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Arbeitsethos der Generation ZPläne mit K am Anfang

Uli Hannemann
Kolumne
von Uli Hannemann

Liegt die Jugend von heute nur noch auf der faulen Haut, sobald die Schule rum ist, wie einschlägige Boulevardblätter insinuieren?

Die Wahrheit liegt auf der Luftmatratze, und da liegt sie auch gut so Foto: Deb Schwedhelm/plainpicture

H urra, die Schule ist aus! Zum Teil sogar für immer: Auf alle Kinder, die das Jahr mit einem Abschluss beendet haben, wartet nach dem Sommer eine Aus- oder Weiterbildung, ein ambulanter Job oder auch die Uni.

Auf „alle Kinder“? Nein, denn allein in Deutschland haben über 560.000 junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren andere Pläne, die oft mit einem K beginnen: keine. Vom Statistischen Amt der EU (Eurostat) werden sie „NEETs“ genannt: „Not in Education, Employment or Training“. Manche erholen sich von einer Schulzeit ohne Toi­letten, Turnhallen und Lehrer, andere engagieren sich ehrenamtlich, suchen Selbsterfahrung, bereits Ältere machen ein Sabbatical – es gibt nun mal mehr als die Lohnarbeit.

Ein wenig anders sieht das die Berliner B.Z.: „Zehntausende Jugendliche tun gar nichts“, übertitelt sie einen Text, der sich mit der steigenden Zahl der NEETs speziell in Berlin befasst – hier sind es (bei den 15- bis 24-Jährigen) über 33.000, und ihre Zahl ist in den letzten drei Jahren gestiegen. Dabei dürften allerdings auch die psychischen Nachwirkungen der Pandemie eine Rolle spielen. 2012 waren die Zahlen übrigens noch deutlich höher als 2022 – die Aufregung könnte sich also in Grenzen halten.

Doch im Gegenteil. In der B.Z. ist ausschließlich von Orientierungslosigkeit die Rede. Sie scheint „NEETs“ für das englische Wort für „Nieten“ zu halten, denn hehre Gründe für die K-Pläne bleiben unberücksichtigt. Ob hinter der amtlich notierten Untätigkeit ein freiwilliges soziales Jahr oder die Mithilfe bei einem Schildkrötenprojekt steckt, erfasst die Eurostat-Studie nämlich nicht – aufgeschlüsselt wird allein nach Bildungsgrad, Geschlecht oder Stadt und Land. Trotzdem wird im Artikel den NEETs penetrant eine irgendwie schuldhafte Schwäche unterstellt, jede reifliche Abwägung der Zukunftspläne, sei es auf Reisen oder in Gottes Namen auf dem Sofa, als eine Art grundsätzliche Lebensuntauglichkeit geframet: Den kleinen Faulpelzen muss man einfach nur mal kräftig in den Arsch treten. Entsprechend möchte die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) für beschäftigungslose Abgänger nach der zehnten Klasse ein 11. Pflichtschuljahr einführen, das an Berufsschulen absolviert werden soll. Eine Strafrunde, wie beim Biathlon.

Birth, School, Work, Death

Vielleicht ist für die Generation Z das begehrte Fleißkärtchen ja bloß noch der schwarze Peter, den keine haben will. Work-Life-Balance steht bei ihr hoch im Kurs, eben nicht nur im Arbeitsalltag, sondern auch auf ganze Lebensphasen bezogen. Ein selbstzerstörerisches, protestantisches Arbeitsethos scheint bei ihr nicht mehr in dem Maß zu ziehen wie bei früheren Generationen mit ihrem Ackern, Saufen, Fernsehen, Sterben. Hinzu mag ein Gefühl der Ohnmacht kommen: Die Welt geht eh unter; warum sollen wir uns 14/6 einen Wolf schrubben, anstatt die Zeit für die Lösung wirklich wichtiger Probleme zu nutzen? Natürlich ist auch Orientierungslosigkeit ein Faktor. Der unsicher und schnelllebig gewordene Arbeitsmarkt führt eher zur Mutlosigkeit als dass er zu mehr Tempo animiert. Apropos Tempo.

