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Umstrittenes „Lex Tusk“-GesetzAgentenjagd in Polen

Nach internationaler Kritik erneuert Polens Regierung ihr Antiagentengesetz. Doch Oppositionelle fürchten, bald als „Agenten Moskaus“ zu gelten.

Teilnehmer einer Demonstration gegen die Regierung, angeführt von Donald Tusk, Anfang Juni in Warschau Foto: Kacper Pempel/reuters

Warschau taz | In Polen wimmelt es von russischen Agenten. Zumindest ist das laut den in Polen regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) so. Deswegen hat die Partei vor den Wahlen im kommenden Herbst ein Antiagentengesetz durch den Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, gebracht. Auf dessen Basis soll eine Kommission Agenten aufspüren. Nach Startschwierigkeiten gilt nun eine neue Fassung.

Offiziell trägt das Gesetz den recht sperrigen Titel: „Gesetz über die Kommission zur Erforschung des russischen Einflusses auf die innere Sicherheit der Polnischen Republik in den Jahren 2007 bis 2022“. Inoffiziell heißt es: „Lex Tusk“. Nach Ansicht der demokratischen Opposition richtet es sich gegen den führenden Oppositionellen Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO).

Die erste Version des Gesetzes hatte Präsident Andrzej Duda (PiS) am 29. Mai unterschrieben, obwohl die Rechtsexperten des Senats, der zweiten Kammer des polnischen Parlaments, mehr als ein Dutzend verfassungswidriger Punkte kritisierten. Doch im Sejm überstimmten die rechtspopulistischen Stimmen den Senat, und mit der Unterschrift des Präsidenten trat das Gesetz in Kraft.

Erst als die US-Regierung und die Europäische Kommission das Gesetz massiv kritisierten, reichte Präsident Duda eine neue Version ein. Sie sollte den Eindruck mildern, es gehe der PiS darum, Oppositionelle als „russische Agenten“ bis zu zehn Jahre von öffentlichen Ämtern auszuschließen.

Russische Spione in Polen

Die Novelle „Lex Tusk 2.0“ hat drei Monate gebraucht, um alle Hürden zu nehmen – so lange wurde die alte Version nicht angewendet. Nun können die Sejmparteien Kandidaten für die Untersuchungskommission vorschlagen. Eigentlich sollte das ein „Expertenkreis“ sein. Das Gesetz legt jedoch keine Kriterien fest, die Qualifikationen sicherstellen. Es dürfen lediglich keine im Inland tätigen Politiker sein, durchaus aber polnische EU-Parlamentarier.

Schon bei der nächsten Sejm-Sitzung am 16. und 17. August könnten die Abgeordneten die neun Mitglieder der „Bolschewisten-Kommission“ wählen, wie der Volksmund das Gremium schon getauft hat. Viele Polen assoziieren mit dem Gesetz die sowjetischen Schauprozesse gegen vermeintliche Spio­ne aus dem Westen.

Zwar kann die Kommission niemanden mehr für bis zu zehn Jahren von öffentlichen Ämtern ausschließen. Allerdings kann sie jeden, ob Politiker, Journalist, Professor oder Beamter, als „ungeeignet für öffentliche Ämter“ einstufen – und das lebenslänglich. Inwiefern das eine Milderung darstellt, bleibt abzuwarten.

Auch die Berufungsmöglichkeit hat sich geändert. Während in der ersten Fassung des Gesetzes noch das Verwaltungsgericht dafür vorgesehen war, soll es laut der neuen ein Sondergericht geben – speziell für die Widersprüche verurteilter „Agenten“. Beide Varianten haben ihre Nachteile: Das Verwaltungsgericht braucht im Schnitt zwei bis drei Jahre, um ein Urteil zu fällen. Das Sondergericht ist zwar schneller, wird aber voraussichtlich mit PiS-loyalen Richtern besetzt sein.

In den vergangenen acht Jahren PiS-Regierung ist es den Sicherheitsbehörden jedoch noch nicht gelungen, die angeblich zahlreichen polnisch-russischen Agenten zu enttarnen und bestrafen.

Schwer einzuschätzen ist hingegen die Zerschlagung eines „russischen Spionagerings“ durch polnische Behörden. Am Freitag wurde ein russischer Staatsbürger als inzwischen 16. Person aus diesem mutmaßlichen Spionagering festgenommen. Dem Mann, der 2021 nach Polen kam, wird vorgeworfen, weiterhin Kontakt zu Russen gehalten zu haben – in St. Petersburg, aber auch auf der von Russland illegal besetzten Krim.

Die anderen Festgenommenen haben mutmaßlich kritische Infrastruktur in Polen ausspioniert. Speziell Bahngleise, über die Militärhilfe Richtung Ukraine gelangte, Häfen und Militäranlagen. Noch wurde keiner der russischen, belarussischen und ukrainischen Staatsbürger vor Gericht gestellt. Die Prozesse können aber – wie vereinzelt schon in der Vergangenheit – hinter verschlossenen Türen stattfinden.

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