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„Marie Antoinette“ bei Disney+Mehr als ein Miststück

Die Serie „Marie Antoinette“ will feministischen sein. Anders als andere Serien über umstrittene historische Frauenfiguren schafft sie das sogar.

Stehen sich gar nicht mal so nah: Marie Antoinette (Emilia Schüle) und ihr Ehemann Louis XVI. (Louis Cunningham) Foto: Disney+

Nachdem sich die Serien- und Filmwelt in den letzten Jahren bis zur Erschöpfung mit Elisabeth von Österreich-Ungarn, besser bekannt als „Sisi“, auseinandersetzte, ist nun die nächste Habsburgerin an der Reihe: Marie „Dann sollen sie doch Kuchen essen“ Antoinette.

Dass gerade jetzt eine Serie über sie erscheint, passt zu dem augenscheinlichen Streaming- und Kino-Trend, besonders umstrittene historische Frauenfiguren aufzugreifen und ihr schwieriges Vermächtnis neu zu bewerten. Ähnlich wie Netflix’ „Die Kaiserin“ und „Sisi“ auf RTL+ reklamiert auch Disneys „Marie Antoinette“ eine feministische Sicht auf das Leben einer Monarchin.

Das Wort „feministisch“ geht Marketing-Abteilungen von Anbietern durchaus leicht über die Lippen. Das klingt so schön hip, modern, zeitgeistig – und generiert eine gewisse Aufmerksamkeit. Inwieweit die Produktion dann tatsächlich „feministisch“ ist, variiert allerdings mitunter stark.

Endlich progressiv

Während „Sisi“ es über die vermeintliche sexuelle Aufgeklärtheit der Monarchin mit plumper Provokation versucht und so zur Progressivitäts-Posse verkommt, kommt „Die Kaiserin“ der historischen Elisabeth zwar etwas näher und schafft es, ihrer Verkitschung durch die berühmte Marischka-Trilogie eine rebellischere Lesart ihrer Person gegenüberzustellen – spart dabei aber großzügig ihre belegt schwierigen, ihre herrischen Seiten aus.

Womöglich, damit sie der Serie nicht als feministische Heldin abhandenkommt. Weibliche Figuren in ein zähmendes Schema zu pressen, damit sie für die Zu­schaue­r*in­nen „ausreichend liebenswert“ erscheinen, anstatt sie in ihrer Komplexität zu zeichnen – mit Progressivität hat das nichts zu tun. Besonders mit Blick auf die unzähligen männlichen Antihelden, die „Tony Sopranos“, „Dexter Morgans“ und „Walter Whites“ der Serienwelt, die trotz allem (oder gerade dafür?) vom Publikum geliebt werden.

Deborah Davis, die die Idee zu „Marie Antoinette“ hatte und gemeinsam mit einem komplett weiblichen Autorinnenteam die Drehbücher verfasste, geht es bei ihrer feministischen Deutung wohl vor allem darum, ihrer titelgebenden Figur eine Textur zu verleihen und so dem misogyn aufgeladenen Mythos vom „kaltherzigen Biest“, als das sie in die Geschichte einging, ein facettenreicheres Bild gegenüberzustellen.

Dass die Serie dafür auf allzu viel historische Korrektheit verzichtet, beweisen schon die auffallend modern klingenden Dialoge. Dennoch wird es nicht so komisch-kurios wie im Historienfilm „The Favourite“, für dessen Drehbuch Davis eine Oscar-Nominierung erhielt. Dafür halten sich die konventionell inszenierten Folgen dann doch zu sehr an die Rahmendaten.

Gebären: Politikum in Versailles

Die junge Marie Antoinette (Emilia Schüle) wird von ihrer Mutter, Kaiserin Maria Theresia (Marthe Keller), in der Hofburg zu Wien rigoros auf die strenge Etikette in Versailles vorbereitet. Schnell wird klar, dass sie im Alter von 14 Jahren als diplomatisches Versatzstück entsandt wird: Sie soll den Dauphin, den Anwärter auf den französischen Thron, Louis XVI. (Louis Cunningham), heiraten und möglichst schnell einen Erben zur Welt bringen, um das Haus Habsburg und die Bourbonen zu vereinen und den Frieden zwischen den Reichen zu sichern.

Ihr Mann, schüchtern und sonderbar, entzieht sich ihr jedoch, anstatt die Ehe zu vollziehen. Die Frage, wann Marie Antoinette endlich von einer Schwangerschaft berichtet, avanciert im sensationssüchtigen Versailles (das auch tatsächlich als Drehort diente) zum Politikum – und für Marie Antoinette, als Frau ihrer Zeit auf die Rolle der Repräsentantin, mehr noch der Gebärerin reduziert, zur alles bestimmenden Herausforderung. Die mahnenden Worte ihrer strengen Mutter im Kopf, muss sie sich in Ränkespielen mit dem jüngeren Schwager (Jack Archer) und der machthungrigen Mätresse (Gaia Weiss) des Königs (James Purefoy) und vielen anderen Gegenspieler*in­nen behaupten.

Die bedrückende Enge am Hof, das enge Korsett aus Pflichten: Das sind zwar Sujets, die in nahezu jedem Kostümdrama zum Tragen kommen, hier allerdings werden sie überraschend unterhaltsam aufbereitet. Das liegt vor allem an der Größe des Ensembles, dem ständig weitere interessante Figuren, darunter auffallend vielseitige weibliche Charaktere, hinzugefügt werden.

Die Serie

„Marie Antoinette“, acht Folgen, Disney+

So löst „Marie Antoinette“ den Anspruch eines „feministischen Blicks“ auch tatsächlich ein. Hoffnungen auf eine politisch interessierte oder sonderlich tiefgründige Erzählung sollte man sich gleichsam nicht machen. Dafür setzt die Serie mitunter zu sehr auf melodramatische Beziehungswirrungen als Handlungstreiber.

In welchem Licht sie die titelgebende Monarchin letztlich zeigen wird, müssen allerdings künftige (bereits bestätigte) Staffeln zeigen. Die erste Staffel hat zwar einen Handlungszeitraum von zehn Jahren, doch die Schicksals-prägenden Jahre der Revolution stehen noch aus. Schon jetzt lässt die Serie Marie Antoinette mehr sein als Aas oder Zielscheibe. Sie zeigt, wie sie sich über persönliche Leidenschaften wie Mode und Musik emanzipiert und allmählich Prunk und Prasserei verfällt – erfreulicherweise ohne Angst davor, Marie Antoinette so als „feministische Heldin“ zu verlieren.

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1 Kommentar

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  • „Dann sollen sie doch Kuchen essen“ . Marie Antoinette hat diesen Satz nie gesagt. Er ist misogyner Mist. Der Satz kam von Jean-Jacques Rousseau um sie zu diskreditieren.

    Dass das der Autorin nicht aufgefallen ist, ist ärgerlich, lässt sie sich doch über den Feminismus in der Serie aus.