Die Älteren haben gut reden: Denn wo mittlerweile ein verschultes Studium durchgepeitscht wird, konnte man früher die eigene Orientierungslosigkeit perfekt ins Studium integrieren: nebenher arbeiten, öfter mal das Fach wechseln, fett feiern und nach 25 Semestern wird das „Silberstudium“ begossen. Heute geht das so doch gar nicht mehr. Wem möchte man da verdenken, vorher noch ausgiebig die Schildkröten auf Bali zu füttern? An deren Gechilltheit könnten sich die Alarmisten mal ein Beispiel nehmen.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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21 Kommentare

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  • Man kann in die neue Lust- und Orientierungslosigkeit einen neuen Lebensentwurf hineininterpretieren, wenn man es sehr wohlwollend betrachten möchte. Nur muss auch irgendwer für den Indicidualismus der GenZ aufkommen. Denn ich sehe keinen Purismus bei den jungen Menschen heute. Die wollen durchaus ihren Komfort haben aber dennoch Dauerchillen. Zahlen sollen dann die Eltern oder später das Jobcenter auf Kosten aller. Ich erkenne da keinen zukunftsweisenden Lebensweg.

  • Wenn sie Freude dabei haben ist das für mich (83er Jg) völlig OK. Ich geh' auf Teilzeit und hab den Gemüsegarten für mich entdeckt. Echt gute Mischung.

  • Meine beiden Töchter 22 und 24 haben nach ihrem G12 Abitur ein bzw. zwei Jahre, so wie die meisten in ihrem Turbo-Abi Jahrgang, in der großen weiten Welt zugebracht, z.T. mit work and travel.



    Das hat ihnen richtig gut getan. Als ich beide nach ihrem Auslandsaufenthalt wiedersah hatte ich das gute Gefühl sie hatten in ihrer persönlichen Entwicklung einen Riesensprung gemacht.



    Jetzt studiert die eine Chemie und die andere Physik.



    Vielen, die jetzt so laut schreien, hätte eine Persönlichkeitsentwicklung, in dieser Richtung, auch gut getan.



    Nebenbei habe ich den Eindruck, dass über Jugendliche und junge Erwachsene, die etwas anders als die Elterngeneration machen wollen und Verantwortung auf ihre Weise übernehmen, wie in "Fridays for future", Foodretter, "Last Generation" uva. insbesonders auch in der "Veröffentlichten Meinung" hergezogen wird.



    Vielleicht ist das nur mit einem schlechten Gewissen eines Teils der älteren Generation zu erklären.

  • Ich dachte in Deutschland gibt es 12 Jahre Schulpflicht. Der Besuch der Berufsschule erfüllt diese Pflicht bei Schulpflichtigen, alle die nach 9 oder 10 Jahren Schule keine Audbildung im dualen System machen, müssen sich trotzdem irgendwo beschulen lassen, oder nicht?

    • @JanRockatansky:

      Bitte was? 12 Jahre Schulpflicht? Ist das ein Scherz? 9-10 Jahre, je nach Bundesland, dann hat sich die Pflicht, ebenso wenn man 18 wird.

  • "An deren Gechilltheit könnten sich die Alarmisten mal ein Beispiel nehmen."

    Würden die auch machen wenn sie nochmal jung wären. Aber die wollen halt den Glauben verbreiten man ist nur was wert wenn man körperlich hart in Säureminen gearbeitet hat.

    • @Mini Futzi:

      Unsere Kids sind von Minecraft kaum zu trennen. Die heutigen Kinder wollen in die Säureminen!

      • @Der dreckich Katz:

        ich würde stolz sein minecraft ist geil lass deine kinder spass haben

  • Sinnfreier Kapitalismus führt halt dazu das immer mehr junge Menschen nicht mehr mitmachen. Richtig so.

    • @Andreas J:

      Was ist denn "sinnfreier Kapitalismus"

      • @Tom Tailor:

        Kapitalismus der auf Ausbeutung von Mensch und Umwelt basiert, zur Konzentration von Reichtum auf wenige führt und nicht zum Gemeinwohl beiträgt. Zum Selbsterhalt fördert er antidemokratische Bestrebungen. Das da immer mehr Menschen und gerade jüngere keine Lust drauf haben ist nicht weiter verwunderlich.

