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Drogenkonsum in BerlinMehr Platz für Junkies

Die Drogen werden härter, die Stimmung aggressiver und das Treppenhaus unserer Autorin wurde zum alternativen Drogenkonsumraum.

Blick über das Kreuzberger Viertel links und den Amazon-Tower rechts Foto: Emmanuele Contini/imago

W as für Leute mit Swap-ETFs oder Bitcoin-Fonds der Aktienindex, ist für Leute wie mich der Preis für einen Döner oder eine Kugel Eis. Leute wie ich denken beim Wort Anlagestrategien nicht an eine goldene Zukunft, sondern an die Beerdigung, die man sich nicht mehr wird leisten können.

In meinem Kreuzberger Viertel gibt es einen Eis- und zwei Dönerläden, einwanderergeführt in der zweiten und dritten Generation. Die Döner essen nur Touristen, Anwohner die billigere und bessere Pansensuppe. Die Kugel Eis hingegen ist hier nur was für Besitzer von Swap-ETFs. Sie kostet 3 Euro (Eiskugeldurchschnittspreis in Deutschland: 1,62 Euro).

Mein Wohnviertel ist kein Bessere-Leute-Viertel. Es ist eine Schmuddelecke. Immer gewesen. Es gibt Reste alternativer Lebensentwürfe aus den 1980ern (1 Bäcker, 1 Bioladen, 1 Sprachschule, Kinderläden). Aber es gibt keinen Optiker, nicht mal dm. Es gab einen Slum, da steht jetzt die Büroanlage „Cuvryspeicher“ leer. Der Möbeldesignladen, der erst einen Friseur und dann ein Tattoostudio in sein Konzept integrierte, hielt keine zwei Jahre. Die einzigen neuen Läden, die laufen, sind der für Hanfbedarf und das Nagelstudio, das die Wäscherei/Reinigung ersetzt hat.

Klar ist hier Gentrifizierung, aber der Häuserbestand ist nicht sonderlich prächtig. Das kleine Viertel wäre nicht weiter der Rede wert. Erst die Ansiedlung diverser Betreiberfirmen, die die wachsende Drogennachfrage durch Partytouristen bedienten, machte es berühmt.

Die Sache ist explodiert

Lange war ich der Meinung, der Drogenverkauf sei ein Glücksfall: Für die ganz Reichen war es abschreckend, mir jedoch erlaubten die Geschäftsöffnungszeiten, auch nachts unbekümmert durch den Park zu gehen, weil beim Dealer noch Licht brannte. Damals war es halt ein bisschen Gras, und die Dealer sahen so aus wie in „The Wire“, Staffel 1, der legendären Serie über den sozialen Brennpunkt Baltimore. Nun, ein paar Jahre später, sieht mein Viertel so aus wie in „The Wire“, Staffel 4. Spätestens seit mir der Dealer nachts die Haustür von innen öffnete und mein Treppenhaus zum alternativen Drogenkonsumraum wurde, ist mir die Broken-Windows-Theorie nicht mehr fremd.

wochentaz

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Seit der Pandemie ist die Sache mit den Drogen bundesweit explodiert. Nie in den letzten 20 Jahren war die Polizeipräsenz in meinem Viertel dichter, nie wechselten die Betreiberfirmen schneller, nie war die Stimmung aggressiver, die Drogen härter. Während die einen in leidlich sanierten Eigentumswohnungen mit Panzertüren die Junkies zu verbannen versuchen, vergammeln bei den anderen die Abwasserrohre, zerbröselt das Treppenhaus, lässt die Hausverwaltung Wohnungen leer stehen. Alle warten auf den Anschluss an die A100, auf Macher, Manager und Magnaten.

