piwik no script img

Protest gegen AfD-LandratCSD in Sonneberg

Nach dem rechten Lokalwahlerfolg in Thüringen dreht un­se­r*e Au­to­r*in auf dem Stadtplatz ein queeres Video. Es folgten keine Äxte, aber Beschimpfungen.

Dreharbeiten in Sonneberg Foto: privat

A nfang Juli war ich in Sonneberg. Das beschauliche Städtchen war, wie wohl bei den meisten Deutschen, erst mit dem Wahldesaster vom 25. Juni auf meinen Radar gerückt: Robert Sesselmann von der AfD wurde mit über 50 Prozent zum Landrat gewählt. Seitdem diskutiert Deutschland wieder. Über Sonneberg, über die Ostdeutschen, über die Wäh­le­r*in­nen der AfD und vor allem darüber, wer eigentlich schuld an dieser Misere ist.

Die Diskussion bleibt dabei meistens abstrakt. Schuld hier, Ampel da, Wärmepumpen dort. Das kann man machen – wenn man es gemütlich hat und nicht selbst aktiv bedroht wird. Nur gehen dabei all jene Menschen unter, die real bedroht werden, die Angst haben (müssen) vor dem, was auf sie zukommt. Für mich war diese Wahl der Anlass, in Sonneberg ein Musikvideo zu drehen. „CSD in Sonneberg“ heißt der Song, den ich gemeinsam mit Bruneau spontan entwickelt hatte.

Ich bin queer. Und gehöre damit zum zweitliebsten Feindbild der AfD. Ich wollte wissen, was es für queere Personen bedeutet, in Sonneberg zu leben. Mein Fazit? Große Scheiße. Es kamen zwar keine äxteschwingenden Nazis auf uns zugerannt, wir wurden auch nicht verhaftet. Wir wurden lediglich bereits am Bahnhof von einer Gruppe Jugendlicher als „dumme Schwuchteln“ beschimpft.

Wir wurden nur heftig angehupt, als wir das erste Mal eine Regenbogenfahne rausholten. Als wir vor dem Rathaus standen, dauerte es keine halbe Stunde, bis zwei Autos am Rande parkten, deren Fahrer die Scheinwerfer anwarfen und uns filmten. Während des ganzen Drehs standen wir unter Beobachtung und unter wiederholter Beschimpfungskanonade.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Eine Stimmung, die einschüchtert

Ist Sonneberg eine No-Go-Area, in der man kein queeres Musikvideo drehen kann? Nein. Merkt man auf offener Straße, dass queere Menschen hier bei vielen nicht erwünscht sind? Ja. Und das bekommt man vielleicht noch mehr zu spüren, wenn man zufällig gerade nicht als Künst­le­r*in mit Videokamera in der Hand ein Musikvideo vor dem Rathaus dreht. Es liegt eine Stimmung über dem Städtchen, die einschüchtert.

Denn all die Leute, die uns da aus sicherer Entfernung anpöbelten, sie rechneten ganz offensichtlich nicht mit Gegenrede, sie befürchteten niemanden, der homophobe Beschimpfungen verwerflich findet. Der Punkt ist: Bruneau und ich konnten wieder abfahren, zurück nach Köln und Mainz. Aber was ist mit den Menschen vor Ort? Mit denen, die sich gar nicht erst trauen, auf dem Rathausplatz ihrer Heimatstadt in einem Musikvideo mitzuwirken, weil sie Angst haben, ihre Beteiligung könnte für sie zum Problem werden?

Da war ein junger Mann, der durch den Ortskern lief und seine AirPods aus dem Ohr nahm, als er Bruneau und mich sah und rief: „Slay, Queens!“ („Slay“ ist eine Art Kompliment aus der queeren Internetcommunity.) Und eine ältere Dame, die uns erst aus sicherer Entfernung beobachtete und dann darum bat, für ihre Enkel Fotos machen zu dürfen.

Über 46 Prozent der Son­ne­berger*in­nen haben ihre Stimme nicht der AfD gegeben. Und diese Menschen leiden täglich unter der langsamen Normalisierung eben jenes Faschismus, der ganz real die Existenzen von queeren und migrantischen Menschen bedroht. Dieser Bedrohung werden wir nicht mit Meta-Kritik beikommen. Wir müssen diejenigen vor Ort unterstützen, die aufstehen und die es sich nicht bequem machen, wenn Faschisten an die Macht kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Ich finde es ja ganz spannend, dass der Autor offenbar ganz froh ist, keine Prügel bezogen zu haben. Aber mal ehrlich: Da fühlen sich Leute berufen, andere anzupöbeln, wenn diese eine Regenbogenfahne tragen? Die ticken doch nicht ganz richtig.

  • Eine mutige Entscheidung mit dem Dreh.



    Cool wäre es aber auch so ein Video in Berlin zu drehen.

  • Das kann in sekundenschnelle in brutalste gewalt umschlagen!

  • Eine mutige und gute Aktion - sicher nicht die erste, hoffentlich auch nicht die letzte, die den Bewohnern des Landkreises vor Augen führt, dass Mitsprache auch Mitverantwortung bedeutet, und man Mitverantwortung dann eben auch einschließlich der Schmach tragen muss.

