Urteil gegen Großbritanniens Ruanda-Deal: Ein nicht nur britischer Irrweg

Das Auslagern von Asylsuchenden nach Ruanda ist laut einem Londoner Gericht rechtswidrig. Interessant ist die Begründung – auch für Deutschland.

Viele Männer auf einem Schiff

Geflüchtete im Hafen von Chania. Der EU-Türkei-Deal erlaubt Griechenland, syrische Flüchtlinge ohne Anhörung in die Türkei zurückzubringen beziehungsweise sie gar nicht einzulassen Foto: imago

Großbritannien darf nun doch keine Flüchtlinge nach Ruanda auslagern, statt ihnen Asyl zu gewähren. Mit dem zweitinstanzlichen Urteil in London am Donnerstag dürfte der „Ruanda-Deal“ aus dem Jahr 2022, der dem Land weltweit Kritik einbrachte, gestorben sein.

Das Urteil ist komplex. Der „Ruanda-Deal“ wird nicht an sich für rechtswidrig erklärt, nicht einmal wegen des Bruchs der UN-Flüchtlingskonvention. Es wird lediglich Ruanda der Status als „sicheres Drittland“ abgesprochen, aus nur einem Grund: Ruanda biete keine ausreichende Garantie dafür, dass Asylsuchende dort vor einer Abschiebung in ihr Herkunftsland geschützt seien, heißt es.

Mit diesem Punkt allerdings wird eine Praxis, die in der internationalen Flüchtlingspolitik mittlerweile zum Standard gehört, grundlegend hinterfragt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fliegt ständig Asylsuchende aus Libyen nach Ruanda – geht das nun nicht mehr? Noch problematischer ist das Urteil für die EU und damit auch für Deutschland. Der EU-Türkei-Deal erlaubt Griechenland, syrische Flüchtlinge ohne Anhörung in die Türkei zurückzubringen beziehungsweise sie gar nicht einzulassen – aber in der Türkei wird auf höchster politischer Ebene diskutiert, Syrien-Flüchtlinge auch gegen ihren Willen nach Syrien zu deportieren. Nach den Maßstäben des Londoner Urteils wäre der Deal illegal.

Das ist nicht nur eine theoretische Feststellung. Die Europäische Menschenrechtskonvention, auf die sich das Gericht beruft, gilt in ganz Europa, nicht nur in der EU. Die EU-Innenminister haben sich gerade erst auf das Parken von Flüchtlingen in Lagern an EU-Außengrenzen geeinigt. Aber sind Flüchtlinge in EU-Anrainerstaaten wie Tunesien oder Türkei wirklich davor sicher, gegen ihren Willen in die falsche Richtung abgeschoben zu werden? Die EU ist womöglich dabei, den gleichen Irrweg zu beschreiten, den Großbritannien jetzt voraussichtlich verlassen muss. Das ist die eigentliche, paradoxe Lehre dieses Londoner Urteils.

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