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Ausstellung über Inflation in Frankfurt18 Milliarden für eine Postkarte

Das Historische Museum Frankfurt am Main widmet sich der Inflation von 1923 – ein Trauma im Gedächtnis der krisengewohnten Deutschen.

Schlangestehen um Lebensmittel im Frühjahr 1919 in Frankfurt Foto: Historisches Museum Frankfurt

Die große Inflation von 1923. Buchstäblich über Nacht wuchsen Vermögen und andere Werte nominell astronomisch an oder wurden real völlig vernichtet. Trotzdem sollte die Inflation nur den Anfang dieser so katastrophal verlaufenden ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts markieren. Im Gedächtnis vieler Deutscher hat sich die Inflation als eine Art Trauma eingebrannt.

Auf den Ersten folgte weniger als 20 Jahre später der Zweite Weltkrieg und die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus. Wie die beiden Weltkriege fiel auch die Inflation von 1923 nicht vom Himmel, sondern hatte ihre Ursachen im Krieg, den die deutschen Eliten in Militär, Wirtschaft und Politik des Kaiserreichs maßgeblich zu verantworten hatten und verloren.

Die Rechnung des Kaiserreichs ging nicht auf

Das Deutsche Reich hatte sich beim siegesgewissen, patriotisch-nationalistisch verhetzten Publikum verschuldet

Mit einer Niederlage rechnete niemand in der Elite des Kaiserreichs und deshalb entschloss man sich dazu, den Krieg mittels Staatsanleihen zu finanzieren, sich also beim ebenfalls siegesgewissen, durch und durch patriotisch-nationalistisch verhetzten, zahlungsbereiten Publikum zu verschulden. Nach dem Sieg wollte man sich mit den „Erlösen“ aus den von den Besiegten zu zahlenden Reparationskosten schadlos halten. Da diese Spekulation durch die Politik des Kaiserreichs und die Niederlage der deutschen Truppen zunichte gemacht wurden, brach nach dem Krieg die Inflation mit enormen Preissteigerungen aus.

Der Begriff der „Inflation“ ist relativ jung und kam erst spät in Umlauf, wurde maßgeblich durch den amerikanischen Juristen Daniel Dewey Barnard (1797–1861) in den 1830er Jahren geprägt. Eine gut gelungene Ausstellung im Frankfurter Historischen Museum, „Inflation 1923. Krieg, Geld, Trauma“, kuratiert von Frank Berger und Na­tha­lie Angersbach, zeichnet den Verlauf der Inflation jetzt mustergültig nach: mit Fotos, Tonaufnahmen, papierenen Dokumenten, Filmen und Zeugnissen von Zeitgenossen sowie Presseartikeln und Karikaturen.

Blütezeit der Satire

Für die Satire war die Inflation nämlich eine Blütezeit, was die Ausstellung mit den Zeitschriften Simplizissimus, Kladderadatsch und den darin publizierenden Künstlern George Grosz, Otto Dix, Käthe Kollwitz, Heinrich Zille dokumentiert. Zu den ausgestellten Prachtstücken gehört auch eine zentnerschwere Additionsmaschine mit 10 Stellen. Die wurde nötig, als die Nennwerte der Banknoten sprunghaft in die Höhe kletterten, bis hin zu Milliarden- und Billionenbeträgen. Banknoten mit Tageseinnahmen von Geschäftsleuten konnten nur noch waschkörbeweise transportiert werden.

Spektakulär ist auch ein präsentiertes Karnevalskostüm, das aus Geldscheinen besteht, die auf ein Ballkleid aufgenäht sind. In der Reichsbank diente ein erhalten gebliebener, solider metallener Leiterwagen mit Ketten für schwere Schlösser damals als hausinternes Transportmittel in den Kellern und Tresoren. In der Ausstellung sind auch zwei Adler-Schreibmaschinen zu sehen, mit denen die Frankfurter Sparkasse noch die gesamte Korrespondenz mit ausländischen Kunden bewältigte.

Nominelle Millionäre

Zum Eindrücklichsten der Ausstellung gehören jedoch die Tagebuchnotizen. So notierte der Literaturwissenschaftler Victor Klemperer im Oktober 1923: „1 Dollar = 1 Milliarde Mark.“ Hedwig Pringsheim, die Schwiegermutter von Thomas Mann, hielt fast gleichzeitig trocken fest: „Wetter wie gestern. Dollar 200 Milliarden Mark.“ Franz Kafka berichtete im November 1923, dass die Vermieterin die Monatsmiete für ein Zimmer auf 4.000 Mark erhöhte und das Porto für eine Postkarte tatsächlich 18 Milliarden Mark kostete.

Theodor Heuss wiederum, der 37.000 Mark im Herbst 1922 Mark anlegte, wurde buchstäblich über Nacht für kurze Zeit zum nominellen Millionär, bevor er wieder schnell verarmte und mit seinem Geldvermögen fast nichts mehr bezahlen konnte.

1923 ist nicht heute

Am 15. November 1923 wurde die Inflation durch die Einführung der Rentenmark im Umtauschverhältnis von 1 Billion Mark zu 1 Rentenmark gestoppt. Die Voraussetzung für diese Währungsreform der neuen Regierung der großen Koalition unter dem Liberalen Gustav Stresemann aus Deutscher Volkspartei (DVP), SPD, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und katholischer Zentrumspartei war die Beendigung der Besetzung des Ruhrgebiets durch alliierte Truppen, trugen doch die Kosten für die Kämpfe Mitschuld am Zusammenbruch der Mark. Trotz Massenentlassungen und Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst betrug Anfang 1924 die Arbeitslosigkeit 13,5 Prozent.

Die Ausstellung

„Inflation 1923. Krieg, Geld, Trauma“: Historisches Museum Frankfurt, bis 10. September.

Zwar ist die Inflation durch die jüngste wirtschaftliche Entwicklung wieder verstärkt ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt, aber die Ausstellungsmacher verdeutlichen präzis, dass die heutigen Zustände und Gefahren mit den damaligen rea­len Entwicklungen in keiner Weise vergleichbar sind. Anders lautende Befunde entspringen bestenfalls spekulativem ­Alarmismus.

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