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Über die Tragik lachenPausenbrot macht Leute

Beim Konzert grölt das Publikum mit, was ein armer Junge als Pausenbrot bekommt. Dabei sind Schokoriegel in der Schule wertvoller als Vollkorn.

Der Inhalt dieser Brotdose hat auf dem Schulhof einen hohen Tauschwert Foto: Funke Foto/imago

A Sackl Chips, zwa Liter Eistee“, sang Voodoo Jürgens Sonntagabend im Kreuzberger SO36 – und sehr viele Menschen sangen mit. Das Publikum grölte das Lied, in dem es um einen etwas verwahrlosten Jungen geht, der in der Schule eher gedemütigt als zurechtgewiesen wird, so laut wie keinen anderen Hit des Wirtshausgeschichtenerzählers mit Vokuhila, Schnauzbart und schönstem Dialekt der Wiener Arbeiterbezirke: a Sackl Chips, zwa Liter Eistee!

Das hat mich an die 1,5 Liter Schwip Schwap und zwei Packungen Hörnchen mit Nuss-Nougat-Creme erinnert. An dieses aus meiner heutigen Perspektive fade, klebrige Teigding, das auf Croissant tut und das man beim Discounter für anderthalb Euro im Fünferpack kaufen kann, wobei die Teigdinger – praktisch für Eltern! – nochmal einzeln verpackt sind.

Es hat mich auch an die Discounter-Imitate von Schokoriegeln wie Snickers und Mars erinnert, die stets englische Namen mit Motorsportbezug hatten: Race oder Speed. Falls ein sozialer Klassenfreund doch mal ein echtes Pausenbrot dabei hatte, dann war das meistens Weiß- oder gleich Toastbrot, mit Butter und Käse, an besonderen Tagen noch ein Scheibchen Gurke, immer eingewickelt in Frischhalte- oder Alufolie.

Der Wechselkurs auf dem Schulhof

Wenn Sie Kinder haben und Wert auf gesunde Ernährung legen, dann klingt der letzte Absatz für Sie vielleicht schon furchterregend genug, dass Sie beim Lesen den kleinen, dicken Jungen mit Migrationshintergrund vor Augen haben, an dessen Essverhalten und somit Übergewicht seine Eltern Schuld tragen, weil sie sich nicht um gute Ernährung kümmern. Schlimm, solche Eltern!

Was Sie dann vielleicht nicht wissen wollen: Auf unserem Schulhof herrschte ein anderer Wechselkurs als unter ernährungsbewussten Eltern. Vollkornbrote wurden vergeblich zum Tausch mit Junkfood angeboten. Wer am niedrigen Tauschwert seiner kunstvoll geschnitzten Karotten- und Gurkensticks scheiterte, der besorgte sich die Pring­les mit seinem Taschengeld im schuleigenen Kiosk.

Kinder stehen auf ungesunden Scheiß, egal in welcher Klasse sie aufwachsen. Eltern wollen das Beste für ihre Kinder, egal in welcher Klasse sie diese auf die Welt bringen. Weil Zeit und Geld aber ungleich verteilt sind, greifen die einen zu Schokoriegeln und andere schmieren ein Vollkornbrot.

Pommes oder Currywurst

Bundesernährungsminister Cem Özdemir hat deshalb ein Gesetz für die Regulierung von Lebensmittelwerbung für Kinder entworfen, das derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt und von den Liberalen blockiert wird. „Ich komme aus einer bildungsfernen Familie mit Migrationshintergrund. Meine Eltern waren beide berufstätig, und ich habe mich auf eigene Faust jahrelang von Pommes oder Currywurst ernährt, weil nach der Schule niemand daheim war, um Essen zu kochen“, sagte der Minister in einem Interview.

Und Voodoo Jürgens sagte einmal: „Es ist schon interessant, wofür ein Getränk und ein Sackerl Chips alles stehen können. Mir hat mein Jausenbrot zwar nie geschmeckt, trotzdem bin ich froh, dass mir wer eins gemacht hat.“ Das bringt mich zurück auf die große Begeisterung für Eistee und Chips im SO36.

Identifikation ist bekanntermaßen nicht der einzige Grund, weshalb Menschen Liedtexte mitsingen. Sie singen gerne auch mal mit, wenn sie etwas witzig finden oder sich darüber lustig machen. Wenn das Tragische dagegen einen selbst betrifft, dann gibt es manchmal nichts Besseres, als darüber zu lachen.

