piwik no script img

Ku­ra­to­ren über 200 Jahre Kunstverein„Streiten darüber, was Kunst ist“

Kunstvereine halten die Spannung zwischen Bürgerlichkeit und Kritik, in München seit 200 Jahren. Ein Gespräch über NS-Zeit, Museen oder Klassenfragen.

Versammlung während der Ausstellung „Verändert die Welt. Poesie muss gemacht werden!“ 1970 Foto: Kunstverein München
Interview von Tal Sterngast

taz: Frau Dietrich, anlässlich der Zweihundertjahrfeier des Kunstvereins München haben Sie ins Archiv geschaut. In der Ausstellung „The Archive as …“ sind Teile davon einsehbar und es zeigt sich, dass der Verein zwischen 1945 und 1953 kaum aktiv war. Die Alliierten hatten 1945 Vereine und Verbände in Deutschland verboten, darunter auch die Kunstvereine. Warum?

Maurin Dietrich: Die Alliierten hatten verstanden, dass viele bürgerliche Vereine zum Konservatismus oder gar Nationalismus tendierten. Sie konnten nicht jeden einzelnen untersuchen. Die einzige pragmatische Möglichkeit war, ein allgemeines Vereinsverbot auszusprechen. Das galt am Kunstverein München bis 1953. Eine interessante politische Geste, sich unbeeindruckt zu zeigen von den Unterschieden zwischen den Vereinen.

Manuel Nieberle
Im Interview: Maurin Dietrich

Maurin Dietrich, geboren 1990, ist Kuratorin und seit 2019 Direktorin des Kunstvereins München. Zuvor arbeitete sie für das KW Institute for Contemporary Art in Berlin sowie für die 9. Berlin Biennale.

Kunstvereine sind dem „Zeitgenössischen“ verpflichtet, während die Aufgabe der Museen darin besteht, Geschichte zu ordnen, auszustellen und vielleicht zu schaffen. Herr van der Heide, wie kann ein Kunstverein mit seiner eigenen Vergangenheit umgehen?

Bart van der Heide: Kunstvereine haben häufig Direktoren, die noch jung sind und nicht viel Erfahrung haben, aber den Wunsch hegen, einen Fußabdruck zu hinterlassen, ein Erbe. Und vielleicht mögen sie visionär und innovativ sein, sie sind sich dennoch immer bewusst darüber, was im Kunstverein in der Vergangenheit stattfand. Sie sind sogar von ihr abhängig. 2011 etwa gab es im Kunstverein München das Projekt „Group Affinity“, veranstaltet von Kunstkollektiven wie Grand Openings oder Slavs and Tatars. Sie griffen dabei auf die pädagogische Tradition des Vereins zurück, insbesondere auf die partizipatorische Ausstellung von 1970, „Verändert die Welt! Poesie muss von allen gemacht werden!“. Diese Ausstellung musste damals wegen ihrer radikalen Kunst und linken revolutionären Inhalte geschlossen werden. 2012, in der Schau „The Imaginary Museum“, wiederum stand die Geschichte des Gebäudes im Zentrum. 1932 befand sich darin das Museum für Abgüsse klassischer Bildwerke. Ausgehend von einer historischen Ansicht wurde die Ausstellungsinstallation von 1932 rekonstruiert und zum Display für zeitgenössische Überlegungen zu Reproduktion und Technologie.

Daniele Fiorentino
Im Interview: Bart van der Heide

Bart van der Heide, geboren 1974, war von 2010 bis 2015 Direktor des Kunstvereins München. Bis 2020 war er Chefkurator am Stedelijk Museum in Amsterdam. Jetzt ist er Direktor des Museion, Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, in Bozen.

In einer Diskussionsrunde anlässlich der Zweihundertjahrfeier sagte der Kritiker, Kurator und ehemalige Direktor des Kunstvereins München, Helmut Draxler, der öffentliche Raum sei eine Fiktion und Performance. Institutionen wie der Kunstverein seien nur eine Nische. „Wir machen das vor allem für uns selbst“, meinte er.

