán. „Wir werden zu etwas gezwungen, das wir nicht wollen“, fügte er hinzu. Ungarn und Polen wollen, dass Aspekte der Migrationspolitik nur einstimmig beschlossen werden können. Die restlichen EU-Mitglieder sehen das anders. Der Streit wird wohl die nächsten Monate bestimmen.

Es soll schwerer werden, in die EU zu gelangen

Unstrittig war das neue Asylsystem als solches, auf das sich die 27 bereits in den Tagen vor dem Gipfel geeinigt hatten. Es soll schwieriger werden, in die Europäische Union zu gelangen. Wer es dennoch schafft, muss, je nachdem wie Brüssel die Sicherheit im Herkunftsland einstuft, mit haftähnlichen Aufnahmebedingungen rechnen. Asylanträge sollen binnen zwölf Wochen geprüft werden. Wer durchfällt, wird umgehend abgeschoben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte weitere Abkommen mit Transit- und Herkunftsländern an, um Migranten aufzuhalten. Außerdem soll das Mittelmeer stärker überwacht werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte in Granada, er überlege, ob er dazu die Kapazitäten der laufenden Militäroperation „Irini“ nutzen könne. Deren Hauptauftrag ist es eigentlich, ein Waffenembargo gegen Libyen zu überwachen.

Zum neuen Streitpunkt wird wohl die Solidarität mit der Ukraine. Am Donnerstag hatte die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) getagt – die Vertreter der 27 EU-Mitglieder plus weiterer 20 europäischer und angrenzender asiatischer Länder. In diesem Rahmen hatten Borrell und von der Leyen weitere Hilfen für Kyjiw versprochen. Die Rede war von 50 Milliarden Euro für zivile Zwecke und 20 Milliarden für Militärhilfe. Auch hier scherte Ungarn aus. Regierungschef Orbán drohte mit ebenjenem Vetorecht, das Berlin und Paris gerne abschaffen würden.

Ungarn ist nicht das einzige Land, das bei der Ukraine-­Solidarität abweicht. Während Deutschland und Spanien am Donnerstag dem eigens angereisten ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski neue Luft­abwehrsysteme für den kommenden Winter zusicherten, hat Polen bereits Ende September angekündigt, die Militärhilfe an Kyjiw herunterzu­fahren. Die Slowakei könnte bald folgen. Dort gewann mit Robert Fico ein eher Russland zugewandter Politiker die Wahlen.

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9 Kommentare

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  • Im besten Fall werden wir einstmals diese und weitere Treffen als Treffen der Täter:innen sehen, die zum massenhaften Tod von Menschen führten, zum Ertrinken im Mittelmeer, zum Verdurste in Wüsten.

    Dieser beste Fall könnte nur eintreten, wenn trotz Klimakatastrophe (leider muss man "trotz" sagen), trotz Elend und Tod doch noch eine Zivilgesellschaft entstehen würde, die Widerstand gegen diesen Weg leistet.

    Im Rückblick würden in diesem Fall diejenigen, die heute die Verantwortung trugen, mit hart beurteilt werden.

    Schon jetzt ist absehbar:

    Demnächst wird Deutschland sich auch die minimalen Zahlungen für Seenotrettung ersparen. Vermutlich wird es am Ende immer weniger berichtet und auffallen, wenn wieder und wieder, ggf. durch Griechenland u.a. zuvor aufs offene Meer geschleppte Schiffe mit ihren Insassen versinken. Oder es wird eben zur akzeptierten Normalität.

    Die meisten Leichen kommen nicht an den Stränden an, die Belästigung der Badenden wird sich also in Grenzen halten.

    Auch die Grünen werden damit gut leben können, diesen Eindruck geben sie jedenfalls. Sie werden es sich hoch ankreiden, wenn die, die wir am Leben lassen, für uns arbeiten dürfen. Nur gleicht dies den Tod der anderen nicht aus. Womöglich gibt es aber auch bald Zwangsarbeit.

    Schlimm, in welche Richtung wir steuern und sehr schlimm, dass dies bereits die neue Normalität ist. Erinnern wir uns an die Leiche des kleinen Kindes vor einigen Jahren, da musste Merkel noch die Seenotrettung reaktivieren.

    Hunderte Leichen heute würden diese Auswirkung nicht mehr haben. Die Regierenden und die Gesellschaft als Ganzes, auch die Mehrheit der Bevölkerung, sind brutalisiert.

    Es gab vor einiger Zeit die Frage, wie es sein könne, dass die Russen die Putin Brutalität mehrheitlich mittrügen, sich nicht empörten?

    Die Antwort finden wir bei uns selbst.

    Hoffen wir auf den besten Fall, dass eines Tages in einer besseren Zukunft die Verantwortlichen und wir alle diese Frage noch beantworten müssen.

    • @PolitDiscussion:

      "Hunderte Leichen heute würden diese Auswirkung nicht mehr haben. Die Regierenden und die Gesellschaft als Ganzes, auch die Mehrheit der Bevölkerung, sind brutalisiert"

      Das denke ich nicht - eher abgestumpft. Dazu kommt, das man sich nicht jedes Problem zu eigen machen kann, sehr viele Menschen sind froh wenn sie selbst klarkommen.

  • ...gerade auf ntv die Rede von Olaf Scholz mit seinem anschließendem Beantworten der ihm gestelltten Fragen - durch anwesende Journalisten verfolgt - es ist einfach nur traurig wie wenig freies Reden und spontanes A0ntworten unserem Kanzler liegt. Sehr Schade....

  • Bevor die Ukraine aufgenommen wird, sollte dort die Korruption bekämpft werden. Laut. Junker gibt es sie in allen Bereichen.

    • @Anna Kirsch:

      ...na ja - Korruption - wo gibt's die nicht....

    • @Anna Kirsch:

      Ist aber der einzigste weg ,Putin zu stoppen.

      • @ulf hansen:

        Einen korrupten Staat aufzunehmen, Unsummen an Geld in diesen Staat zu pumpen , das uns hier für wichtige soziale Bereiche fehlt und mit dieser beschleunigten Aufnahme auch noch unsere eigenen Mindeststandards aufzuweichen und anderen Ländern die schon Ewigkeiten auf einen Beitritt warten vor den Kopf zu stoßen wird mit Sicherheit keine Probleme lösen und mit Sicherheit auch keinen Putin stoppen, es wird nur zu mehr Verwerfungen führen

      • @ulf hansen:

        Eben das glaube ich nicht.



        Dann wird es einen erweiterten Krieg geben mit Atombomben, befürchte ich.

        • @Anna Kirsch:

          Nein, das ist nicht zu erwarten.