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Strategie rechter PopulistenAngststaubsauger mit Dreckschleuder

Essay von Klaus Ottomeyer

Die rechte Masche ist einfach und erfolgreich: Realängste vor einer Pandemie oder der Klimakrise in neurotisch-paranoide Ängste transformieren.

Wer ist hier giftig? Rechtspopulisten oder „Gutmenschen“? Foto: Fotostand/imago

I st Angst ein guter oder ein schlechter Ratgeber? Man sollte im Sinne von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, zunächst Realangst, Gewissensangst und neurotische Angst unterscheiden.

Realangst, etwa die realitätsbezogene Angst vor dem Treibhauseffekt, einem Wassermangel, dem Artensterben, den Folgen des russischen Angriffskriegs oder einer lebensgefährlichen Infektion, ist sicherlich ein guter Ratgeber – auch wenn wir uns in Bezug auf den Klimawandel lange wie eine Person verhalten haben, die die regelmäßig wiederkehrenden lästigen Briefe vom Amt einfach in die unterste Schublade des Schreibtischs oder in den Papierkorb befördert und sich dann wundert, wenn plötzlich der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.

Die rechten Populisten befördern systematisch solche Mechanismen der Verleugnung und der Bagatellisierung gegenüber den Realängsten. Sie zeigen sich betont furchtlos, so als wären die Probleme nur von einigen hysterischen Personen, von der „Impfmafia“ oder den „Heizungsideologen“ erfunden worden, über welche man sich durchaus lustig machen kann.

Auch unsere Gewissensangst – die Angst, Unrecht zu tun – ist ein guter Ratgeber, wenn sie uns daran erinnert, dass wir eigentlich Kranke besuchen, Verletzte, Unbekleidete, Hungernde und Verfolgte ohne Haus und Heimat versorgen sollten. Besonders die Bilder verletzter, sterbender und gestorbener Kinder kann kaum jemand aushalten. Sie überwinden die Schranken der Hautfarbe und aller rassistisch begründeten, vorgeblichen Unterschiede.

Klaus Ottomeyer

geboren 1949, ist ein deutscher Psychologe, Psychoanalytiker, Traumatologe, Ethnopsychoanalytiker. Sein Buch „Angst und Politik“ erschien 2022 im Psychosozial-Verlag.t.

Pauschale Kriminalisierung und „woker Terror“

Die Rechtspopulisten haben aber zahlreiche rhetorische Figuren erfunden, um die Gewissensregungen außer Kraft zu setzen. Dazu gehören die pauschale Kriminalisierung der notleidenden Gruppen, ihre Beschmutzung zum Beispiel als Migranten aus „shit hole countries“ (O-Ton: Donald Trump), die Verächtlichmachung der HelferInnen als „Gutmenschen“, und die Unterstellung eines bedrohlichen Terrorregimes der Political Correctness oder neuerdings „Wokeness“.

Die Gewissensrepräsentanten erscheinen in diesen Erzählungen dann als „selbsternannte“ Oberlehrer und Elite, die uns jeglichen Spaß, zum Beispiel die Freude am schnellen Autofahren, verderben wollen. Die Demagogen erweisen sich dagegen als Protagonisten eines aggressiven kabarettistischen Humors, der auf Kosten von sogenannten Moralaposteln und von realen Minderheiten geht, die sich – mehr oder weniger wehleidig – über Diskriminierung beklagen.

Der österreichischer ÖVP-Politiker Jochen Danninger sprach Anfang Juni 2023 von einer unerträglichen Arroganz des „moralischen Hochadels“. „Die Grünen baden schon viel zu lange selbstherrlich in ihren realitätsfremden Vorstellungen, der politischen Korrektheit, wo man keinen ‚M*** im Hemd‘ essen darf, jeder Satz mit Gender-Sternchen unleserlich gemacht werden muss, und die Kinder sich nicht mehr als Indianer verkleiden dürfen.“

Die dritte Art von Ängsten sind die neurotischen Ängste, die sich auf unser teils lustvolles, teils brodelnd-aggressives Innenleben beziehen. Hier gibt es eine Angst vor seltsamen Gespenstern, monströsen Triebtätern, bösartigen Verfolgern und Unholden, welche wir zum Teil selbst sind. Unsere neurotische Angst ist mit einer Vielzahl von Hirngespinsten verbunden. Deshalb kann man sie auch neurotisch-paranoide Angst nennen.