Bart van der Heide: Helmut Draxler gehört zu einer Gruppe, die in den 1990er Jahren vieles von dem vorausgehen hat, was uns heute im Kunstinstitutionen beschäftigt. Aber die Idee von einer Öffentlichkeit verändert sich ständig und damit die Rolle des Kurators. Draxler machte 1993 mit Andrea Fraser die wichtige Ausstellung „Eine Gesellschaft des Geschmacks“. Dafür liehen sie Kunstwerke von Vorstandsmitgliedern des Vereins und stellten sie anonym aus. Fraser führte Interviews mit den Leihgebern und publizierte sie anonym in einem Katalog. In der Ausstellung war eine Soundcollage aus den Interviewaufnahmen zu hören. Für Draxler und Fraser wird Öffentlichkeit also durch die Institution bestimmt, in deren Rahmen sie hergestellt wird.

Was verstehen Sie unter Öffentlichkeit?

Bart van der Heide: Für meine Generation wird Öffentlichkeit nicht mehr durch öffentliche Institutionen definiert. In meiner Vorstellung von Öffentlichkeit geht es um das Soziale und Gemeinschaftliche, um die Frage, wer repräsentiert wird, wer eine Stimme hat und Einfluss nehmen kann. Die besondere Struktur eines Kunstvereins mit seinen vielen zahlenden Mitgliedern könnte als eine nachhaltige Form des Stakeholder-Managements betrachtet werden. Dabei wird eine Kunstinstitution durch eine Gemeinschaft aktiviert. Aber wie sehr sich ein Verständnis von der Öffentlichkeit ändern mag, im Kunstverein bleibt die Führungsstruktur dieselbe. Zum Beispiel besteht der Vorstand immer aus Vertretern der gleichen Klasse: Anwälte, Immobilieninvestoren oder Ärzte. Und als künstlerischer Leiter muss man die unterschiedlichen Interessen aller Seiten aushandeln. Die Macht im Kunstverein liegt beim Vorstand. Und vielleicht hat man da mit Leuten zu tun, für die der Kunstverein und damit deine eigene Arbeit nur ein Hobby ist. Sie können die ganze Mitgliederschaft gegen dich aufbringen.

Kunstvereine wurden ursprünglich im 19. Jahrhundert als kulturelles Forum für das aufstrebende Bürgertum gegründet. Spätestens seit den 1970er Jahren wurden sie jedoch zum Ort der Spannungen zwischen bürgerlichen Vorstellungen des „guten Geschmacks“ und dem Wunsch nach radikaler Kritik. Besonders in Kunstvereinen finden heute innovative Ausstellungen statt. Wie erklären Sie sich das?

Maurin Dietrich: Dieses vor 200 Jahren erdachte Organisationsmodell hat eine unmittelbare Bindung ans Publikum. Es ist auch relativ resistent gegen politischen Druck und massive Budgetkürzungen. Kunstvereine haben eine Einnahmebasis, die im Wesentlichen privat mitgetragen ist durch die Mitglieder. Das ist ein großer Vorteil. Alles in allem ist es das Gegenteil einer Fiktion. Es ist eine Realität, in der man im Publikum und mit dem Publikum darüber streitet und verhandelt, was zeitgenössische Kunst ist.

Phantomhaft: Blick in Bea Schlingelhoffs Installation zur Ausstellung „Entartete Kunst“, 2021 Foto: Kunstverein München

Sie sagen, im Kunstverein gebe es im Gegensatz zum Museum eine sehr reale Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit, Kritik, Debatten, Reibung, auch Wertschätzung. Können Sie ein Beispiel dafür geben?

Maurin Dietrich: Die Künstlerin Bea Schlingelhoff hat etwa kürzlich vorgeschlagen, einen Paragraphen in die Satzung des Kunstvereins München aufzunehmen, der es rechtlich unmöglich machen würde, Vereinsmitglieder aufgrund ihres Glaubens, ihrer Religion, ihres Geschlechts usw. auszuschließen. Bei der Vorbereitung für ihre Ausstellung „No River to Cross“, kuratiert von Gloria Hasnay im Jahr 2021, stieß Bea Schlingelhoff in unserem Archiv auf den „Nichtarier“-Paragraphen, der 1936 eingeführt wurde. Er schloss von einem Tag auf den anderen alle jüdischen Mitglieder der Kunstvereins München aus. Über diesen Paragraphen wurde damals in einer öffentlichen Versammlung wie den unsrigen abgestimmt. Es muss eine Mehrheit der Mitglieder gewesen sein, die für seine Aufnahme in die Satzung stimmte. Bea wollte nun mit den Vereinsmitgliedern darüber diskutieren, wie heute ein Paragraph aussehen würde, der solch eine Abstimmung fortan unmöglich macht.

