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Verbandschefin über Abtreibungen„Die Ärz­t*in­nen werden beschimpft“

Abtreibungen sind für Ärz­t*in­nen nach wie vor mit viel Hürden und Ärger verbunden. Verbandschefin Doris Scharrel über die Lage in Schleswig-Holstein.

Gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch: Demonstration selbsternannter Le­bens­schüt­ze­r*in­nen Foto: Christian Spicker/imago
Esther Geisslinger
Interview von Esther Geisslinger

taz: Frau Scharrel, immer wieder werden Frauenärzt*innen, die in ihren Praxen Abtreibungen anbieten, von so genannten Le­bens­schüt­ze­r*in­nen bedroht, mit Hassmails oder mit Protesten vor den Praxen. Wie ist die Lage in Schleswig-Holstein?

Doris Scharrel: Diese selbsternannten Le­bens­schüt­ze­r*in­nen gibt es schon länger. Sie waren bisher im Süden Deutschland aktiver als im Norden. In Schleswig-Holstein erlebten wir Proteste vor den Praxen nur in Einzelfällen. Doch seit der Aufhebung des Paragraphen 219a im Strafgesetzbuch stellen mehr Praxen das Angebot auf ihre Web-Seiten. Seither kommen neue Gruppen oder Einzelpersonen dazu, die sich, sagen wir mal, moralisch erheben und Frauenärz­t*in­nen beschimpfen, die Abbrüche durchführen.

Der Paragraph 219a, der Werbung für Abtreibungen unter Strafe stellte, wurde im vergangenen Jahr aufgehoben. Diese Reform galt als Durchbruch. Sie klingen aber nicht begeistert.

Viele Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche machen, fühlen sich allein gelassen. Rechtlich ist eigentlich alles geregelt: Wenn das Leben der Frau in Gefahr ist oder wenn die Schwangerschaft Folge einer Straftat ist, ist ein Abbruch nicht rechtswidrig. Schwangerschaftsabbrüche nach Beratungsregelung sind rechtswidrig, aber straffrei. Für die betroffenen Frauen ist rechtlich alles gut geregelt, aber Ärz­t*innen fühlen sich in der Umsetzung nicht unterstützt oder sogar diskriminiert.

Woran liegt das?

privat
Im Interview: Doris Scharrel

studierte Medizin in Münster und Kiel, machte ihre Facharztausbildung am Universitätsklinikum in Kiel und war 25 Jahre lang niedergelassene Frauenärztin in eigener Praxis in Kiel-Kronshagen. Seit 2012 setzt sie sich als Landesvorsitzende im Berufsverband der Frauenärzte für die Belange ihrer Kol­le­g*in­nen und Pa­ti­en­t*in­nen ein.

Den rechtlichen Rahmen bilden zwar das Strafgesetzbuch, das Schwangerschaftskonfliktgesetz und Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses. Aber die Zuständigkeit für die Umsetzung in den Einrichtungen, in denen Abbrüche durchgeführt werden, liegt bei den Ländern. In einigen Bundesländern, auch in Schleswig-Holstein, müssen Praxen zahlreiche administrative Voraussetzungen erfüllen, die junge Ärz­t*in­nen scheuen, wenn sie einen Kassensitz übernehmen. Generell ist die Bereitschaft der Niedergelassenen hoch, aber die Regeln stellen hohe Hürden dar, und das merken wir im Flächenland. Schon heute fahren Frauen für einen medikamentösen Abbruch aus Nordfriesland nach Lübeck.

Wie ist die Lage im Land denn überhaupt?

144 Frau­en­ärz­t*in­nen in Schleswig-Holstein haben die Voraussetzungen für ambulante Operationen, nur 77 machen Abbrüche. Das ist zurzeit ausreichend, aber 30 Prozent der Ärzt*in­nen gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Das kann die Lage verschlechtern.

Wie sieht es mit Krankenhäusern aus? Dort finden doch auch Abtreibungen statt?

Frauen haben das Recht, den Arzt und den Ort des Schwangerschaftsabbruches zu wählen. Dabei gibt es regionale Unterschiede in den gewachsenen Strukturen. In Berlin finden 90 Prozent ambulant in Praxen statt, in Schleswig-Holstein nur 50 Prozent. Hier ließe sich, gerade wegen des Fachkräftemangels in den Kliniken, in die ambulante Versorgung umsteuern.

Welche Probleme befürchten Sie in der Zukunft?

Eine Verschlechterung der politischen Lage. Um das klarzustellen: Einzelne Le­bens­schüt­ze­r*in­nen oder Proteste gab es immer, genau wie es Internetportale gibt, in denen Praxen kritisiert werden, manchmal sehr hart und ungerecht. Ich rate Betroffenen dazu, solche Dinge zu ignorieren. Der juristische Weg ist aufwendig und teuer. Das kostet Nerven und Zeit. Ein Kollege in einem anderen Bundesland prozessierte gegen eine Menschenkette vor seiner Praxis und erreichte, dass die Demonstration zeitlich eingeschränkt wurde – aber was für ein Aufwand!

Also nicht die Trolle füttern, die gute alte Internet-Regel. Aber was könnte dann gefährlich werden?

Dass der politische Druck wächst. Rechtliche Rahmenbedingungen müssen so rechtssicher sein, dass sie Frauen und Ärz­t*in­nen dauerhaft schützen. Wir müssen nur in andere Länder schauen, in die USA oder nach Polen, um zu sehen, wie schnell Frauenrechte eingeschränkt werden können.

Was könnte dann im Extremfall passieren?

Niemand sollte glauben, dass Frauen weniger abtreiben, wenn es verboten ist. Aber die Mortalität steigt, auch weil Frauen in ihrer Verzweiflung medizinisch veraltete, gefährliche, illegale Methoden von unqualifizierten Personen durchführen lassen. Und es gibt extreme Methoden wie Seifenabbrüche mit einer hohen Todesrate. Abbrüche, die Fachärz­t*in­nen sicher und qualifiziert durchführen, können die Frauen schützen und einen späteren Kinderwunsch und die Komplikationsrate in einer Schwangerschaft senken. Dieses funktionierende System mit Schwangerschaftskonfliktberatungen und einer Durchführung der Abbrüche in staatlich genehmigten Einrichtungen durch Fach­ärz­t*innen müssen wir erhalten.

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2 Kommentare

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  • Nein, wir brauchen keine verpflichtende Konfliktberatung (ein freiwilliges Angebot für die, die im Zwiespalt sind, allerdings schon). Wir brauchen keine Politik, die in die körperliche Autonomie von Frauen eingreift. Wir brauchen ein System, das Frauen endlich zutraut, eine qualifizierte und zum Leben passende Entscheidung pro oder contra Kind zu treffen. Wir sind nämlich nicht die Gebärmaschinen des Staates.

  • Wäre das nicht einmal etwas, wo ein liberaler Justizminister Fakten zugunsten der Frauen schaffen könnte, sollte, ja müßte ? In zwei Jahren haben wir womöglich wieder solch einen religiös verbrämten, der ganz sicher dort restaurativ wirkt.



    Da wäre die FDP wenigstens 1mal für etwas gut, abgesehen von Frau Strack-Zimmermanns Einsatz pro Ukraine.