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32 Jahre Unabhängigkeit der UkraineMilitärparade war einmal

Den Unabhängigkeitstag am 24. August feierte die Ukraine früher mit einer Militärshow. In diesem Jahr präsentiert sie zerstörte russische Panzer.

Ausgestellte Beute: Menschen flanieren zwischen ausgebrannten russischen Panzern in Kyjiw Foto: Kyodo News/imago

Am Donnerstagvormittag ist es vergleichsweise ruhig im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw. Der Verkehrslärm fehlt. Wie im Vorjahr ist der Boulevard Kreschtschatik im Herzen der Stadt anlässlich des Unabhängigkeitstags gesperrt.

Statt Autos im Stau steht auf der achtspurigen Straße, die direkt auf den Maidan führt, erbeutete russische Militärtechnik: Panzer, Transportfahrzeuge und selbstfahrende Haubitzen in unterschiedlichen Stadien der Zerstörung. Manche sind ausgebrannt, anderen fehlen Ketten oder Räder. Bei mehreren der Panzer liegt der Turm windschief auf der Wanne, die Kanone zeigt nach unten auf den Asphalt. Wie Riesen, die ihrer einstigen Stärke beraubt sind.

„Es ist verboten, auf die Technik zu klettern“, steht auf laminierten Schildern geschrieben. Die rostigen Ungetüme haben scharfe Kanten. Schon drei Tage zuvor hat der Aufbau begonnen. Große Autokräne hievten die Panzer von Tiefladern. Polizisten wachten mal mehr, mal weniger darüber, dass niemand an der Absperrung aus rotweißem Flatterband vorbeischlüpft.

Seit dem Morgengrauen sind die Absperrungen verschwunden. Immer wieder bleiben junge und ältere Pas­san­t:in­nen stehen, um Fotos zu machen. Andere gehen alltäglicheren Dingen nach: In den Cafés hat am Vormittag der To-go-Becher Konjunktur, und mehrere Jog­ge­r:in­nen schlängeln sich an den Spa­zier­gän­ge­r:in­nen vorbei.

Für Odessa und für Katja

Auf vielen der zerstörten Militärfahrzeuge sind Schilder angebracht, die die Herkunft erklären. Zum Beispiel heißt es da, dass das aufgemalte Dreieck mit der Ziffer 27 in der Mitte dafür stehe, dass der moderne russische T90-Panzer der 27. Motorisierten Schützenbrigade gehört habe. Die habe oft an Paraden in Moskau teilgenommen. Im Frühjahr 2022 sei er in der Region Charkiw erbeutet worden.

Manche Fahrzeuge sind mit Aufschriften verziert: „Für Odessa!“, „Für Mariupol“ oder „Slava Ukraini“, kann man lesen, gemischt mit Liebesschwüren für eine Katja oder eine Lesya. Manchmal auch ein paar derbe Verwünschungen für Putin im Speziellen und Russland im Allgemeinen.

32 Jahre ist es her, dass das ukrainische Parlament die Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt hat. Seit 1992 wird der 24. August deshalb als Nationalfeiertag begangen. Nun findet zum zweiten Mal in Folge keine große Party statt, kein Konzert, und es gibt auch keine Bühne mit Redner:innen. Seit dem Beginn von Russlands großangelegter Invasion gilt in der ganzen Ukraine das Kriegsrecht. Das bedeutet auch, dass die Feiertage eigentlich Arbeitstage sind. Die Stimmung ist nicht ausgelassen, aber man freut sich, dass man noch da ist.

Sorge vor dem Winter

Für Ljuba wäre der 24. August auch ohne Kriegsrecht ein Arbeitstag: Sie verkauft an einem Stand in der Fußgängerunterführung am Maidan Souvenirs. Vom Kühlschrankmagneten über Tassen mit patriotischen Motiven bis zu Klopapier mit dem Gesicht des russischen Machthabers Wladimir Putin hat sie ein breites Angebot. „Heute gehen Kappen gut. Die Sonne scheint“, sagt sie. Es gibt Kopfbedeckungen in ukrainischen Farben und andere im Olivgrün der Armee.

Zerstörtes und erbeutetes russisches Kriegsgerät auf dem zentralen Boulevard Kreschtschatik in Kyjiw Foto: Efrem Lukatsky/reuters

Ljuba denkt schon über den Sommer hinaus. Noch hoffe man auf Erfolge der Gegenoffensive. Aber: „Selbst wenn es gut geht, wäre der Krieg dann vorbei?“, fragt sie. Sie macht sich Sorgen vor dem Winter und dass Russland dann wieder die Energieinfrastruktur angreift.

