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Literatur in KrisenzeitenDie Freiheit liegt in Trampelpfaden

Die richtigen Worte zu finden fällt oft schwer, bei Krisen scheint es unmöglich. Autoren aus Georgien, Ukraine und Estland diskutierten in Berlin.

Im Dombass: nur ein schmaler Pfad führt zu den Vorposten der ukrainischen Armee Foto: Wolodymyr Kutsenko

Dem Unaussprechlichem nur mit Sprachlosigkeit begegnen zu können, ist ein Schicksal, das seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs viele ukrainische Schrift­stel­le­r:in­nen teilen.

Juri Andruchowitsch schreibt nicht mehr, Andrej Kurkow nur noch über den Krieg, und auch Tanja Maljartschuk lebt in Angst vor einer Sprache, die zugleich lieben und zum Töten anstiften kann. Sie betrachte sich daher, so sagte Maljartschuk in ihrer Eröffnungsrede zum diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis, „als eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin“.

Ebenfalls zu den ehemaligen Au­to­r:in­nen zählt Ganna Gnedkova. Ihr falle es schwer, zu fiktionalisieren, während die Realität sich gerade so grausam zeige wie in der Ukraine, sagt sie bei einer Gesprächsrunde über Literatur in Krisenzeiten am Sonntagabend im Konzerthaus Berlin.

Gnedkova spricht perfektes Deutsch, ihre Heimatstadt Kyjiw, in der sie 1992 geboren ist, hat sie bereits vor acht Jahren verlassen, um in Wien zu leben. Sie erzählt von in Österreich gegebenen Interviews, von Talkshows, in denen sie neben Wirtschaftsvertretern sitze, die über steigende Heizkosten debattierten. Auch sie spreche dann von Zahlen, sagt sie. „Von Totenzahlen.“

Im Rahmen des Festivals „Young Euro Classic“

Die Autorin ist mit der russischen Sprache aufgewachsen. Dass das Ukrainische, seit 1991 einzige offizielle Amtssprache im Land, lange keine Bedeutung für sie spielte, macht sie in einem Essay deutlich, den die Schauspielerin Ursina Lardi vorträgt.

Die ukrainische Autorin Ganna Gnedkova lebt seit einigen Jahren in Wien Foto: Georgii Kravchenko

Ukrainische Autor:innen, erinnert sie sich, habe man auf ihrem russischen Gymnasium eher bemitleidet, anstatt stolz auf sie zu sein. Erst während ihres Studiums lernte sie die ukrai­ni­sche Literatur kennen, lernte, dass Ukrainisch keine tote Sprache, „kein Latein“ sei. Eine Drehung um 180 Grad: Auf Russisch, sagt sie heute, werde sie nie mehr schreiben können.

Die Diskussionsrunde im Berliner Konzerthaus findet im Rahmen des „Young Euro Classic“ statt. Das Festival lädt alljährlich Jugendorchester aus aller Welt ein, um in der deutschen Hauptstadt ihr Repertoire aus Orchestermusik, Jazz und neuen Werken aus ihren Herkunftsländern vorzuführen. „Courage in Concert“ setzt innerhalb des Festivals einen Fokus auf die Ukraine und ihre Nachbarn im Krieg.

Keine Ruhe in Polen, Belarus, Moldau und Georgien

Ruhig geht es in den Nachbarländern der Ukraine nämlich keineswegs zu: Polen verstärkt seit Wochen seine Einheiten an der Ostgrenze, um den Provokationen Belarus’ – im polnischen Luftraum kreisende Hubschrauber, dem Aufgebot von Wagner-Truppen – etwas entgegenzusetzen. Belarus wird weiterhin (und seit beinahe 30 Jahren) von Alexander Lukaschenko regiert, dem treuesten Gefolgsmann Putins. In der kleinen Republik Moldau fürchtet man indes, als Nächstes zum Ziel russischer Aggressionen zu werden.

Über das Schwarze Meer hinweg ist im weitesten Sinne auch Georgien ein Nachbar der Ukrai­ne. In der ehemaligen Sowjetrepublik leide man seit über 200 Jahren unter dem russischen Imperialismus, sagt Dato Turaschwili.

Als es 2008 zum offenen Krieg mit Russland kam – Grund war die Eskalation des Konflikts um Südossetien und Abchasien –, habe das in Europa kaum jemanden interessiert, meint der Schriftsteller. Es scheine, als hätte es erst den brutalen Krieg gegen die Ukrai­ne gebraucht, um die Welt von der Aggressivität Russlands zu überzeugen.

„Young Euro Classic“ ohne Russland

Turaschwili, im Auftreten charismatisch, haftet trotzige Resignation an, ein Abdruck der Enttäuschung, die sich auch in seinem Essay, vorgetragen vom Schauspieler Holger Bülow, widerspiegelt. Er erinnert an den russisch-amerikanischen Dichter Joseph Brodsky, der einst unverzeihlich flapsig zu Protokoll gab, die Russen hätten von dort, wo sie einmarschierten, stets „gute Literatur mitgebracht“.

Der 1996 gestorbene Brodsky hatte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion zum knallharten Nationalisten gemausert. Sein Schmähgedicht auf die Ukraine wurde in ­Russland 2014 erneut zum wichtigsten Gedicht des Jahres erklärt.

Russland ist bei „Young Euro Classic“ in diesem Jahr nicht vertreten. Die Liste der ehemaligen Sowjetrepubliken erweitert sich in diesem Jahr jedoch um Usbekistan. Neben Carl Maria von Webern und Frédéric Chopin intonierte das Jugendorchester aus Taschkent im Anschluss an die Diskussionsrunde auch zeitgenössische Klassik. Die gab sich expressionistisch, kamen in Mustafo Bafoevs „Sogdian Frescos“ doch enthusiastisches Xylophonspiel, Eulengeheul und eine Maultrommel zum Einsatz.

Das Phänomen der „desire paths“, wörtlich: „Wunschpfade“

Historisch wie wirtschaftlich unterhält Usbekistan enge Beziehungen zu Russland. Doch sein Land fühle mit der Ukraine mit, versichert Autor und Journalist Sharif Ahmedov, der Usbekistan infolge der brutal niedergeschlagenen Unruhen von 2005 verließ. Ihn habe die Literatur gerettet, sagt er, sich an die ersten Tage seines Exils in den Niederlanden erinnernd, als er begann, Autoren wie Jorge Luis Borges oder Andrei Platonow ins Usbekische zu übersetzen.

Literarisch überzeugen konnte an diesem Abend vor allem Sveta Grigorjeva. Die estnische Autorin führt als Beispiel für menschliche Willenskraft das Phänomen der „desire paths“ an, „Wunschpfade“ also, die mit „Trampelpfaden“ unzureichend übersetzt wären. „Desire paths“ bilden sich demnach neben offiziellen Wegen, meist uneben ins Gras gefurcht, den schnellsten Weg zum Ziel weisend.

Manchmal, schreibt Grigorjeva, sei der kürzeste Weg jedoch bereits der vorbetonierte – und trotzdem, aus Trotz eben, entstünden „desire paths“, aus dem Bedürfnis heraus, im Abseits, im Dunkeln zu gehen. Die Mehrheit der Rus­s:in­nen heute würde dem betonernen Narrativ des Kreml folgen, das die Welt in Gut und Böse einteile. Ein Leben ohne die Möglichkeit von „desire paths“ aber, gibt sie zu bedenken, sei ein Leben in ­Unfreiheit. Mitunter, so argwöhnt sie, führe es direkt in die Hölle.

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