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Grüne in ThüringenWo es leider nur um Köpfe geht

Die Grüne Anja Siegesmund will lieber für einen Lobbyverband arbeiten, als Ministerin zu sein. Das verrät viel über die Krise der Landespolitik.

Thüringens Ex-Umweltministerin Anja Siegesmund Foto: Christian Fischer/imago

A us „persönlichen Gründen“, so sagte sie es, legte Thüringens grüne Umweltministerin Anja Siegesmund Ende vergangenen Jahres ihr Amt nieder, um eine „Auszeit“ ging es, und man mochte denken: Kann ja schon mal vorkommen, dass so ein Landesministerium jemanden nicht mehr erfüllt.

Doch dann fand die regionale Qualitätspresse heraus, dass die persönlichen Gründe doch eine berufliche Note hatten. Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft hatte Siegesmund offenbar bereits als nächste Präsidentin ausgesucht.

Diesen Job kann die grüne Spitzenkraft allerdings nicht so schnell wie geplant antreten. Vielleicht ist Siegesmund entgangen, dass die rot-rot-grüne Koalition, der sie angehörte, sich eine „Karenzzeit-Regelung“ gab. Demnach sollen ausscheidende PolitikerInnen erst eine ganze Weile ins Abklingbecken, bevor sie ihre Kontakte und Kenntnisse zum Beispiel in Unternehmensverbänden einbringen. Ein großes grünes Thema übrigens – auch in Thüringen warben die Grünen für „Je länger, je lieber“.

Siegesmund könnte nun dagegen klagen, dass diese Regelung für sie gilt. Ich für meinen Teil bin nicht nur gespannt, wann Anja Siegesmund und der Bundesverband der Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft zusammenkommen. Gern nehme ich auch Wetten entgegen, wie sich die Sache – zumal, wenn das alles noch dauert – auf die Landtagswahlen in Thüringen in etwas über einem Jahr auswirkt.

Der Goebbels-Imitator steht bei 28 Prozent

In Thüringen steht die AfD in Umfragen derzeit bei 28 Prozent. Um sie von der Macht fernzuhalten, arbeitet Ministerpräsident Bodo Ramelow schon jetzt mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung in einer Art Darf-so-aber-nicht-heißen-Kooperation mit der CDU. Unglaubwürdige Grünen-Politikerinnen schaden in solchen Situationen nicht nur der eigenen 5,2-Prozent-Partei.

In den Bundesländern, in denen die AfD stärkste Kraft im Landtag zu werden droht, geht es demokratisch gesehen um alles. Die Thüringer AfD-Truppen rings um Goebbels-Imitator Björn Höcke schlachten angreifbare Personalien aus, wo es nur geht. Wie es sich halt für eine Partei gehört, die nur aus Ressentiments besteht.

Nun lässt sich der Mechanismus „Hurra, wir können uns auf Personalgeschichten stürzen, dann fällt niemandem auf, dass wir keine Vorschläge in der Sache haben“ natürlich derzeit auch im Bund und bei anderen Parteien beobachten. Doch hege ich bei Habeck/Graichen die Hoffnung, dass die schiere Wichtigkeit des Klimathemas bald dafür sorgt, dass wir wieder darüber reden dürfen, wie die Energiewende beim Wohnen funktionieren kann, und was eben noch so ansteht.

Das Problem in der Landespolitik ist dagegen ihre schiere Bedeutungslosigkeit. Die Länder gestalten praktisch nichts. Relevante Bildungspolitik – genau, „Ländersache“ – haben fast alle aufgegeben. Landeskrankenhäuser ließ man erst verfallen und hat sie dann verkauft. Profiliert haben sich die Bundesländer zuletzt nur durch sorgfältiges Verhindern – man denke an die Pandemiepolitik. MinisterpräsidentInnen werden offenbar auch zu Hause dadurch bekannt, dass sie mit entschlossener Mimik mehr Geld vom Bund fordern. Mehr scheint es nicht zu brauchen, um wiedergewählt zu werden.

Wo aber keine Themen, sondern nur noch Köpfe eine Rolle spielen, wo auch nicht mehr erkennbar ist, wofür welcher Kopf steht – außer dass man ihn halt schon kennt –, schrumpft Politik auf Personaltheater. Und eine Karriere­entscheidung einer Landesministerin gerät zu anhaltend giftigem Schlagzeilenmaterial.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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14 Kommentare

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  • Das ist gür mich das größte Problem. Egal wie schlecht ich war in der Politik, ich fall immer in ein weiches Nest.

  • Ist doch klar- bei dem grünen Filz muss jeder sehen wo bleibt!