        • @Andreas J:

          Oh gerade junge Menschen fröhnen weiter dem Kapitalismus. Die verdienen nur das Geld nicht selbst, sondern lassen länger die Eltern zahlen. Gebraucht geht bei vielen gar nicht. Smartphone muss weiter das neueste sein. Produkte mit Apfel im Logo werden vorausgesetzt.



          Das hat auch nur einen Erziehungsstil zu tun, nach dem jedes Kind ja das beste ist, selbst wenn ein Kilo Mett mehr IQ hat.



          Anlage von Geld? Zu kompliziert, machen die Eltern oder die ersatzbeste Bank. Arbeit? Warum? Das Geld im durch die Welt zu fliegen kommt von den Eltern.



          Das einzige was draußen ist: man muss sich Urlaub nicht selbst erarbeiten. Wenn man etwas braucht sorgt Helikoptermama dafür, dass Papa es zahlt.



          Die Selbstwahrnehmung ist dabei total falsch. Die Azubis der letzten Jahre sind real ob im kaufmännischen oder gewerblichen Bereich bei uns immer schlechter. Glauben aber schon viel mehr zu können, und einfache Tätigkeiten ist etwas für andere. Eben für Mutti die hinterherputzt.



          Das System funktioniert, solange Mami oder Papi Geld geben können.



          Und die haben oft noch genug. Es ist eine Anspruchshalterung alles zu bekommen und möglichst nichts zu geben die eben reiner Kapitalismus ist. Mit möglichst wenig Einsatz viel erreichen.



          Und das geht auf Kosten der älteren Generationen.

        • @Andreas J:

          In Anbetracht der Tatsache, daß die meisten jungen Leute sich mit technischen Geräten umgeben, deren Herstellung auf Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur beruhen, und auch sonst eher einem eher gegozentrischem Lebenswandel frönen, halte ich Ihre Aussage mindestens für kühn :D

          • @Tom Tailor:

            Die gibt es auch, aber ich kenne jede Menge junge Menschen die sehr reflektiert sind. Die Alten finde ich um längen egozentrischer.

        • @Andreas J:

          Triffst es, meiner Meinung nach, genau auf den Punkt, danke dir! Ich empfinde es auch als vollkommen verständlich. Zudem empfinde ich es als völlig vermessen, wenn Menschen, deren Schulzeit 30 Jahre her ist, nun behaupten die jungen Menschen seien faul o.Ä., mit dem Zusatz wie schwer man es ja früher hatte. Dabei werden die Herausforderungen der heutigen Schüler*innen kein Stück bedacht, die Situation kann überhaupt nicht nachempfunden werden.

          • @LaR:

            Was für "Herausforderungen" denn? Und inwieweit sind diese andere als solche vor 30 oder 40 Jahren?

        • @Andreas J:

          "Zum Selbsterhalt fördert er antidemokratische Bestrebungen."

          Ein sehr interessanter Satz. Man ersetzte "Konzentration von Reichtum auf wenig" durch Konzentration von Entscheidungsgewalt von Reichtum auf wenige" und schon landet man bei all den sozialistischen TryOuts.

          Das Ding ist, dass die kapitalistischen Demokratien es in vielen Fällen gekonnt geschafft haben, die Macht der wenigen einzudämmen und die positive Arbeit und Ideen der vielen anderen "Kapitalisten" positiv zu nutzen.

          Sozialismus ist dialektisch nur die Weiterentwicklung des Kapitalismus und beinhaltet daher immer auch alles Positive des Kapitalismus.

          • @Rudolf Fissner:

            Elon Musk, Peter Thiel und wie sie alle heißen unterstützen finanziell genau solche antidemokratischen Bestrebungen. Auch die AFD wurde von einem Unternehmensmillionär mit einer Großspende bedacht. Das mit Sozialismus zu kontern ist billig. Den Kapitalismus zu kritisieren heißt noch lange nicht das man Sozialismus will. Eine soziale Marktwirtschaft die den Namen verdient ist auch eine Form des Kapitalismus. Aber mit anderen Regeln als es zur Zeit der Fall ist.

  • „Pflichtschuljahr“: lehre Drohung, gibt ja jetzt schon viel zu wenig Lehrerinnen in Berlin. Im Übrigen gilt „Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt.“

  • Sehr guter Artikel. Ich bin Jg. '54, aber gefühlt ein Z-ler (Generation, nicht politisch).