Die Ängste personalisieren

Erfolgreiche Demagogen und Verschwörungstheoretiker arbeiten vor allem damit, dass die Realängste systematisch in neurotisch-paranoide Ängste transformiert werden. Die Ängste der Menschen werden von den Demagogen mit großer psychologischer Sensibilität aufgespürt, wie mit einem Staubsauger eingesammelt und mit den Hirngespinsten vermengt. Die Ängste werden dabei konkretisiert und personalisiert. Das heißt, es wird so getan, als ob es nur einige wenige dingfest zu machende Ursachen für die Angst gäbe, die von einer Gruppe beherzter Personen rasch beseitigt werden könnten, zum Beispiel durch den Sturm auf das Machtzentrum.

Und die Ängste werden personalisiert: Es wird so getan, als ob sich hinter den bedrohlichen Missständen eine steuernde Elite versteckt, die entmachtet und verfolgt werden muss. So sollen es die Freunde des US-amerikanischen Investors George Soros und andere finstere Figuren sein, die in den westlichen Ländern einen „großen Austausch“ der Bevölkerung planen, um die angestammten Bewohner des Landes zu schwächen.

Der rechtspopulistische Staub­sau­ger ist mit einer Dreckschleudervorrichtung versehen, die auf Personen und bestimmte Gruppen gerichtet wird. Bei der Großversammlung unter dem Titel „Stoppt die Heizungsideologie“ im bayrischen Erding am 10. Juni stand der bayerische Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger von den Freien Wählern am Mikrofon und versprach schreiend, dass man sich von den Regierenden „die Demokratie zurückholen“ werde. „Ihr habt’s wohl den Arsch offen da oben.“

Markus Söder und die Kabarettistin Monika Gruber, die das Ganze organisiert hatte, standen eher hilflos daneben. Auch deswegen, weil die gesamte Veranstaltung auf einer ähnlich paranoiden Massenmobilisierung beruhte, wie sie dann im frenetisch geteilten Auftritt von Aiwanger deutlich wurde. Söder sprach dann noch von Personen, die uns zwingen wollen, nur noch vegan zu essen, und zwanghaft gendern wollen.

Wie reagieren auf die Dreckschleuder?

Jeder kleine Mann oder jede kleine Frau kann sich heute mithilfe der sozialen Medien als emotionaler Volksredner mit begeisterten Followern inszenieren, ungestraft gehässige Kommentare abgeben und die Bestrafung von Schuldigen verlangen. Der eruptive Einsatz der Dreckschleuder und der Austausch mit dem Publikum sind, wie der Fall Aiwanger zeigt, hochgradig lustvoll. Derlei findet ständig im ganzen Land statt.

Wie kann man darauf antworten? Ein erster Reflex könnte es sein, den Dreck zurückzuschleudern. Viel schwieriger ist es, die im Hintergrund und in der Realität vorhandenen Missstände, Dilemmata und Lösungsvorschläge – wie bei der dringend notwendigen Umstellung unserer Heizungen – Schritt für Schritt in Ruhe zu erklären und plausibel zu machen. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist für seine Bemühungen in dieser Richtung zu bewundern. Manchmal helfen aber auch nur Strafanzeigen.

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9 Kommentare

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  • "Die rechte Masche ist einfach und erfolgreich: Realängste vor einer Pandemie oder der Klimakrise in neurotisch-paranoide Ängste transformieren."

    Da macht man es sich zu einfach.

    Die Masche ist noch einfacher. Man greift bereits gesamtgesellschaftlich transformierte neurotisch-paranoide Ängste auf, garniert diese mit den bekannten rechten Zutaten und verkauft die Lösungen dafür als blaue Torte.

    Soll heißen: der Umgang mit Krisen ist auch außerhalb der AfD alles andere als immer besonnen und rational. Und Populismus ist ein Geschäft, das bis tief in die Linke hin betrieben wird. Die AfD muss oft nur noch die Ernte einfahren.

  • An sich gute Schilderung. Ich weiß nur trotzdem nicht, ob Angst ein guter Ratgeber ist, vielleicht eher Sorge.



    Angst ist in meinen Augen immer etwas, was einen beherrscht und auch irrational macht. Durchaus auf beiden Seiten des gesellschaftlichen Spektrums zu finden.

    Die Lösung aber lautet: überzeugen durch handeln!



    Wo haben denn die Rechten recht gehabt, mit ihren Angstszenarien? Nirgends!



    2015: wir haben es geschafft! Die Flüchtlinge von damals sind zu einem großen Teil integriert.



    2020-2023: Pandemie erfolgreich bewältigt (nicht ohne Fehler, aber die wirren Weissagungen sind nie wahr geworden)



    2022-2023: Gaskrise - Frierwinter - abgewendet!



    2023: Strompreis sinkt! Anteil Erneuerbarer steigt auf Maximum!

