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Polizeieinsatz in Berlin-SpandauTödliche Zwangsräumung

In Spandau hat ein Mann sich seiner Zwangsräumung widersetzt und am Ende selbst das Leben genommen. Einmal mehr wird eine Räumung zur Tragödie.

Spezialkräfte der Polizei am Rande einer versuchten Zwangsräumung in Spandau Foto: Paul Zinken

Berlin taz | Nach einem stundenlangen Polizeieinsatz ist am Dienstagnachmittag ein 62-jähriger Mann, der an jenem Tag zwangsgeräumt werden sollte, tot in seiner Wohnung aufgefunden worden.

Über die Umstände, die zu der geplanten Wohnungsräumung am Brunsbütteler Damm in Spandau führten, ist auch am Tag danach noch nichts bekannt. Das Sozialamt des Bezirks teilte auf Anfrage der taz mit, weder Informationen zu dem Fall zu haben, noch im Vorfeld Kontakt zu dem Mieter gehabt zu haben. „Verbindliche Mitteilungen über Räumungsklagen erhalten wir nur bei Räumungsklagen wegen Mietrückständen“, hieß es. Im vorliegenden Fall sei das Sozialamt nicht informiert worden, „möglicherweise deshalb, weil z. B. verhaltensbedingt gekündigt wurde“, heißt es dort.

Laut einer Pressemitteilung der Polizei habe der Mann am Morgen eine Gerichtsvollzieherin aus seiner Wohnung heraus massiv bedroht, woraufhin diese die Polizei alarmiert habe. Als sich daraufhin die alarmierten Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Wohnungen näherten, soll der Mann unvermittelt mehrere Male von innen auf die Eingangstür geschossen haben. Die Polizei rief Be­woh­ne­r:in­nen des Hauses und Anwohnende auf, aus Sicherheitsgründen in ihren Wohnungen zu bleiben und sperrte den Brunsbütteler Damm zwischen Grünhofer Weg und Nauener Straße komplett.

Nach mehreren Stunden und keinerlei Reaktion des Mannes auf Verhandlungsversuche seien die Einsatzkräfte dann am Nachmittag gewaltsam in die Wohnung eingedrungen. Dort fanden sie den Mann tot vor. Er habe sich nach bisherigem Ermittlungsstand selbst mit einer Schusswaffe das Leben genommen, so die Polizei.

Immer wieder Vorfälle

Immer wieder kommt es in Deutschland im Zuge von Zwangsräumungen zu Tragödien. Im August vergangenen Jahres soll in Köln ein Mann die von der Gerichtsvollzieherin gerufene Polizei mit einem Messer angegriffen haben, die nach einem „erfolglosen Einsatz“ von Pfefferspray auf den Mann schoss und ihn dabei tödlich verletzte.

In Berlin hatte sich 2021 ein Mann, der wegen Eigenbedarfs nach 25 Jahren aus seiner Kreuzberger Wohnung geräumt werden sollte, das Leben genommen. Schon zuvor hatte er angekündigt: „Bevor ich hier raus muss, hänge ich mich auf.“ Für bundesweite Schlagzeilen sorgte auch der Fall von Rosemarie F. Die schwerbehinderte Rentnerin war 2013 wegen Mietrückständen zwangesgeräumt worden und zwei Tage später in einer Kältehilfeeinrichtung verstorben.

Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Sebastian Schlüsselburg, mahnte am Mittwoch an, „sämtliche Möglichkeiten“ zu nutzen, um Zwangsräumungen zu verhindern, bei der „Gerichtsvollzieher gefährdet“ und Menschen „psychisch in den Suizid getrieben werden“. Ihm zufolge seien vor allem „arme Menschen mit Suchtproblemen und Depressionen betroffen“, die ihre Briefkästen nicht mehr leeren.

Schlüsselburg forderte, dass Räumungsklagen immer persönlich zugestellt werden sollten. Ein entsprechendes Modellprojekt hatte die ehemalige Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) auf den Weg gebracht. Die Entscheidung über einen Modellversuch in Lichtenberg soll im Herbst fallen.

Hilfe bei Suizidgedanken

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (Tel.: 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

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9 Kommentare

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  • "Schlüsselburg forderte, dass Räumungsklagen immer persönlich zugestellt werden sollten." Äh durch wen jetzt, den Vermieter, den Gerichtsvollzieher (der darf nicht gefährdet werden) oder gleich immer das SEK. Bemerkenswert auch, sdaß drei Beispiele aus den letzten 10 Jahren herhalten müssen. Ich ahne wie viele Räumungsklagen es in dieser Zeit gegeben hat.

  • Hier schießt einer wild um sich, der nicht wegen Mietrückständen gekündigt wurde (also vermutlich verhaltensbedingt). Am Ende ist er tot - hätten aber auch andere sein können, wenn man realistisch bleibt. Vielleicht wäre er ein Fall für psychologische oder psychiartrische Hilfe gewesen, aber auch dafür muss man sich helfen lassn.

    Ein Grund, Zwangsräumungen kritisch zu sehen, ist dieses Geschehen wohl eher nicht. Eine unberechenbare, gewaltbereite Person mit Waffen ist keinem Nachbarn zumutbar, um es mal klar zu sagen.

  • Jeder der Mietrückstände hat bekommt vom Sozialamt oder Jobcenter Hilfe. Dort gibt es zinslose Kredite die man auch bekommt wenn man sie nicht zurückzahlen kann. Nach Zahlung der Mietrückstände beendet das Gericht das Klageverfahren. Nur muss man auch selbst tätig werden. Hilfe gibt es also auch. Aber auf Menschen schiesen ist keine Lösung.

    • @Martin Sauer:

      Das ist so nicht richtig. Das Sozialamt übernimmt darlehensweise nur bei "angemessenen" Wohnraum. D.h. wenn die Miete über dem meist völlig unrealistischen Richtwerten liegt, übernimmt das Sozialamt gar nix.

      Zudem kommt die Problematik, dass gerade Menschen mit psychischen Problemen, die Post nicht mehr leeren etc. häufig nicht in der Lage sind, proaktiv auf solche Unterstützungsoptionen zuzukommen. Wenn man das einfach hinnimmt, heißt das in der Konsequenz, dass nur wohnen darf, wer auch Bürokratie noch irgendwie hinbekommt - also zusätzlich zu ausreichend Geld.

    • @Martin Sauer:

      Das Problem ist, dass die Menschen, die Hilfe benötigen, oft gar nicht in der Lage sind, sich die benötigte Hilfe zu organisieren. Da besteht eine Lücke, die ich aus eigener Erfahrung gut kenne.

    • @Martin Sauer:

      Dann machen sie das mal wenn sie psychisch erkrankt sind.

    • @Martin Sauer:

      Laut Artikel war es eher keine Räumung wegen Mietrückstand.

    • @Martin Sauer:

      räumungen wegen eingeklagtem eigenbedarf durch neue besitzer_innen häufen sich. da hilft kein sozialamt.

      • @Nafets Etnep:

        Diese Informationen haben Sie jetzt woher?