Geflüchtete in Tunesien: Sie müssen die Drecksarbeit machen
Die EU und Tunesien haben sich auf eine „strategische Partnerschaft“ geeinigt. Mit europäischem Geld werden flüchtende Menschen in die Wüste geschickt.
M ehr als tausend Menschen wurden in den vergangenen Tagen von Tunesien in der Wüste abgesetzt – ohne Wasser und Versorgung, bei über 40 Grad Hitze. So berichten es NGOs aus der Region. Dies geschah just in jener Zeit, in der sich die Europäische Union und das nordafrikanische Land auf eine „strategische Partnerschaft“ bei der Migrationskontrolle geeinigt haben: Die EU zahlt, Tunesien hält die Flüchtlinge auf. Und weil das Land sie selbst auch nicht will, kommen sie eben in die Wüste.
Das Sterben dort unterscheidet sich aus europäischen Sicht von jenem im Mittelmeer vor allem dadurch, dass es hierzulande kaum bemerkt wird. Während eine Vielzahl NGOs und die UN die Vorgänge im Meer heute fast lückenlos dokumentieren, ist die unzugängliche Wüste, oft ohnehin Sperrgebiet, ein Niemandsland der Wahrnehmung. Was dort geschieht, ist – buchstäblich – die Drecksarbeit der europäischen Flüchtlingsabwehr.
Sie wird befeuert von der Angst vor der hierzulande erstarkenden Rechten. So aber materialisiert sich ihr Programm, schon bevor sie die Macht übernimmt: Was bei uns als Bruch zivilisatorischer Mindeststandards gilt, wird südlich des Mittelmeers vollzogen, um uns die Unerwünschten vom Hals zu halten.
Manchen reicht das nicht. Immer noch einen Schritt weiter, auf dass bloß keiner denkt, uns geht es noch nicht hart genug zu – nach diesem Motto verfährt dieser Tage die Union. „Aus dem Individualrecht auf Asyl muss eine Institutsgarantie werden“ – das forderte diese Woche der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei. Eine Antragstellung auf europäischem Boden soll nicht länger möglich sein, der Bezug von Sozialleistungen und Arbeitsmöglichkeiten gehörten „umfassend ausgeschlossen“.
Die Tore würden geschlossen bleiben
Frei begründete seinen Vorschlag damit, dass das derzeitige Asylrecht „nicht die Schwächsten“ schütze, sondern eine „zutiefst inhumane Auswahl“ treffe. Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, sei „chancenlos“: Er oder sie könne sich nicht auf den Weg durch die Wüsten Afrikas und über das Mittelmeer machen.
Das stimmt. Nur liegt es vor allem daran, dass die EU – und mit ihr die Bundesregierung – in den vergangenen Jahren alles dafür getan hat, dass es dort heute so gefährlich für Flüchtende ist.
Frei jedenfalls will an die Stelle des individuellen Asylrechts ein jährliches europäisches Kontingent von „300.000 oder 400.000“ Menschen auflegen. Mit dem sollen Schutzbedürftige direkt aus dem Ausland aufgenommen und in der EU verteilt werden könnten. Seine Begründung dafür klingt rational, gar human. Das Argument ist seit Jahren immer wieder bemüht worden, um zu rechtfertigen, warum es den individuellen Rechtsanspruch nicht mehr geben soll. In etwas abgewandelter Form, mit Betonung auf den Gedanken nationaler Souveränität, ist dies auch in Osteuropa zu hören: Wir bestimmen, wen wir reinlassen. Also bestimmen wir auch, wem wir Schutz gewähren wollen.
Die Folge wäre, dass die Menschen, die es nötig haben, darauf hoffen müssen, dass die Staaten sie freiwillig zu sich holen. Jede Erfahrung der Vergangenheit zeigt jedoch nur eines: Wer darauf angewiesen ist, ist verloren. Denn freiwillige Aufnahme findet stets nur in homöopathischen Dosen statt.
Sei es die Resettlement genannte Umsiedlung über Kontingente des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, sei es die Relocation genannte Umverteilung aus den Staaten Südeuropas innerhalb der EU, seien es die Notaufnahmeprogramme aus den Lagern Libyens oder der Ägäis oder Schiffbrüchiger aus Malta oder Italien. Immer dann, wenn die Menschen freiwillig aufgenommen werden sollen, kommt am Ende kaum jemand durch. Man kann davon ausgehen, dass Frei das weiß. Zu behaupten, dass die EU freiwillig Hunderttausende Menschen pro Jahr hereinholt, ist Augenwischerei. Das wird nicht geschehen. Die Tore würden geschlossen bleiben.
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