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Wenn der Gast eine Pizza bestelltBitte ganz viel Prozent auf To-go

Jörn Kabisch
Kommentar von Jörn Kabisch

7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen wird das Gastronomiesterben nicht stoppen. Die Geringschätzung von Gastlichkeit hält keine Subvention auf.

Geht immer, besonders zu niedrigen Prozenten: Pizza Foto: Eugenio Marongiu/imago

V or ein paar Wochen klingelte es, obwohl die Gasthaustür weit offen stand. Ich wartete ein bisschen, aber trotzdem: Der Klingler wollte nicht freiwillig ins Haus kommen. Am Hund konnte es nicht liegen, der war weit weg hinten im Garten. Ich schaute neugierig aus dem Haus. Mit gehörigem Sicherheitsabstand stand auf dem Gehweg ein Pizzabote, den großen Karton auf dem Arm und schaute mich entschuldigend an: „Haben Sie Pizza bestellt?“, fragte er.

Ich schaute meine Schürze hinunter und sagte: „Nein.“ „Vielleicht einer der Gäste?“, setzte er nach. „Vielleicht“, sagte ich, drehte mich um und brüllte so, wie es sich für einen Wirt eigentlich nicht gehört, ins Treppenhaus: „Pizza ist da!“ Ich kannte den Verdächtigen, an diesem Nachmittag hatte erst ein Gast eingecheckt. Und der tauchte kurze Zeit später verärgert auf. Vorwurfsvoll sagte er zum Mann vom Lieferdienst: „Ich hatte doch darum gebeten, dass Sie anrufen, wenn Sie da sind.“ Ich kam mir langsam vor, als wäre ich nicht in die Übergabe einer labberigen Pizza geplatzt, sondern von ein paar Gramm Haschisch. Wenigstens Schuldbewusstsein ist noch da, dachte ich, aber nicht mehr viel.

Ich muss ein bisschen ausholen, um zu erklären, wie diese Geschichte mit der Debatte um die Mehrwertsteuer in der Gastronomie zusammenpasst. Zu Zeiten der Pandemie sind die bis dahin üblichen 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt worden, um die Branche, die von den Coronamaßnahmen besonders betroffen war, zu unterstützen. Schon im vorigen Jahr ist die Steuererleichterung, die nur für Speisen, aber nicht für Getränke gilt, um ein weiteres Jahr verlängert worden, wegen des Krieges, der Inflation, der hohen Energiekosten, des Mindestlohns. Und die Lobbyverbände machen wieder mobil. 7 Prozent für immer, am besten auch auf Getränke, sonst besiegele die Regierung das Gastrosterben endgültig.

Klar, ich nehme die 7 Prozent gerne mit, aber ich finde – als Bürger – all diese Mehrwertsteuerdiskussionen im Hotel- und Gaststättenbereich inzwischen nur noch nervig. Ständig kommt irgendjemand um die Ecke und fordert eine Ermäßigung oder eine Erhöhung. Angefangen hat das alles 2009, als auf Initiative der FDP die Mehrwertsteuer auf Übernachtungen im Hotel von 19 auf 7 Prozent gesenkt wurde. Weil die Partei kurz vorher eine Großspende einer Hotelkette erhalten hatte, auch Mövenpick-Steuer genannt. Was es seitdem nicht alles an Vorschlägen gibt: Steuer auf Fleisch hoch, für Kantinen runter, auf Zucker hoch, für Obst und Gemüse runter. Oder für Lebensmittel ganz weg. Aber wer glaubt schon, dass Markus Söder das ernst meint?

Alles außer Hundefutter

Wenn ich vor meiner Buchhaltung sitze, ärgern mich die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze nur: Getränke 19 Prozent, Lebensmittel 7 Prozent, Waren aus der Drogerie 19 Prozent, außer Hundefutter, da zahlt man nur 7. Die Gründe für die unterschiedliche Besteuerung sind allenfalls historisch. Ich muss auf meinen Hotelrechnungen unterschiedliche Sätze aufführen. Übernachtung und Speisen 7, Getränke 19 Prozent. Alles will eigens verbucht werden. Was das an Zeit kostet, kann mir keine Steuersatzermäßigung der Welt ersetzen.

Im Übrigen ist die hohe Umsatzsteuer nicht am Gastronomiesterben schuld, der niedrigere Satz wird den Umbruch der Branche nicht aufhalten, nur bremsen. Das entnehme ich aus den Zahlen des Hotel- und Gaststättenverbandes, die als Argumente gedacht sind, mit der geringeren Mehrwertsteuer weiterzumachen. In den vergangenen vier Jahren habe es historische Einbrüche gegeben, zuletzt ein Umsatzminus von über 12 Prozent. 36.000 Betriebe hätten aufgegeben, 16 Prozent aller Hotels und Gaststätten. Nur: In der Zeit war der Steuersatz schon ermäßigt, teilweise auf 5 Prozent. Die Zahl der Insolvenzen dagegen ist, gegenüber den Zeiten von vor Corona, verblüffend niedrig. Eine Pleitewelle gab es nie. All das spricht für mich dafür, dass viele Gastronomen die Coronazeit genutzt haben, Bilanz zu ziehen und einem Geschäftskonzept, das schon vorher nicht rentabel gewesen ist, den Stecker zu ziehen. Ob die Mehrwertsteuerlast bei solch grundsätzlichen Erwägungen ausschlaggebend war? Das bezweifle ich.

