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Großbritannien verschiebt KlimazieleVerbrennerverbot fünf Jahre später

Großbritannien war Vorreiter im Klimaschutz. Nun verzögert Premier Sunak Verkehrs- und Wärmewende. Aus „Pragmatismus“.

Ein Leak zwang Rishi Sunak zu einer schnelleren Erklärung: der Premier am Mittwochabend Foto: dpa

London taz | Das Vereinigte Königreich wird das Verkaufsverbot von Diesel- und Benzinfahrzeugen sowie Ziele für das Ende der Installation von Gasheizkesseln von 2030 auf 2035 verschieben. Dies erklärte der britische Premierminister Rishi Sunak am Mittwochabend in einer aufgrund von Leaks vorgezogenen Presseansprache.

Die Änderungen stellten eine „pragmatische, proportionale und realistische“ Änderung des Weges zur britischen Klimaneutralität bis 2050 dar, der so für viele Menschen fairer wäre, da auf sie nun keine unnötigen Kosten zukommen würden, sagte Sunak. Die Änderungen seien als Angleichung an viele EU-Länder, Australien, Kanada und US-Staaten wie Kalifornien zu verstehen.

Der Premier betonte, dass es bei dem Endziel bleibe, Großbritannien bis 2050 klimaneutral zu machen. Und dass sich auch am britischen Zwischenziel für 2030 nichts ändere – bis dahin soll der CO2-Ausstoß um 68 Prozent gegenüber dem Referenzwert von 1990 reduziert werden. Damit sei Großbritannien immer noch ambitionierter als etwa die EU mit ihrem 55-Prozent-Ziel.

Der bisherige Konsens zur Klimapolitik mache niemanden glücklich, erklärte Sunak. Dieser stütze sich auf Versprechen ohne jene Wahrheiten, „die Menschen ebenfalls hören“ müssten. Niemand könne am Klimawandel zweifeln. Man müsse aber, um die Klimaziele zu garantieren, die Bevölkerung mit sich nehmen. Mit seinen Änderungen könne man dieses Ziel nun erreichen.

Atomprogramm bleibt

Viele der bereits beschlossenen Maßnahmen sollen ohnehin weiterlaufen, betonte der Premierminister: Milliardenzahlungen für den Green Climate Fund, Windfarmen oder der Bau von Atomkraftwerken. Außerdem werde er dafür sorgen, dass das nationale Stromnetz ausgebaut und verbessert wird, um den vielen neuen Stromquellen gerecht zu werden.

Er glaube, dass die Mehrheit aller Fahrzeuge in Großbritannien bis 2030 elektrisch sein werde, sagte Sunak, weil die Technologien weiter verbessert würden. Aber die Entscheidungen dazu müssten die Ver­brau­che­r:in­nen selber treffen, da die Anschaffungskosten noch hoch seien.

Auch beim Umbau der Heizungen und der Wärmewende für die Haushalte insgesamt sei Zeit wichtig, um britische Familien nicht in unnötige Unkosten zu stürzen. Hier bleibe es aber bei den Subventionen, für den Ausbau von Gasheizkesseln würde die Unterstützung auf 7.500 Pfund erhöht. Für ärmere Haushalte gebe es Ausnahmen von der Wechselpflicht.

Auch die Neuerschließung von Öl- und Gasfeldern in der Nordsee sei pragmatische Politik, sagte Sunak. Mit ihr werde das Land weniger abhängig von ausländischen Diktatoren wie Putin.