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Volkan Ağar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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8 Kommentare

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  • Asia Instant Nudeln roh in der Pause, dazu Tetrapack 0,5 zuckrige Flüssigkeit und Döner im Brot ist was für Boomerkinder, in der Box mit fettigen Pommes mit Soße oben aufgeklatscht macht den Nachhauseweg kürzer. Das war’s? Niemals! Jetzt gibt’s Gaming mit alles was O.G. Schoki und deren Fakes zu bieten haben. Oder 10er Pack Halley-Kekse und noch mehr Trinken mit Marshmallow-Geschmack. Abends dann Nudeln Türkisch Style in mit Hack inTomaten-Paprika Mark geschwenkt mit Sahnejoghurt obendrauf. Muss mit Fladenbrot gegessen werden sonst wird man nicht satt. Danach Mafia-Serie im Fernsehen mit Çay und alles was es sonst so gibt: Börek, Çörek, Baklava, Eiscreme…!



    Wer nichts ißt ist krank und muss zum Arzt. Oder Apotheke und Appetitwecker holen!

    *Rülps

  • Komisch, wir haben auf dem Schulhof nicht mit den Mitbringels gehandelt. Wenn mal Not war (auf den eigenen Bemmen irgendwas Unverzehrbares wie Räucherschinken oder - Gott bewahre - Fischkonserve!) konnte man mal was abschnorren, aber sonst fand da kein reger Markt statt. Süßigkeiten hatte man halt ab und an und hat die dann mit den Skatbrüdern geteilt in der Pause...

    Allerdings soll es angeblich auch in den 90ern schon das Phänomen gegeben haben, dass liebevoll geschmierte Pausenbrote mit reichlich guter Butter, doppelt Bärchen"wurst" und handgeschnitzten Zwiebel- oder Gurkenscheiben im Mülleimer verschwanden, und sich stattdessen mittags ein Döner (damals hierzulande dm2,5) aus der nahen Einkaufsmeile gegönnt wurde!



    Angeblich, wie gesagt, soll das vorgekommen sein, Gerüchten zufolge... :D

  • "A Sakl Schiibs



    zwaa Lietr Äähstee"

    Aber versteht wieder keine Sau, wenn mans phonetisch transkribiert.

    Der Deutsche von Welt bevorzugt natürlich Augenwurst - "Jetzt mit noch mehr Augen!"

  • Äpfel waren auch nicht besonders wertig, es gab zu viele.

  • Vielen Dank - ein toller Text, direkt aus dem Leben gegriffen.

  • Oh,du schöne Selbstkritik 🙂

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      „Auf unserem Schulhof herrschte ein anderer Wechselkurs als unter ernährungsbewussten Eltern."



      „Es gibt nur ein Volkan Ağar..." ⚽ 🏆

      • @95820 (Profil gelöscht):

        anschließe mich & aus dem Skat zu -

        “…Mir hat mein Jausenbrot zwar nie geschmeckt, trotzdem bin ich froh, dass mir wer eins gemacht hat.“

        Katzenmuseum Oberstufe =>



        Mein “Sehnenwurstbrot“ (by Koltermanns Hüxstr.) aß ich nie.



        Meine Banknachbarin doch & wie!



        & Sie schon - jedoch - och!



        Anschließend dess - hmm



        Kess. Noch was lecker - fand: =>



        500 Jahre geschlechtskranker italienischer Adel - rechter Hand -



        ( 👀“Derrn! Das gibt Gemecker!!!“)



        Hmm. Italienische an Brötchen Cervelat!



        Egal! Auch sehr charmant! Nie zu spat!;)



        Der Haken - Mutter Frau v. - sag es dir:



        Einwickelte es - Sohnemann con 🪰



        In Pergamentpapier! Was soll ich raten?



        Knistern - doch Janning Korf - die Biege:



        Reanimierter Pauker - dumm wie Torf!



        Wie immer “meckelnbörger 🤴shaus!“



        Bambusstöckchen schwenkend Schwade



        Brötchen entwand der Tasch …so grade!



        &Däh! Knistert laut!!- Fauch & 🙇‍♀️Gurgel



        Jungadel - chimpans&jähzornbekannt!



        Janning - wie immer Lage voll verkannt!



        Zerdrosch - das ist halt die pädagoRegel!



        Sein Bambusstöckchen auf dem Flegel!



        Der! - Schaum vorm Mund - kalkweiß!



        Kein Scheiß - los auf die - 🦦Geriatrie!



        Doch hie - senkt sich mild der Vorhang:



        🥯Unberührt & Gesprächsstoff wochenlang!

        kurz - Egal. Leben oder Tod!



        Es lebe ewiglich das Jausenbrot - 🙀🥳 -