    Und Habeck hat schon alle Trauzeugen eingestellt, und die an den lukrativen Start ups sind auch schon alle Staatssekretäre beteiligt!

    • @Thomas Zwarkat:

      Filz isses nun schon wenn man einen anderen Lebensentwurf als Umweltministerin in Betracht zieht?



      Wer nicht in der Gosse landet ist moralisch verdorben?

  • Hinzufügen müsste man noch, dass der BDE - anders als der bvse - due Interessensgemeinschaft der Abfall-Großkonzerne ist.



    Da wo Geldgeber aus China kommen und der Müllwerker so beschissen wie nur möglich bezahlt wird (Kann ja Zuschlag von der Gemeinde bekommen). Gern auch wird Müll (sorry Wertstoffe) in Drittweltländer exportiert, man muss nur einen finden, der bescheinigt, dass in der Urwaldhütte was recycelt wird.

  • Sorry aber EX- Landespolitik ist extrem lukrativ, wie man an Sauter sehen konnte, oder der absolute Spitzenreiter, die 300 Millionen die FJStrauß seinen Erben hinterließ!



    Und wenn die Grünen jetzt genauso :Dauerkorruption werden, wie die CDSU, dann sind Diese genauso ein Krebsgeschwür am deutschen Durchschnitt-Bürger.

  • Wie heisst es so schön die Ratten verlassen das sinkende Schiff und, das füge ich mal hinzu, steigen auf ein luxuriöseres um solange noch Zeit ist. Sagt einiges über die Persöhnlichkeiten aus die mittlerweile bei den Grünen ganz oben sind.

  • "Das Problem in der Landespolitik ist dagegen ihre schiere Bedeutungslosigkeit" - und weshalb genau soll Frau Siegesmund dann ihre Wünsche und Ambitionen opfern?

  • Ach was, bei den Grünen geht es nur um Macht Geld + Karriere? Donnerwetter, wer hätte das geglaubt? Haben sich halt schnell angepasst.

  • Geht es in der Politik nicht immer um Köpfe? In Diktaturen übrigens auch. Da gibt es auch Interessengruppen und Scheinwahlen. In den USA können sie den Kapitalismus nicht abwählen. Nur den alten weissen Mann, der die nächsten 4 Jahre den Präsidenten geben darf! Es gibt auch noch Monarchien, mit Tronstreigkeiten und Kriegen. Dabei können auch mal fähige Herrscher ans Ruder kommen. Der Mensch ist ein Rottentier. Vergleichbar mit Wildschweinen. Da ist es allerdings ein weibliches Tier, das das Sagen hat.



    Im Angesicht der Klimakatastrophe wäre eine "weltweite Klimadikatur" mit einer fähigen Person an der Spitze die einzige Chance für die Menschheit. Nationalstaaten sind 19. Jahrhundert und passe. Aber das merkt leider keiner.

    • @Matt Gekachelt:

      Genau, der gute Diktator; ein Konzept, dass sich auch historisch gesehen immer wieder bewährt hat. Merken sie eigentlich noch was?

  • Eine absolute Schande für meine Partei die Grünen. Was anderes kann ich dazu nicht sagen. Als Ministerin abtreten um Lobbyistin zu werden. Völlig egal um was 3s sich für einen Verband handelt.

    • @wirklich?:

      Warum? Politik war immer ein möglicher Karriereweg. In allen Parteien. Es findet sich immer was, um seine Kontakte und sein Wissen zu versilbert. Geld stinkt bekanntlich nicht. Das war schon in der Antike so. Pecuniam non olet! Falls ich den Spruch nach über 50 Jahren noch richtig erinnere.

      • @Matt Gekachelt:

        Nix gegen Vereinigte Kalkwerke zum 50.



        Vllt erinnerns sich auch - lateinisch weist zart darauf hin!



        Sojet Sprüche nicht für Demokratien gebildet wurden - sondern für Machtgebilde Staaten et al. der ehna adäquaten Provenienz!

        kurz - Staune immer wieder!



        Wieviele Zeitgenossen doch lieber in ner Räuberhöhle - statt in einem Rechtsstaat leben wollen! Außer.



        Außer es vergreift sich jemand an ehran Blecheimer 🚙 • Woll!



        & nochens



        “Matt gekachelt“ - ist ein Euphemismus!

  • Ach was! ©️ Vagel Bülow

    Ja wie? “Wo es leider nur um Köpfe geht“



    Nö. Wieso! Mach Bosse: “Glaube Liebe Hoffnung!“



    Und GELD - ist das wichtigste von den Dreien! Woll

    Na Mahlzeit