Innenpolitisch umstritten

Im Hintergrund der Ankündigungen stehen die aller Wahrscheinlichkeit nach im nächsten Jahr anstehenden Wahlen. In wenigen Tagen beginnen in Großbritannien die jährlichen Parteitage. Die Tories haben aus der im Juli knapp gewonnenen Nachwahl in Boris Johnsons ehemaligem Wahlkreis Uxbridge and West Ruslip gelernt. Hauptstreitpunkt dort war die vom Londoner Bürgermeister Sadiq Khan geplante Erweiterung der Londoner Niedrigemissionszone (ULEZ). Der konservative Kandidat Steve Tuckwell hatte sich dagegen gestellt und für ein pragmatisches und natürliches Auslaufen alter Fahrzeuge plädiert, statt betroffene Au­to­fah­re­r:in­nen zum Kauf eines schadstoffärmeren Fahrzeugs zu zwingen. Im August wurde die ULEZ zwar trotzdem auf ganz London erweitert – allerdings mit einer stärkeren Subventionierung beim Umstieg auf weniger emittierende Fahrzeuge.

Außerdem reagierte Sunak mit seinen Maßnahmen auch auf internen Fraktionsdruck vom rechten und libertären Flügel der Partei. Liz Truss, Sunaks ehemalige Kontrahentin und Vorgängerin im Amt des Premierministers, hielt am Montag bei einer konservativen Denkfabrik eine provokative Rede, in der sie eine Aufweichung der Klimaziele gefordert hatte. Truss war am Mittwochabend dann auch eine der ersten, die Sunaks Maßnahmen begrüßten.

Andere Tories, darunter Sam Hall, der Direktor der Gruppe „Conservative Environment Network“, dem auch um die 100 Unterhausabgeordnete angehören, waren weniger begeistert. Hall sagte, Sunak setze den schwer verdienten Ruf Großbritanniens in Umweltfragen aufs Spiel. Auch Boris Johnson, der die Ziele für 2030 vor drei Jahren gesetzt hatte, sagte vor Sunaks Ankündigungen, dass das Land sich keine Verzögerungen erlauben könne.

Labours Schattenminister für Klimaneutralität, Ed Miliband, sah in Sunaks Ankündigungen einen Schwächeakt, der zur „Musik der Minderheit“ in seiner Partei tanze. Den Abschied von Verbrennern zu verzögern, würde Familien Milliardensummen aufbrummen und die Zuversicht von Investoren schädigen. Auch zahlreiche Stimmen aus der Bau- und Autoindustrie äußerten sich kritisch.

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8 Kommentare

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  • "Das Vereinigte Königreich wird das Verkaufsverbot von Diesel- und Benzinfahrzeugen sowie Ziele für das Ende der Installation von Gasheizkesseln von 2030 auf 2035 verschieben."



    Passt doch: Die E-Autos und die Wärmepumpen brauchen ja Strom, und der Bau der dafür erforderlichen Atomkraftwerke kann ja schon mal ein bisschen dauern...

  • Ich verstehe die ganze Debatte um Klimaziele und damit verbundene Mehrkosten nicht. Ist den Menschen nicht klar, dass der Klimawandel an sich schon viel zu viel Geld kostet und sich sowieso nimmt was er will? Unser gesamter Wohlstand ist dem Klimawandel nämlich, gelinde gesagt, schietegal.

    Und by the way. Konsens hat nicht den Anspruch, irgendjemanden glücklich zu machen. Wir können uns nicht die Rosinen rauspicken und nur die Maßnahmen ergreifen die uns zeitlich und ins Portemonaie passen.

    Denn wie bereits erwähnt, das juckt den Klimawandel herlich wenig.

    • @AlexMasterP:

      Hinzu kommt, dass der Staat das Geld dafür in beliebiger Höhe auf Knopfdruck erzeugen könnte, denn er hat seine Konten ausschließlich bei der Zentralbank. Eine entsprechende Anpassung der Beschränkungen durch die "Schulden"bremse und und die Fiskalregeln würde vielen nützen und niemandem Schaden.

      Die einzige Beschränkung sollte sein, dass dem Geld auch ausreichend Ressourcen gegenüber stehen.

  • Mag zwar manchen nicht gefallen, aber Sunak ist sehr pragmatisch.



    2050 ist in 27 Jahren. Bis dahin kann noch viel passieren gerade was neue Technologien anbelangt.



