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Geflüchtete in TunesienSie müssen die Drecksarbeit machen

Die EU und Tunesien haben sich auf eine „strategische Partnerschaft“ geeinigt. Mit europäischem Geld werden flüchtende Menschen in die Wüste geschickt.

Geflüchtete in der Wüste an der libanesisch-tunesischen Grenze im Juli 2023 Foto: Yousef Murad/ap

M ehr als tausend Menschen wurden in den vergangenen Tagen von Tunesien in der Wüste abgesetzt – ohne Wasser und Versorgung, bei über 40 Grad Hitze. So berichten es NGOs aus der Region. Dies geschah just in jener Zeit, in der sich die Europäische Union und das nordafrikanische Land auf eine „strategische Partnerschaft“ bei der Migrationskontrolle geeinigt haben: Die EU zahlt, Tunesien hält die Flüchtlinge auf. Und weil das Land sie selbst auch nicht will, kommen sie eben in die Wüste.

Das Sterben dort unterscheidet sich aus europäischen Sicht von jenem im Mittelmeer vor allem dadurch, dass es hierzulande kaum bemerkt wird. Während eine Vielzahl NGOs und die UN die Vorgänge im Meer heute fast lückenlos dokumentieren, ist die unzugängliche Wüste, oft ohnehin Sperrgebiet, ein Niemandsland der Wahrnehmung. Was dort geschieht, ist – buchstäblich – die Drecksarbeit der europäischen Flüchtlingsabwehr.

Sie wird befeuert von der Angst vor der hierzulande erstarkenden Rechten. So aber materialisiert sich ihr Programm, schon bevor sie die Macht übernimmt: Was bei uns als Bruch zivilisatorischer Mindeststandards gilt, wird südlich des Mittelmeers vollzogen, um uns die Unerwünschten vom Hals zu halten.

Manchen reicht das nicht. Immer noch einen Schritt weiter, auf dass bloß keiner denkt, uns geht es noch nicht hart genug zu – nach diesem Motto verfährt dieser Tage die Union. „Aus dem Individualrecht auf Asyl muss eine Institutsgarantie werden“ – das forderte diese Woche der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei. Eine Antragstellung auf europäischem Boden soll nicht länger möglich sein, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten gehörten „umfassend ausgeschlossen“.

Die Tore würden geschlossen bleiben

Frei begründete seinen Vorschlag damit, dass das derzeitige Asylrecht „nicht die Schwächsten“ schütze, sondern eine „zutiefst inhumane Auswahl“ treffe. Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, sei „chancenlos“: Er oder sie könne sich nicht auf den Weg durch die Wüsten Afrikas und über das Mittelmeer machen.

Das stimmt. Nur liegt es vor allem daran, dass die EU – und mit ihr die Bundesregierung – in den vergangenen Jahren alles dafür getan hat, dass es dort heute so gefährlich für Flüchtende ist.

Frei jedenfalls will an die Stelle des individuellen Asylrechts ein jährliches europäisches Kontingent von „300.000 oder 400.000“ Menschen auflegen. Mit dem sollen Schutzbedürftige direkt aus dem Ausland aufgenommen und in der EU verteilt werden könnten. Seine Begründung dafür klingt rational, gar human. Das Argument ist seit Jahren immer wieder bemüht worden, um zu rechtfertigen, warum es den individuellen Rechtsanspruch nicht mehr geben soll. In etwas abgewandelter Form, mit Betonung auf den Gedanken nationaler Souveränität, ist dies auch in Osteuropa zu hören: Wir bestimmen, wen wir reinlassen. Also bestimmen wir auch, wem wir Schutz gewähren wollen.

Die Folge wäre, dass die Menschen, die es nötig haben, darauf hoffen müssen, dass die Staaten sie freiwillig zu sich holen. Jede Erfahrung der Vergangenheit zeigt jedoch nur eines: Wer darauf angewiesen ist, ist verloren. Denn freiwillige Aufnahme findet stets nur in homöopathischen Dosen statt.