Ob mit 7 oder 19 Prozent, die grundlegenden Probleme bestehen fort: Es fehlt Personal, die Mieten werden – vor allem in den städtischen Bereichen – inzwischen auch für Gastronomen untragbar, und die behördlichen Auflagen sind ungleich höher, wenn man eine Voll­gastronomie führt und Leute an Tischen Platz finden sollen. Das führt zu dem großen Umbruch in der Branche, der inzwischen vom Imbiss- und To-go-Geschäft geprägt ist. Da braucht es nicht so viel Personal, man arbeitet auf kleinsten Raum, die Menschen essen zu Hause oder auf der Parkbank. Sie sind es manchmal nicht mehr anders gewohnt, wie ich im weiteren Gespräch mit meinem Pizza bestellenden Gast erfahren sollte. Der Mann wollte sich nicht in den Gastraum setzen.

Und wissen Sie was? Die Politik unterstützt das. Für Essen zum Mitnehmen und Lieferdienste gelten seit eh und je die 7 Prozent. Das wird auch ab 2024 so bleiben. Also wenn schon an der Mehrwersteuer geschraubt wird, dann bitte, Herr Lindner, vereinheitlichen Sie die Sätze und machen Sie, wenn ich ins Pizzaliefergeschäft einsteige, dass ich auch 19 Prozent auf die Margherita nehmen muss, wie jeder andere Gastronom auch.

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Jörn Kabisch
Autor
Wirt & Autor für taz und FuturZwei
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13 Kommentare

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  • Ich wohne seit 25 Jahren in einem Mietshaus. Dieses Jahr sind zum ersten Mal Ratten im Keller aufgetaucht.

    Die Müllbehälter an den Bänken in meiner Straße sind voll mit To-Go Verpackungen voller Essensreste. Der Rest der Straße auch. Ob es nun die Krähen sind, die den Müll verteilen, oder die Flaschensammler, oder rücksichtslose Konsumenten ist egal: Für Ratten, Kakerlaken u.a. ist reich gedeckter Tisch.

    Ich halte aus Einwegverpackunge im Park zu essen und zu trinken mittlerweile nicht mehr für Lebensart sondern schlicht für asozial.

    Liefern lassen ist zwar auch eine monumentale Fehlentwicklung, aber To-Go erst recht.

  • Das To-Go-Life resultiert hier im Städtischen Umfeld auch in Unmengen an One-Way-Verpackungen überall. Als wäre den Leuten ihr Müll - der Müll - komplett egal. Kaum jemand bringt sich seine Boxen mit wenn sie im Imbiss oder Mittagstisch-Locations was 'Rausholen'. Und wenn sind das erschreckenderweise eher ältere (50+) Leute.

  • Früher war Essen gehen eine Seltenheit, etwas Besonderes. ToGo oder liefern lassen kam praktisch gar nicht vor. Die meiste Zeit wurde zu Hause selbst und frisch gekocht. Ich kenne das noch, Muttern stand "hauptberuflich" hinterm Herd. Essen gehen gab es nur zu Geburtstagen oder anderen feierlichen Anlässen, eine Pizza liefern lassen alle Jahre mal wenn man bei den Paten mal für ein Wochenende abgeliefert wurde.

    Heutzutage: Alles Schnell Schnell, Fast Food und "billig" (sowohl bei den Zutaten als auch beim Preis). Ist kaum verwunderlich, es kocht ja auch so gut wie keiner mehr selbst zu Hause. Ob sich dieser Trend in absehbarer Zeit wandeln wird ? Wir werden sehen.

    • @SeppW:

      ....na ja, bei den Energiepreisen zuhause kochen...und die italienische Einbauküche bleibt so auch gepflegter...

    • @SeppW:

      "Früher war die Welt noch in Ordnung". Aber mit dieser verklärten Nostalgie ist es auch nicht weit her, denn was heißt schon "frisch kochen"? Das ist einerseits auch ein sehr dehnbarer Begriff und andererseits eben dem Umstand geschuldet, dass jemand über die Zeit verfügt, dies auch zu tun bzw. anders gesagt, dazu verdonnert wird, es zu tun. Das ist eben auch ein Aspekt der Kehrseite einer Versorger/Hausfrauenehe.