    These von mir: noch 3-4 neue britische Atomkraftwerke (aber kein EPR weil zu teuer) sondern die 4. Generation.

  • "Der bisherige Konsens zur Klimapolitik mache niemanden glücklich, erklärte Sunak. Dieser stütze sich auf Versprechen ohne jene Wahrheiten, „die Menschen ebenfalls hören“ müssten. Niemand könne am Klimawandel zweifeln. Man müsse aber, um die Klimaziele zu garantieren, die Bevölkerung mit sich nehmen."

    Überall dasselbe. Kurzsichtigkeit, Ignoranz, Jammer.

    Die Folgen des Klimawandels WERDEN die Bevölkerung mit sich nehmen.



    Anders eine "Arche Noah", sollte es nochmals eine geben. Da käme kein Mensch mehr mit hinein. Schild am Anleger: Ihr müsst draußen bleiben!

    • @Woodbine:

      Na schön, und wieso werden hier im Land nicht die Karten offen auf den Tisch gelegt und mit den Bürgern Tacheles geredet ?

      Nicht in Bezug auf irgendwelche religiös anmutenden "Wenn wir in 5 Jahren nicht klimaneutral leben werden wir in 50 Jahren alle sterben"-Predigten, sondern auf die Tatsache das

      a) keiner vorhersagen kann ob die Blaupause der LG und FFF irgendetwas am Grundproblem Klimawandel maßgebend ändern wird

      b) sich die Menschen auf einen deutlichen Verlust ihres Wohlstands einstellen müssen.

      c) sich die Lebensweise radikal verändern wird

      d) im Prinzip alles was wir an Gewichten aufbieten können (Lebensart, Kultur, Wohlstand) auf die Waagschale legen und abwarten was passiert. Man wartet dann auf etwas Abstraktes, nicht greifbares...vielleicht sogar erst auf die Folgegenerationen Auswirkungen habendes Ergebnis. Ergo : Reines Glaskugel-Gucken mit der Hoffnung das was Positives bei rumkommt...wenn man schon alles bereit ist zu opfern und die Gesellschaft in ihren Grundfesten zu Fall zu bringen.

      Fazit: Die Gesellschaft wird so oder so in den Abgrund gerissen. Ob mit Klimawandel oder der LG...die Auswirkungen sind im Prinzip dieselben, die zerstörerische Wirkung letzterer "Gesellschafts-Katastrophe" tritt nur deutlich früher ein.

    • @Woodbine:

      Was ist bei „Menschen mitnehmen“ jetzt kurzsichtig, Gejammere oder Ignorant?



      Es geht nur MIT den Menschen. Wer was anderes behauptet lebt leider auf einer Wolke.

      • @Der Cleo Patra:

        Kurzsichtig ist es, den Menschen nicht endlich parteienübergreifend die Wahrheit über den Ernst der Lage zu sagen.



        Gejammert wird über Kosten, die OHNE Maßnahmen noch viel höher werden. Kosten, die für den Einzelnen jetzt so hoch sind, weil die Regierungen die Entwicklung mindestens zwei Jahrzehnte lang "ausgesessen" hat.



        Ignorant ist es (gegen besseres Wissen) so zu tun, als würde uns der Klimawandel noch massenhaft Zeit lassen, jeden nach seiner Befindlichkeit "mitzunehmen".

        Das Vor und Zurück bei Maßnahmen macht die Menschen erst recht unsicher. Außerdem werden falsche Anreize gesetzt. So wird beispielsweise noch für Dinge Geld ausgegeben , deren Betrieb in wenigen Jahren nicht mehr bezahlbar sein wird.

        Herr Sunak spricht von " ... Versprechen ohne jene Wahrheiten, „die Menschen ebenfalls hören“ müssten." Eine Wahrheit ist, dass es bei allem, was wir jetzt tun (könnten), ohne Einschränkungen nicht gehen wird.