Sei es die Resettlement genannte Umsiedlung über Kontingente des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, sei es die Relocation genannte Umverteilung aus den Staaten Südeuropas innerhalb der EU, seien es die Notaufnahmeprogramme aus den Lagern Libyens oder der Ägäis oder Schiffbrüchiger aus Malta oder Italien. Immer dann, wenn die Menschen freiwillig aufgenommen werden sollen, kommt am Ende kaum jemand durch. Man kann davon ausgehen, dass Frei das weiß. Zu behaupten, dass die EU freiwillig Hunderttausende Menschen pro Jahr hereinholt, ist Augenwischerei. Das wird nicht geschehen. Die Tore würden geschlossen bleiben.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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9 Kommentare

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  • Der Bericht über Abschiebungen in die Wüste ist erschreckend, ich hoffe, dass die Vertragspartner, von Seiten der EU, entsprechend auf die schlechten Nachrichten reagieren.



    Was die Schlepperreise über das Mittelmeer betrifft, so ist das ein sehr gefährlicher Weg und dafür sind nicht die EU, sondern schon das Meer und nicht seetüchtige Boote verantwortlich.



    Es erscheint mir sinnvoll, Zuwanderung unabhängig von Asyl zu kanalisieren.



    Viele AntragstellerInnen haben keine Aussicht auf Asyl und versauern, im günstigsten Fall( statt auf dem Weg zu sterben), in einem Aufnahmeheim.



    Die sind in Deutschland wohl besser als woanders, können aber keine Perspektive sein.



    Die Zuwanderung für Deutschland wäre in einer Höhe von 400.000 Menschen wünschenswert und ich hoffe, dass hier Möglichkeiten, auch z.B in Tunesien geschaffen werden, dies umzulenken.



    Noch besser wäre natürlich die Zuwanderung aus dem Heimatland, ohne die Schleppermafia zu unterstützen.

  • Tatsache ist, dass mit der unchristlichen Hetze gegen Flüchtlinge d.d. AfD, insbesondere gegen Muslime und Afrikaner der Teil in der Bevölkerung der eine Humane Flüchtlingspolitik gutheißt, immer weniger wird.

    Erst vor 14 Tagen wurden vier Geschwister zw. 11 und 17, gut integriert in der Schule, nach neun Jahren plötzlich von der Polizei nachts abgeholt und abgeschoben – aus dem Allgäu nach Nigeria (Quelle Spiegel).



    Was soll man dazu noch sagen?

    • @Nico Frank:

      Habe über den Fall auch gelesen, solche Geschichten sind nicht lustig. Vieles aber, was auf ersten Blick inhuman erscheint, wird nachvollziehbar, wenn man sich ein bisschen Gedanken macht und nachrecherchiert.

      Zu so etwas würde es nicht kommen, wenn die Behörden und Justiz nicht manchmal neun Jahre bräuchten, um einen Fall rechtskräftig abzuarbeiten. Hätten sie es z.B. in neun Wochen geschafft, wären nur 2 nicht-integrierte Leute abgeschoben worden.

      Das die Polizei mitten in der Nacht aufkreuzt darf keinen Wundern; die Flüge starten oft in den frühen Morgenstunden, und die Polizei muss genug Vorlaufzeit einplanen für rudimentäres packen, Anfahrt, evtl. kurze medizinische Untersuchung wenn im Zweifelsfall beurteilt werden muss, ob nicht einer doch zu krank ist für die Abschiebung.

      Ein jeder darf mich gerne korrigieren falls ich mich irren sollte; aber soweit ich weiß, bekommt jeder, dessen Asylantrag abgelehnt wird, erst einen Bescheid hierüber mit der Maßgabe, dass Land binnen einer Frist zu verlassen (oder den die Entscheidung anfechten). Zum Zwang (und Anwendung von Gewalt) kommt es erst, wenn man der Anweisung nicht nachkommt. Man kann sogar finanzielle Unterstützung für die Reisekosten beantragen.

      www.returningfromg...-garp/#information

      Es gibt auch Hilfen zur Reintegration ins Herkunftsland.

      www.returningfromg...kehr-mit-reag-garp

      Hätte die betreffende Familie von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, hätte sie die unangenehme Abschiebeprozedur nicht durchmachen müssen.