      Heute leben wir aber in völlig anderen Zeiten, nicht nur, dass die meisten Frauen keinen Bock mehr haben ihrem Dasein mit kochen und waschen zu fristen, sind heute zwei Gehälter häufig zum über die Runden kommen notwendig. Ab und an ist da (zumindest für viele) auch ein Restaurantbesuch drin. Gleichzeitig hat sich die Arbeitswelt auch entsprechend verändert. Es ist heute undenkbar, dass ein wesentlicher Anteil weiblicher Beschäftigter nicht mehr arbeitet. Diese Veränderung bemerkt man sowohl in den Kochfähigkeiten vieler Menschen, aber auch in den mangelnden Zeitressourcen. Wer nach etlichen Stunden anstrengender Arbeit nach Hause kommt, will häufig nicht noch erstmal ne Stunde am Herd stehen. Teils mangelnde Fähigkeiten verbinden sich hier mit Zeitmangel und Bequemlichkeit: Die Pizza ist schnell bestellt und wird geliefert, das Fertigessen ist schnell in der Pfanne oder der Mikrowelle - zumal die Pfannengerichte auch keine schlechte Qualität haben.

      Ich glaube, die Branche leidet u.a. auch am Überangebot an Restaurants und Imbissen, d.h. sie kannibalisiert sich selbst.

  • "Ständig kommt irgendjemand um die Ecke und fordert eine Ermäßigung oder eine Erhöhung"

    Ja genau. Jeder, wies für ihn gerade passt. Wer nicht ausliefert, nicht ToGo anbietet und nicht vom Kunden mit dem schmalen Taler abhängig ist, kann natürlich so argumentieren:

    "Also wenn schon an der Mehrwersteuer geschraubt wird, dann bitte, Herr Lindner, vereinheitlichen Sie die Sätze, und machen Sie, wenn ich ins Pizzaliefergeschäft einsteige, dass ich auch 19 Prozent auf die Margherita nehmen muss, wie jeder andere Gastronom auch."

    Warum der Kunde nicht im Gastsaal sitzen wollte, kann viele Gründe haben. Das letzte Mal, als ich das gemacht habe, musste ich spät abends im Gasthaus nach vollendetem Arbeitstag am Laptop noch das Projekt für den nächsten Tag koordinieren. Das wäre weder für andere Gäste noch für meine Arbeit angemessen gewesen, mich da in die Wirtschaft zu setzen.

    • @Deep South:

      Ganz meine Meinung. Die Politik geht viel zu wenig auf die Bedürfnisse der Menschen ein, die nach einem langen Arbeitstag spätabends noch am Laptop Projekte koordinieren müssen. Das Steuer und Arbeitsrecht müsste diesbezüglich gründlich überprüft werden.

      • @moonwatcher:

        Ich muss dazu sagen, dass das als Selbständiger meine freie Entscheidung ist. Ich könnt auch 3 Stunden eher Schicht machen. Wenn ich aber am Ende der Woche dafür nen Tag frei hab, ist mir ein straffes Programm meist mehr wert, als jeden Abend pünktlich "Feierabend zu machen" und gemütlich noch ein paar Stunden im Hotel abzuhängen. Das entscheide ich aber ganz individuell.

    • @Deep South:

      Sie Essen beim Arbeiten? Was spricht dagegen im Gastraum zu essen und im Zimmer zu arbeiten?

      • @Helmut Fuchs:

        Die verfügbare Zeit. Wenn ich 20 Uhr in der Unterkunft ankomme und dann -wie in diesem Fall- noch etwa 2 Stunden Vorbereitung für den nächsten Tag habe, dann geht das halt einfach nicht.

  • Die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen durch die FDP war übrigens auch ein Bärendienst für alle, die Dienstreisen gemäß Bundesreisekostengesetz abrechnen.

    Vorher waren die Kosten fürs Frühstück Teil der Übernachtungskosten und wurden vollständig ersetzt. Durch die Absenkung musste das Frühstück gesondert auf der Rechnung ausgewiesen werden, und man bekam nur noch die Verpflegungspauschale, die deutlich darunter liegt. Seitdem verzichte ich aufs Hotelfrühstück und hole mir stattdessen einen deutlich günstigeren Snack aus der nächsten Bäckerei.

  • Die ersten 2/3 des Textes sind ein guter Artikel. Natürlich ist es richtig, die Subvention für Restaurants wieder aufzuheben. Es gibt kein Argument fürs beibehalten, ansonsten müsste man es generell einführen.

    Ich gehe übrigens wochentäglich essen, es wird mich also ganz direkt betreffen. Dennoch.

    Die Polemik gegen das "To Go", gerade gegen das Pizza To Go ist allerdings überflüssig. Es gibt Gründe für den Unterschied. Bei dem einen steht die Gastlichkeit und das Vergnügen im Vordergrund, beim anderen das reine, pappige, Essen.



    Es wäre eine Steuererhöhung, auch die Abholung zu verteuern.

    • @Mangahn:

      Vor allem wäre es nicht zu rechtfertigen, die Pizza im Karton höher zu besteuern als die Pizza in Plastikfolie.



      OK letztere muss noch in den Ofen, aber auch im Supermarkt gibt es Lebensmittel, die fertig zum Verzehr zubereitet sind.



      Hier die Grenze zwischen kann ich direkt essen und muss ich warm machen zu ziehen würde die unterschiedliche Besteuerung noch absurder machen als sie ohnehin schon ist.