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Inklusiver JournalismusDivers diskutiert

Auf der Netzwerk-Recherche-Jahreskonferenz geht es darum, wie Journalismus noch besser werden kann. Dieses Jahr lautet die Antwort: mit Diversität.

Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche in Hamburg Foto: Rafael Hünerfauth

Hamburg taz | „Zeigen, was geht – Recherchen verändern“ ist das Motto der Jahreskonferenz des Vereins Netzwerk Recherche (NR). Dafür braucht es fähigen Nachwuchs und vielfältige Perspektiven in der Berichterstattung.

Deswegen standen in Hamburg am vergangenen Wochenende neben Klima- und Lokaljournalismus die Themen Diversität und Einstiegsmöglichkeiten im Fokus. Denn Lokalzeitungen sind besorgt über den fehlenden Nachwuchs. Teils können sie offene Stellen nicht besetzen. Und gleichzeitig wird vielen Menschen der Jobeinstieg erschwert. Wie passt das zusammen? Und wie lässt sich das ändern?

Bereits 2018 appellierte der Deutsche Journalistenverband an Medienunternehmen, „bei der Auswahl ihrer Beschäftigten die gesellschaftliche Vielfalt abzubilden – etwa in Bezug auf Alter, Geschlecht, Ethnizität, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung sowie physische und psychische Verfassung“. Zwei Drittel der Chefredaktionen, die an einer Befragung der Neuen Deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen (NdM) von 2020 teilnahmen, unterstützen das.

Dass in den letzten Jahren beispielsweise viele wirkmächtige #MeToo-Recherchen erscheinen konnten, ist auch dem immer höheren Frauenanteil in Redaktionen zu verdanken. Wie nah oder fern Redaktionen aber wirklich einem adäquaten Abbild der Gesellschaft sind, dafür fehlen die Daten. Viele Medienhäuser wollen sie nicht erheben, um Mitarbeitende nicht zu diskriminieren. Dadurch bliebe, kritisieren die NdM, strukturelle Diskriminierung unsichtbar.

Perspektiven gehen verloren

Doch einige Vorträge auf der NR-Konferenz kamen dem Thema näher. Sie beschäftigten sich insbesondere mit der Frage: Wie inklusiv ist Journalismus? Darüber, „wie wir fehlende Perspektiven in die Medien bringen“, sprachen Re­dak­teu­r*in­nen des inklusiven österreichischen Online-Magazins andererseits. Im Magazin arbeiten 20 Jour­na­lis­t*in­nen. Ihre Positionen werden dort hör- und sichtbar – und das nicht nur zu den Themen Behinderung und Barrierefreiheit.

„Für mich bedeutet Inklusion im Journalismus, dass Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen arbeiten, zusammen recherchieren und schreiben“, sagt Nikolai Prodöhl auf der Konferenz. Er ist Redakteur bei andererseits, hat selbst eine Behinderung und arbeitet seit 15 Jahren in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Nach Praktika in Redaktionen habe er gemerkt, dass dort immer alles „zack-zack“ gehen müsse und für ihn deswegen kein Platz sei.

Man habe ihm gesagt, dass er keine Chance habe, im Journalismus Fuß zu fassen. Das Problem sind die Redaktionen selbst. Es mangelt an inklusiven Strukturen. Prodöhl bräuchte eine Assistenz und mehr Zeit, doch beides wurde ihm erst bei andererseits ermöglicht. Laut statistischem Bundesamt lebten Ende 2021 rund 7,8 Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung in Deutschland, etwas mehr als 9 Prozent der Bevölkerung. Wenn diese Menschen in den Medienhäusern fehlen, „gehen Perspektiven verloren“, sagt andererseits-Redaktionsleiterin Lisa Kreutzer.

Nicht nur wer Journalismus macht, war NR wichtig, sondern auch: Für wen machen wir ihn? Wie zugänglich muss die Sprache sein, mit der journalistische Inhalte vermittelt werden? Denn sowohl Ältere und Menschen, die noch Deutsch lernen, wie auch Menschen mit Behinderung können auf einfachere Sprache angewiesen sein. Also auf kurze Sätze und den Verzicht auf Fach- und Fremdwörter oder Zahlen. Es bräuchte, so die Überlegung in der Diskussion, Alternativversionen von Texten oder zumindest zusammenfassende Absätze in Leichter Sprache.

Perspektiven abbilden und diverser einstellen

Hinzu kommt, dass auch Jour­na­lis­t*in­nen mit Migrationserfahrung wegen ihrer Sprachkenntnisse oder ihres Akzents trotz Fachkenntnissen vor Problemen stehen: Oft können sie schwer in deutschen Redaktionen Fuß fassen. Damit beschäftigte sich bei der NR-Jahreskonfernez das Panel „Vom ‚Einzelfall‘ zum Standardprogramm – Wie deutsche Redaktionen vielfältiger werden können“.

Diskutiert wurde darüber, dass es nicht ausreiche, Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen, die seit ihrer Kindheit oder Geburt in Deutschland leben und dementsprechend einwandfrei Deutsch sprächen. Vielfalt bedeute auch, Perspektiven von all jenen abzubilden, deren Erstsprache nicht Deutsch ist.

Arezao Naiby, eine der Red­ne­r*in­nen, volontierte beim WDR und arbeitet dort mittlerweile als Redakteurin. Naiby arbeitete in Afghanistan als Journalistin und kam erst vor wenigen Jahren nach Deutschland. Nach ihrer Ankunft habe sie zunächst nicht daran geglaubt, weiter als Journalistin arbeiten zu können, sagt sie. Es fehle an Positivbeispielen dafür, dass es möglich sei. Naiby ist nun Vorbild und Einzelfall zugleich. Um Jour­na­lis­t*in­nen wie sie zu fördern, so der Tenor des Panels, müssten Medienhäuser mehr Geld und Zeit aufwenden.

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1 Kommentar

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  • Der soziale Hintergrund ist vermutlich DAS Merkmal, das am wenigsten berücksichtigt wird. Wie viele Journalisten in Deutschland entstammen denn nicht dem Bürgertum? Selbst Hengameh Yaghoobifarah ist Apothekerkind und hat den ultra-bourgeoisen Studiengang Skandinavistik studiert...