Bea Schlingelhoff bezog sich auch auf die Ausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 in den heutigen Räumlichkeiten des Kunstvereins im Münchener Hofgarten stattfand.

Maurin Dietrich: Ja. Sie zeichnete die ursprüngliche Präsentation der beschlagnahmten Kunstwerke nach, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft und dort gezeigt wurden. (Der Kunstverein selbst lag damals übrigens in der Galeriestraße.) Auf den bemalten Wänden stellte Schlingelhoff die Größen und Platzierungen der Werke wie Phantome dar. Sie installierte auch vier Tafeln an der Außenwand, die alle Namen der weiblichen Künstlerinnen der Schmähausstellung „Entartete Kunst“ von 1937 in München auflistet, darunter Maria Caspar-Filser oder Emy Roeder.

2020 organisierten Sie eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Not Working. Artistic Production and Matters of Class“ in der Sie darüber nachdachten, wie die soziale Klasse die künstlerische Produktion beeinflusst. In der Kunstwelt wird heute viel mehr über Identität gesprochen und mit Kategorien wie Geschlecht oder ethnische Herkunft gehandelt. Warum Klasse?

Maurin Dietrich: Die Ausstellung wurde fünf Monate nach dem Beginn der Pandemie eröffnet. Da hatten sich bereits bestehende Ungerechtigkeiten entlang von Klassenlinien in sehr kurzer Zeit verschärft. Seit den 1970ern wird München stetig gentrifiziert. Für Künst­le­r*in­nen bedeutet das oft, wenig oder keinen Raum zum Leben und Arbeiten zu haben. Die Kunstwerke in die Ausstellung hinterfragten die vermeintliche Klassenhomogenität in der zeitgenössischen Kunst und wie sie dazu beiträgt, die prekären Bedingungen zu verschleiern. Der Begriff „Klasse“ ist in Diskursen, die politische Relevanz beanspruchen, auffallend abwesend. Für mich persönlich war es auch ein coming to terms mit meinem eigenen Hintergrund, der nicht bildungsbürgerlich ist. Dass ich nicht mit Mozart und Chopin aufgewachsen bin und das erste Mal mit 16 im Museum war, ist eher eine Ausnahme in den Biografien von Kuratorinnen oder Künstlerinnen in Deutschland und Europa. Im besten Fall sind die Kunstvereine also Institutionen, die den Status quo des Kunstbetriebs hinterfragen. Ein Museum muss fünf Blockbuster-Ausstellungen im Jahr machen. Es muss viel politischen und ökonomischen Druck aushalten. Wir haben etwas weniger Druck, eine kleinere Struktur und können deshalb darüber nachdenken, was Freiräume in der Kunst heute sein können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • „Das hat mit Kunst nichts zu tun“

    Zur Frage „Was ist eigentlich Kunst“ wäre eine Anekdote aus der Kunstpolitik der DDR beizusteuern. Sie betrifft den im Westen bekannten und geschätzten Grafiker Gerhard Altenbourg aus Sachsen, der sich den doktrinalen Katechismen zur Bildenden Kunst konsequent verweigerte, obdessen bis in die 80er Jahre von der staatlich kontrollierten Kunstszene ausgeschlossen wurde und nur im Westen verkaufen konnte. Besonders hervorgetan hatte sich dabei die Bezirksleitung der SED Leipzig unter den kulturpolitisch besonders rigiden Paul Fröhlich als 1. Sekretär. Auf einer Tagung dieser Bezirksleitung in den 60er Jahren wurde den abstrakten Arbeiten Altenbourgs bescheinigt: „Das hat mit Kunst nichts zu tun.“

    Zu den administrativen Mätzchen gegen ihn gehörte eine Anklage wegen Zollvergehens, weil er „Kunstwerke“ illegal in den Westen schmuggelte. Die Verteidigung stellte auf die Behauptung ab, bei den geschmuggelten Gegenständen handele es sich keinesfalls um „Kunstwerke“ und berief sich dabei auf besagte Äußerung der Bezirksleitung Leipzig. Der Prozeß endete daraufhin mit einem für die Justiz gesichtswahrenden Urteil, das den Künstler allerdings fürderhin ermöglichte, nunmehr unbehelligt seine Werke im Westen zu verkaufen.