Taxifahrer Bogdan aus der Kleinstadt Bila Zerkwa vor den Toren von Kyjiw hat gemischte Gefühle. Natürlich wolle er in einer freien und unabhängigen Ukraine leben. „Aber ich habe auch Angst“, sagt er. Mit Mitte 20 ist er in dem Alter, in dem er eine Einberufung zur Armee bekommen kann. Wenn er eingezogen werde, werde er dem Folge leisten. „Aber freiwillig würde ich mich nicht melden.“

Wertlose Sicherheitsgarantien

Militärische Erfahrung hat er nicht. Russlands Angriffskrieg hat auch sein Leben durcheinandergebracht, erzählt er. Zwei Jahre habe er in London in der Baubranche gearbeitet, bis sein Visum ausgelaufen sei. Um es zu erneuern, musste er in die Heimat zurückkehren. „Ich habe ja nicht geglaubt, dass Russland wirklich hier einmarschiert.“ Nach dem 24. Februar 2022 saß er fest.

In früheren Jahren fand am Unabhängigkeitstag auch eine Militärparade statt. Die ukrainische Armee zeigte, was sie hatte. Das wurde mit den Jahren zwar immer weniger. Anfangs wurden noch große Raketen durch die Kyjiwer Innenstadt kutschiert.

Die gab das Land dann auf, im Gegenzug für sogenannte Sicherheitsgarantien, die nichts wert waren, wie man inzwischen weiß. Heute muss das Land in Washington und Berlin bisher erfolglos um Marschflugkörper bitten, während Russland die Bevölkerung mit ebensolchen Waffen fast täglich terrorisiert.

Angriff auf Dnipro

Auf Kyjiw gab es in den zurückliegenden Tagen zwar keinen Angriff. Aber in der Nacht zum Unabhängigkeitstag schlug in der Großstadt Dnipro, rund 400 Kilometer südöstlich, eine russische Rakete ein. Der Busbahnhof am Rande der Innenstadt und einige Imbissstände wurden zerstört. Auch umliegende Wohngebäude wurden beschädigt. Sieben Menschen seien dadurch verletzt wurden.

Am Kyjiwer Hauptbahnhof ist es am Feiertag vergleichsweise ruhig. Vor der Sicherheitskon­trolle, wo das Gepäck der Reisenden wie am Flughafen durchleuchtet wird, gibt es nicht mal eine Warteschlange. Die Züge fahren pünktlich, wie fast immer. Wenn man es nicht wüsste, würde man vom Feiertag kaum etwas bemerken. Nur Schaffner Juri hat sich aus Anlass des Tages ein Hemd mit einer volkstümlichen, blauen Stickerei am Kragen und auf der Brust angezogen.

Kurz vor 15.30 Uhr heulen dann die Sirenen: Praktisch landesweit wird Luftalarm ausgelöst.

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1 Kommentar

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  • Ein multilateraler Blick auf zerschossenes, scharfkantiges, explosives und waffenstrotzendes militärisches Angriffsgerät verlangt quasi immer auch aus der Sicht der Medizin nach einer Frage, die man hier im Zusammenhang auch als die eines 'Advocatus Diaboli' verstehen könnte: "Saßen da vor und beim Erobern auch Leute drin?..."



    Eine 'gute' Geschichte wäre die vom Sich-Kampflos-Ergeben oder die von Überläufern, alles andere ist humanitär kompliziert, denn dann wäre die Maschine möglicherweise auch ihren uniformierten (vielleicht uninformierten) "Maschinisten" zum Grab geworden. Wie lange soll so etwas im 'Abnutzungskrieg' dauern? Von Reisenden und Helfenden hörte ich Geschichten, die an die Sechziger Jahre erinnern: Amputiere, psychisch Traumatisierte, Verbrannte.



    Wenn es jetzt schon klar ist, dass verhandelt werden muss, was sagen wir den Opfern von morgen und übermorgen, woran ihr Schicksal hing?



    Und dann auch der Blick zur Gegenseite, die in der Regel verteufelt wird, ohne auf humanitäre Details zu achten:



    Was wurde aus vom Westen gelieferten Panzern, die nach Abschluss oder Eroberung in russischer Hand sind? Wer die Bilder der Weltkriege jetzt aus dem Archiv zum Vergleich heranzieht, sieht deutliche Parallelen.



    Wer Kriegsgerät in Paraden auffährt, um der Technik lediglich kritiklos zu huldigen, hat für mich auch etwas zweifelhaft Diabolisches.



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    Mey, Wader, Wecker sangen gegen den Krieg, ein englisches Lied in der deutschen Übersetzung, in dem es um das Sterben junger Menschen in der Champagne geht, der Text ging mir niemals mehr aus dem Gedächtnis. Als Kinder besuchten wir noch häufiger Soldatenfriedhöfe, auch die der Russen in der Nähe von "Haus Spital".



    Die eingemeißelten Daten konnten wir entziffern, die Schrift erst später dürftig lesen.