    • @Nico Frank:

      Stimmt. Diesen Fall habe ich auch verfolgt.



      Gut integriert, Deutschkenntnisse auf Muttersprachenniveau, schulisch gute Leistungen, die Kinder in örtlichen Vereinen aktiv, Ausbildung in Aussicht, etc...



      Viel interessanter fand ich aber das zur Demo für die Familie ganze 60 Menschen sich eingefunden haben - nach 9 Jahren...



      Da zeigt sich der feine Unterschied zwischen integriert und akzeptiert -.-

      www.allgaeuer-zeit...choben_arid-589169

      • @Farang:

        "Viel interessanter fand ich aber das zur Demo für die Familie ganze 60 Menschen sich eingefunden haben - nach 9 Jahren..."



        Ich bin Deutscher, und ich denke mal das bei meiner abschiebung oder was auch immer maximal die Familie kommt und paar Freunde.



        Ist die Anzahl jetzt entscheidend darüber?

        Bei Faschos gehen meist nur 200-300Mann auf die straße, bei gegen TTIP waren 200.000. Und nun? Bin sehr gespannt was jetzt für Relativierungen wieder kommen.

  • "Zu behaupten, dass die EU freiwillig Hunderttausende Menschen pro Jahr hereinholt, ist Augenwischerei. Das wird nicht geschehen. Die Tore würden geschlossen bleiben."



    Davon ist auszugehen, ja. Nur was ist die Alternative? Migranten gegen den Willen der Mehrheit der europäischen Bevölkerung ungebremst hereinlassen?



    Wohin das führt sieht man leider sehr gut am aktuellen Rechtsruck von Spanien bis Finnland - einmal quer durch die EU kommen Rechte an die Macht und überbieten sich gerade "täglich" im Wettrennen um noch resolutere Gesetze und Grenzen.



    Selbst die Grünen stimmen bisher querbeet jeder Asylverschärfung seitens der EU zu - immer getrieben von der Angst, dass ansonsten die Stimmung komplett rechts überkippt.



    Eine realistisch umsetzbare Lösung der Migrationskrise ist in der Politik aktuell weit und breit nicht in Sicht und so wird das Sterben an den EU Außengrenzen noch lange weitergehen.

    • @Farang:

      Interessant das sie teils Länder aufzählen, ich hatte noch auf Ungarn und Co. spekuliert, die relativ zu anderen Ländern gesehen eher weniger Geflüchtete aufnehmen. Aber zeigen sollen und Gründe haben warum da teils Faschos an der Macht sind. Also wenn es abhängig von der Anzahl der geflüchteten wäre, sind die nicht da sind, die Faschos genauso aktiv, dann halt nur gegen die EU, oder eben böse Geflüchteten die kommen KÖNNTEN. Faschos finde immer Gründe ihr eingeschränktes Weltbild opportun wie sie sind, so zu verändern das es immer Grund gibt Hass zu äußern!

      Und wer soll diese "angebliche Mehrheit" der europ. Bevölkerung sein. Wieder zuviel "gefühlte Wahrheit"?

    • @Farang:

      》Selbst die Grünen stimmen bisher querbeet jeder Asylverschärfung seitens der EU zu - immer getrieben von der Angst, dass ansonsten die Stimmung komplett rechts überkippt《

      Wieso "Selbst die Grünen"?

    • @Farang:

      "Selbst die Grünen stimmen bisher querbeet jeder Asylverschärfung seitens der EU zu"



      Zum schlecht werden. Das Familien mit ihren Kindern in quasi-Gefängnisse eingesperrt werden unvorstellbar. Letzte Hoffnung dies zu verhindern war noch die Grünen in der Bundesregierung - vergebens . Die eigene Kasse war dann doch wichtiger wie die Menschenrechte.