    Nicht so glücklich bin ich über die Berteilung des lokalen Feedbacks. Dass für die Sonneberger umgekehrt solche Nadelstich-Aktionen mittlerweile eine völlig eigene Dynamik haben dürften, die auch ganz unabhängig von der jeweiligen politischen Einstellung gewaltig nerven kann, sollte man schon einkalkulieren, wenn man sich zu solchen Urteilen aufschwingt. Und im Vergleich zu Köln oder - mit wenigen Abstrichen - Mainz ist natürlich so ziemlich JEDE ländliche Gegend weltweit ein Hort altväterlicher Homphobie.

  • D-A-N-K-E🥰

  • Daß der Videodreh provozierend wirkt, wurde bewußt in Kauf genommen.



    Die Reaktionen darauf sind wie erwartet.



    Wo ist da die Erkenntnis, die Wirkung der Mut?

    • @rollef:

      Mhmm ... ich glaube, hier ging es nicht darum, Erkenntnisse über Sonneberg und die Sonneberger zu gewinnen. Hier ging es um Emanzipation, und Emanzipation heißt, ungefragt Räume zu besetzen.



      Das Trio von Pricilla, Königin der Wüste, fährt nicht im Fummel durch die australische Wüste um herauszufinden, ob Minenarbeiter tolerant sind, sondern weil sie sich von diesem sehr großen Teil ihres Landes nicht einfach ausschließen lassen.



      www.youtube.com/watch?v=OroiRWIR2gQ



      www.youtube.com/watch?v=ZreZzV7y18Y

      • @mats:

        Da gehe ich mit.

  • Balls of Steel Award! Ich liebe es! Ein riesengroßes Dankeschön!

  • Sehr coole Aktion, die Schule machen könnte, sollte. Nehmen wir die Überschrift wörtlich und gehen an die Planung. Ich bin dabei.

  • Gute Aktion, wichtige Message: die, die dagegen sind, nicht alleine lassen, wie offensichtlich die beiden Lehrer*innen im Brandenburger Burg nach ihrem Brandbrief effektiv alleine gelassen wurden.

  • Aus dem sehr lesenswerten Interview mit der 100-jährigen jüdischen Psychologin Isca Salzberger-Wittenberg (taz.de/Kinderthera...ftangst/!5944676/):



    "taz: 1933 kamen die Nazis an die Macht. Was änderte sich für Sie?



    I. S.-W.: Es begann schleichend. […] Ich konnte die Erwachsenen nicht verstehen, die sagten, das würde alles vorbeigehen."

    Wir sollten tatsächlich im Kopf haben, dass Hitlers Nazi-Herrschaft nicht von innen heraus beendet wurde. Da mussten erst Alliierte mit gewaltiger Feuerkraft kommen und unfassbare Gewalt und Verluste in Kauf nehmen, um dem ein (vorläufiges?) Ende zu setzen.



    Ausgrenzendes und menschenverachtendes Gedankengut (oder besser: Gedankenschlecht) "vergeht" nicht einfach. Da müssen wir alle ran – laut, stabil, JETZT und nachhaltig.

  • "Über 46 Prozent der Son­ne­berger*in­nen haben ihre Stimme nicht der AfD gegeben."

    Bei der Wahlbeteiligung von 58,2 Prozent haben fast 70 Prozent der Son­ne­berger*in­nen ihre Stimme nicht der AfD gegeben.

    • @Limonadengrundstoff:

      Aber den anderen auch nicht.

    • @Limonadengrundstoff:

      Worum es bei dieser Wahl ging war mehr als klar, bekam sie doch bundesweit die geballte Medienaufmerksamkeit. Wer sich angesichts einer solchen Ausgangslage nicht dazu aufraffen kann sein Kreuz für irgendeinen Kandidaten des demokratischen Spektrums zu machen scheint den Ausgang den diese Wahl nun genommen hat zumindest für akzeptabel zu halten.

      • @Ingo Bernable:

        Es geht nicht um irgendeinen Kandidaten des demokratischen Spektrums sondern um den einzig möglichen Gegenkandidaten im zweiten Wahlgang. Ich hab hier bei der letzten Kommunalwahl genau deswegen auch CDU wählen dürfen. Haben Sie eine Vorstellung wie sich das anfühlt die sächsische CDU zu wählen um ausgerechnet die AfD zu verhindern? Beim nächsten Mal bleib ich in der Konstellation auch zu Hause. Noch so einen Kater am Nachwahltag mit Geseier des CDU-Wahlsiegers über ein starkes konservatives Mandat tu ich mir nicht mehr an.

        • @Šarru-kīnu:

          Also überlassen Sie jetzt lieber - indirekt - einem AfD-Wähler Ihre Stimme, als wenigstens zu helfen, die nicht so schlechte Alternative durchzusetzen?

          Ich gebe ja zu, man muss so ein GANZ kleines bißchen rational veranlagt sein, um in der blöden Situation "Teufel oder Belzebub" zu wissen, was man richtigerweise tun sollte. Aber ein Ergebnis wie Sonneberg kann doch wirklich kein Demokrat wollen! Und Schlaraffenland gibt's halt nicht. Wenn die politisch genehmen Kandidaten es sämtlich nicht in den zweiten Wahlgang schaffen, endet doch nicht die Welt, oder?

  • Den Mut hätte ich (non-queer) auch gerne!

    Danke für die Aktion und den Bericht (das Video ist auch cool)!