Im Unternehmerroman „Johann Holtrop“ schreibt Rainald Goetz von einem „Neubau, so kaputt wie Deutschland in diesen Jahren, so hysterisch, kalt und verblödet konzeptioniert wie die Macher, die hier ihre Schreibtische hatten, sich die Welt vorstellten, weil sie selber so waren, gesteuert von Gier, der Gier, sich dauernd irgendeinen Vorteil für sich zu verschaffen“.

Das Berlin von heute ist immer noch genauso kaputt. Der Neubau, der mein Wohnviertel in den Schatten stellt, ist das höchste Haus Berlins und von Amazon gemietet. Wenigstens eine der 37 Etagen als Drogenkonsumräume einzurichten, wäre nicht mal eine radikale Forderung als Ausgleich für die Anwohner.

Drogenkonsumräume sind Gesundheitseinrichtungen, das sollte auch Berlin endlich begreifen. Außerdem sind Barstühle, die nicht zueinanderpassen, längst bei Ikea zu kaufen. Mit „Make Drogenkonsumräume cool again“ könnte Berlin beim Tourifaktor „Außergewöhnlich“ wieder etwas aufholen.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.

7 Kommentare

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  • Solange gewisse Segmente der Berliner Politik Verwahrlosung nicht mal nur ignorieren, sondern sie als irgendwie liebenswertes Lokalkolorit abfeiern, wird sich nicht viel ändern.

    Und ja, die Broken-Window-Theorie stimmt - aber eben nur halb. Denn die Verwahrlosung, die mit "bunten" Graffiti und "herrlich respektlos" auf den Boden geworfenen Müll anfängt, sich mit den auf dem Fußweg ausgelegten Matratzen "zu verschenken" ausweitet und dann eben auch mal zum Slum oder offenem Heroinkonsum im Treppenhaus endet, senkt eben gerade nicht mehr die Mieten. Bis auf den offenen harten Drogenkonsum findet man all diese Phänomene z.B. auch im wohlhabenden Prenzlauer Berg.

    Da fragt man sich doch, warum man es in Berlin eigentlich nicht gleich halbwegs sauber und schön haben kann. Was übrigens auch aus Umweltschutzgründen begrüßenswert wäre - auch so eine Kreuzberger Blüte: der Bezirk, in dem die Grünen ein schon traditionelles Direktmandat einfahren, ist mit Abstand der mit der verschmutztesten Umwelt. Aber das wird dann immer geflissentlich ignoriert oder aber, siehe oben, zum irgendwie anheimelnden und unabänderlichem Großstadtflair hochgejazzt.

  • Dass bei der taz derart schlecht bezahlt wird, ist ein Skandal.

  • Der Autorin würde ein wenig mehr Selbstreflexion gut tun! Da schreibt sie über ihr fehlendes materielles Geldkapital, und vergisst dabei glatt ihr biographisches kulturelles und Bildungskapital! Und kokettiert daher zu Unrecht mit der Situation in ihrer Gegend, an der andere sicher wirklich leiden!

  • "Die Döner essen nur Touristen, Anwohner die billigere und bessere Pansensuppe."

    Ich wußte ja, dass es schlimm steht um Berlin. Aber das dann doch wirklich erschütternd.

    • @Deep South:

      Es handelt sich um eine traditionelle türkische Kuttelsuppe. Schmeckt sehr gut, wenn man Innereien mag.

      • @Suryo:

        Als ich noch kein Vegetarier war und nach 23 Uhr noch aus dem Haus, nachts um vier verstrahlt bei Hasir in der Adalbertstraße eine schöne Flecksuppe.

        Nichts brachte einen weiter nach vorn als das.

  • Es wäre schön, wenn sich endlich bei noch viel mehr Anwohnern die Erkenntnis durchsetzen würde, dass offener Drogenumschlag eben nicht cool ist und früher oder später zwangsläufig zu Problemen führt und dass eben die Dealer das Problem sind und nicht die Polizei. Dann kommt diese Erkenntnis vielleicht irgendwann auch mal in der kreuzberger Bezirkspolitik an. Allein mir fehlt der Glaube.