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Halbzeit der Agenda 2030Viele Pläne, wenig Entwicklung

Der EU-Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 zeigt: in Sachen Klimapolitik, Naturschutz und Auswirkungen auf andere Länder ist viel Luft nach oben.

Auf dem Pfad bleiben: Die EU muss ambitionierter werden, um Entwicklungsziele zu erreichen Foto: Thomas Frey/dpa

BERLIN taz | Niemand soll zurückgelassen werden, war das Versprechen der Staats- und Regierungschefs, als sie vor sieben Jahren in den Vereinten Nationen die Agenda 2030 beschlossen, mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, die sogenannten „Sustainable Development Goals“, kurz SDGs. Bis 2030 soll weltweit Armut und Hunger beendet werden, allen Menschen soll Zugang zu Bildung, Gesundheit und guter Arbeit garantiert werden und natürliche Ressourcen, die Umwelt, Meere geschützt werden. Dieses Jahr ist Halbzeit.

Seit Montag tagt in New York das Hochrangige Politische Forum, das den großen SDG-Gipfel im September vorbereitet. „Die Agenda ist ein Versprechen, keine Garantie“, wird der Gipfel auf der Webseite angekündigt. „Zur Halbzeit ist das Versprechen in großer Gefahr.“

Zum ersten Mal seit Jahrzehnten werde der Entwicklungsfortschritt durch die kombinierten Auswirkungen von Klimakatastrophen, Konflikten, wirtschaftlichem Abschwung und anhaltenden Covid-19-Effekten wieder zunichte gemacht, heißt es weiter. Der SDG-Gipfel soll das Versprechen der Agenda wieder präsenter machen. „Grundlegende Veränderungen in Bezug auf Engagement, Solidarität, Finanzierung und Handeln müssen uns wieder auf den Weg bringen“ – so der Appell.

Beim Hochrangigen Politischen Forum stellt die EU am Mittwoch ihren ersten freiwilligen Bericht zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung vor. So auch 35 weitere Länder. Die freiwillige Überprüfung soll zeigen, dass „die EU fest entschlossen ist, die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu erreichen“, heißt es zu Beginn des Berichts. Auf 300 Seiten hat die EU ihre Entwicklung festgehalten.

Gute Bilanz bei Arbeit, Nachholbedarf beim Umweltschutz

Im globalen Vergleich steht die Europäische Gemeinschaft in vielen Punkten gut da, etwa in Sachen Armut oder Hunger und menschenwürdige Arbeit.

Vor allem bei den Zielen zum Klima- und Umweltschutz seien aber weitere Fortschritte nötig, so der Bericht. Zum Beispiel bei der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen, der Erhaltung der Biodiversität und beim Gewässerschutz. Auch bescheinigt sich die EU nur „mäßige Fortschritte“ in Bezug auf nachhaltige Landwirtschaft und Städte.

Der Bericht verweist auf eine Vielzahl von Gesetzen und Strategien der letzten Jahre im Bereich Umweltschutz, mit denen sich die EU teils ehrgeizige und teils weniger ehrgeizige Ziele setzt.

Die EU-Forststrategie für 2030 etwa legt den Schwerpunkt auf Waldschutz und Aufforstung. Die EU-Bodenstrategie soll die Wüstenbildung und die Wiederherstellung degradierter Flächen und Böden fördern. Das Gesetz zur Renaturierung wird gerade hart umkämpft in der EU, mit noch ungewissem Ausgang.

Schadstoffe im Wasser sind „Anlass zur Sorge“

Im Bereich Wasser bescheinigt sich die EU eine verbesserte Abwasserbehandlung, die Verschmutzung in europäischen Flüssen, Seen und Meeren verringert hat. Gleichzeitig ist die Belastung durch industrielle Schadstoffe, pharmazeutische Rückstände, Kosmetika und Pestizide im Wasser weiterhin groß und „Anlass zur Sorge“.

Zum Beispiel: Pestizide in der Landwirtschaft sollten bis 2030 um 50 Prozent verringert werden. Die jüngsten Daten zeigen, dass deren Einsatz zur Halbzeit um 14 Prozent zurückgegangen ist. „Gefährliche Pestizide“ sind im gleichen Zeitraum um 26 Prozent zurückgegangen.