    Das Problem: so richtig traut sich niemand, die Erfolge zu kommunizieren. Wie wäre es mal, mehr über die tatsächlichen Erfolge progressiver Politik zu reden?



    Offen und ehrlich!

    (Problem: die Verführten der Rechten interessiert es eh nicht - die nächste Verwirrung ist nur eine WhatsApp weiter....)

    • @Ringsle:

      Sehe ich auch so. Es ist aber für mich weniger Angst sondern eine tiefe Verzagtheit, die das Problem darstellt. Wir schauen nicht selbstbewußt auf das Erreichte. Warum eigentlich nicht? Auch finde ich Angst nicht immer schlecht. Z.B. ohne Angst vor dem Klimawandel (vielleicht auch mal etwas überspitzt) ließe sich doch gar nichts erreichen. Die Angst vor der russischen Aggression hat zur Hilfe für die Ukraine beigetragen. Auch das sehe ich positiv. Wichtig ist nur, dass aus der Angst positiv gehandelt wird.

    • @Ringsle:

      "Wie wäre es mal, mehr über die tatsächlichen Erfolge progressiver Politik zu reden? - Problem: die Verführten der Rechten interessiert es eh nicht".



      Das ist schon richtig, allerdings nur ein Teil des Problems. Der andere Teil: Die Medien interessiert es auch nicht. Sowas bringt weder höhere Einschalt- noch Clickquoten.



      Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten!



      www.deutschlandfun...chrichten-100.html

  • und? Wie ist die Strategie der Grünen -Mitglieder oder Regierung?



    Sie schauen verwaltungsrational von oben herab, geben zu ihren Öffnungszeiten eine Verlautbarung ab und das war.



    die taz interviewt dann eine "Demokratieberaterin". Wusste ich gar nicht, dass es das gibt.



    Also noch dramatischer:



    gegenüber der neoliberalen Governanze ist erscheint jede Äußerung der entschlossenen Veränderung als radikal.



    So schrieb der Tagesspiegel-Autor Betschka über die Gruppenvergewaltigung im Görlitzer Park:



    "Die so oft zurecht geforderte Brandmauer zur radikalen AfD darf demnach auch keine Schweigemauer zu bestimmten Themen sein."



    die ist also "radikal"?



    Die Fahrer der weißen Coupéähnlichen Mercedes-Schlitten sind heute die neuen Autonomen. Radikal = Libertarian sich raus nehmen, wie das neue CDU-Programm "Agenda für Deutschland" (AfD).



    Die Grünen wollen also an die Herrscher im Innen und Außen (Iranische Regime, Thüringer Bevölkerung, Putin) mit demütigen Bitten herantreten. Oder wie Cem Özdemir in Bremen: Wahlkampf ohne Mikrophon machen: 25 Zuhörer scharten sich um ihn auf dem Marktplatz.

  • Und was hat nun die nette Schlange damit zu tun ???

  • Wäre es möglich, daß die Taz durch Recherche rechte Portale aufdeckt oder über deren Existenz informiert ... damit man dort als menschlicher Faktor Zweifel schüren kann ? Etwa so, wie die durchaus zahlreichen rechten Kommentare hier mittlerweile posten ? Es ist sicherlich eine eklige Arbeit, sich da durchzuwühlen, aber einen Versuch sollte es wert sein.

  • Alles richtig geschrieben, aber einige Fragen habe ich noch:



    Wie erklärt man Menschen, daß ihre Altersvorsorge für eine Heizung drauf gehen soll? Wenn sie sich ihr erspartes Haus überhaupt noch leisten können. Wie erkläre ich den Menschen den Sumpf in Brüssel, die Wahl von von der Leyen? Wie erkläre ich die gefühlte Ohnmacht, in der ein Stimme nichts mehr zu zählen scheint?

    Der Autor meint, daß man Missstände nur richtig erklären muss, dann wird das schon. Wird es nur leider nicht! Wir kriegen seit dutzenden von Jahren unsere Probleme nicht in den Griff, die Realeinkommen gehen zurück. Natürlich muss man den Klimawandel angehen. Dafür sollten aber bitte auch die überproportional zur Kasse gebeten werden, die in den letzten Krisen und auch heute Übergewinne erwirtschaften.

    • @Jens Barth:

      "Wie erklärt man Menschen, daß ihre Altersvorsorge für eine Heizung drauf gehen soll? "

      Ähm ... erklären Sie doch erstmal, wo die Altersversorgung für Heizungen drauf gehen soll, bevor Sie all die weiteren populistischen Pferde aus der Koppel lassen.

      Und es sind sicher nicht die Hausbesitzer, die ein Problem mit Altersarmut haben