30 Jahre Ärzte ohne Grenzen: „Unsere Arbeit ist bedroht“

Die Hilfsorganisation konnte in Deutschland 2022 einen Spendenrekord verzeichnen. Gleichzeitig werde es immer schwieriger, Nothilfe zu leisten.

Ein Kind bekommt eine Infusion

Cite soleil, Porte-au-Prince, Haiti: In einem Zelt der Ärzte ohne Grenzen wird ein Kind behandelt Foto: Ricardo Arduengo/reuters

BERLIN taz | Stellen sie ein Krankenbett auf, ist es sofort belegt. Stellen sie 300 neue Betten auf, sind auch die belegt. In Ländern wie Nigeria, Äthiopien, Somalia, Jemen oder Südsudan war die Not 2022 so groß, dass die Hilfe nie ausreichte. Das berichtet die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) in ihrem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Jahresbericht.

„Schwer mangelernährte Kinder wegzuschicken ist unvorstellbar. Deshalb wurden Betten zweifach oder dreifach belegt“, schilderte die Vorsitzende Amy Neumann-Volmer. Der Druck auf die Hel­fe­r:in­nen sei immens, vor allem durch die Ernährungskrise, die einerseits Folge des Ukraine-Kriegs sei, gleichzeitig aber auch medial in deren Schatten stehe.

30 Jahre alt ist die deutsche Sektion der Ärzteorganisation geworden. Und die Lage sei schwierig: „Wir beobachten multiple Krisen und zeitgleich eine zunehmende Einschränkung und Bedrohung unserer Arbeit“, sagte MSF-Geschäftsführer Christian Katzer. Gleichzeitig bekam die Organisation 2022 so viele Spenden wie nie: mehr als 260 Millionen Euro – ein Rekord.

In der Ukraine sei es möglich gewesen, Verletzte und geschwächte Menschen mit einem medizinischen Zug aus frontnahen Gebieten zu holen, weil es dort noch medizinische Fachkräfte, Straßen und Schienen gebe, so Katzer. In Ländern wie Madagaskar hingegen komme die Versorgung immer wieder zum Stillstand, weil sowohl Pflegekräfte als auch Medikamente fehlten. In Afghanistan beklagt MSF eine „neue Spirale der Eskalation“. Die Gynäkologin Parnian Parvanta warnte vor einem drohenden Mangel an weiblichem medizinischem Personal, da Frauen und Mädchen keine weiterführenden Schulen und Universitäten mehr besuchen dürften. „Momentan können in Afghanistan Frauen oft nur von Frauen behandelt werden“, so Parvanta.

Die Klimakreise verschärft die humanitäre Krise

Gleichzeitig verschärfe die Klimakrise bereits bestehende Probleme. „Die humanitären Bedürfnisse weltweit werden mit dem Fortschreiten der Klimakrise weit über das hinauswachsen, was wir und andere humanitäre Nothilfeorganisationen kennen und bewältigen können“, so Katzer. „Die Klimakrise ist auch eine Gesundheits- und humanitäre Krise.

In die somalische Stadt Baidoa etwa seien allein 2022 rund 200.000 Vertriebene gekommen. „Mütter erzählten uns, dass unterwegs ihre Babys starben, sie ihren Weg zu uns aber fortsetzten, um ihre anderen Kinder zur Behandlung zu bringen“, berichtete die Ärztin Asma Aweis Abdallah. Die Region erlebe die fünfte Dürreperiode in Folge und zugleich die schlimmste der vergangenen 40 Jahre.

Als zusätzlich die Nahrungsmittelpreise anstiegen, nahm die Mangelernährung zu. Die Krise traf die Region hart, auch weil die Menschen in den Vorjahren bereits schon mit Dürren, Konflikten und Ausbrüchen von Cholera und Masern konfrontiert waren. „Wir hatten nach einer Krise nicht genügend Zeit, um uns zu erholen, und dann kam schon die nächste.“

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