Die Anzahl der armen Menschen in der EU ist um etwa 2 Prozentpunkte gesunken

Hunger ist in der EU nur selten ein Problem, Fehlernährung dagegen schon. Viele Lebensmittel enthalten zu viel Zucker, Salz und Fett und zu wenige Nährstoffe. Die EU verweist auf Initiativen für gesündere Ernährung, wie zum Beispiel die Strategie „Vom Bauernhof zum Teller“. Darin werden konkrete Ziele für die Umgestaltung der EU-Lebensmittelsysteme bis 2030 definiert.

Wenig Bewegung bei Armutsbekämpfung

Armut ist im globalen Vergleich weniger Thema in der EU, dennoch gibt es sie und es tut sich nur wenig: In den sieben Jahren seit Beschluss der Agenda 2030 hat sich die Anzahl der Menschen, die in Armut nach EU-Definition leben, nur um etwas mehr als 2 Prozentpunkte verringert. Im Jahr 2021 waren 95,4 Millionen Menschen, das sind 21,7 Prozent der EU-Bevölkerung, von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. 2015 waren es 104,9 Millionen Menschen, also 24 Prozent der Bevölkerung.

Die Zahl der Kinder unter 18 Jahren, die von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, ist von 22,3 Millionen 2015 auf 19,6 Millionen 2021 zurückgegangen. Auch bei der Arbeitsarmut gab es nur wenig Bewegung. Hier gab es einen Rückgang um 0,8 Prozentpunkte in sieben Jahren auf 8,9 Prozent der Erwerbstätigen.

Um sich global gegen Arbeitsarmut zu engagieren, verweist die EU auf das Lieferkettengesetz, das gerade zwischen dem EU-Parlament und den Mitgliedstaaten im Rat verhandelt wird. Die Zivilgesellschaft kritisiert, dass es schon jetzt stark abgeschwächt wurde. Weiterhin plant die EU ein Importverbot von Produkten, die mit Zwangsarbeit und Kinderarbeit hergestellt werden. Eine Einigung konnte bislang auch hier noch nicht erzielt werden.

Ebenso gab es bislang wenig Fortschritte bei der Einführung von existenzsichernden Löhne entlang der Lieferkette und keine Bewegung, Unternehmen zu verpflichten, Sozialversicherungen für Arbeitende auch außerhalb der EU zu gewährleisten.

Dennoch bescheinigt sich die EU beim SDG 12 zum verantwortungsvollen Konsum und Produktion „solide Fortschritte“ im Bericht. In dem Sektor seien mehr Ressourcen geschont worden und die Energieeffizienz habe sich verbessert. Auch wenn die ­Energietransformation nur langsam vorangeht und gleichzeitig sehr ressourcenintensiv ist, zieht die EU ein positives ­Fazit: „Die EU hat bewiesen, dass grünes Wachstum möglich ist: Das BIP-Wachstum kann gleichzeitig mit der Reduzierung der Treibhausgasemissionen erreicht werden“, lobt sich die EU.

Negative Auswirkung auf andere Länder

Hier zeigt sich das größte Entwicklungspotenzial der EU: Verbesserungen im sogenannten Spillover-Effekt. Das sind die negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen, zum Beispiel durch Handelsverträge oder Kredite auf andere Länder. Die EU selbst gibt etwa an, dass sie allein durch ihren Nahrungskonsum zu 5 Prozent des CO2-Ausstoßes in diesem Bereich beiträgt. Die EU bezieht Überlegung dazu also punktuell in ihrem Bericht mit ein.

Der Spillover-Index, erstellt von der Forschungsgruppe SDSN, gibt ein umfangreiches Bild. Er listet 166 Länder auf. Die ersten Plätze besetzten Staaten mit mehr positiven und weniger negativen Effekten auf andere Länder. Die EU wird nicht als Ganzes berücksichtigt, allerdings geht die Liste für EU-Staaten erst ab Platz 114 los. Den belegt Polen, das Land schneidet hier EU-weit am besten ab und bewegt sich global im letzten Drittel.

Die EU verweist hingegen auf ihre Zusagen zur Finanzierung der Entwicklungsziele in anderen Ländern, so wie etwa die Global Gateway Strategie, die als Gegengewicht zu Chinas Neuer Seitenstraße Infrastrukturprojekte im Globalen Süden fördert. Außerdem unterstütze sie etwa Diskussionen über die internationale Finanzarchitektur und die Reform von multilateralen Entwicklungsbanken, um mehr Gelder freizumachen. Gleichzeitig ist der Finanzierungsbedarf global hoch. Reformen und Mechanismen zur Entschuldung hingegen langsam, Forderungen nach einer Überarbeitung des Kreditratingsystems bislang unbeantwortet.

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