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Google Street View in DeutschlandDie Kameras kehren zurück

Googles Autos sollen wieder durch deutsche Straßen rollen. Darüber empören sich viele zurecht, über alltägliche Datenschutzverletzungen dagegen kaum.

Immerhin erkennt man sie: Die Autos von Google Street View Foto: Reichwein/imago

Sie sind ein bisschen moderner geworden, die Street-View-Fahrzeuge von Google. Die an einer Art Mast auf dem Autodach angebrachte Rundumkamera sieht nicht mehr aus wie 2008, als die Geräte eher einer Feinstaubmessstation ähnelten. Das aktuelle Modell hat stattdessen etwas von einer Mischung aus blau-schwarzem Hydranten und mehräugigem Roboter. Auch die Fahrzeuge darunter tragen nicht mehr verschämt-improvisiert einen kleinen Schriftzug mit dem Firmennamen. Sondern selbstbewusst über die volle Breitseite „Google Street View“.

Klar. Alle wissen mittlerweile um die Vorteile solcher Dienste, das Verpixeln von Gesichtern und Autokennzeichen ist Routine, und die Gespräche mit Datenschutzaufsichtsbehörden laufen schon seit Monaten. Denn seit Donnerstag sollen die Fahrzeuge auch in Deutschland unterwegs sein. Dass es auch jetzt schon wieder empörte Kommentare gibt und Anleitungen geteilt werden, an welche Adresse man seinen Widerspruch schicken muss, wenn man das eigene Wohnhaus verpixelt haben möchte, zeigt vor allem eines: Ob Menschen sich für den Schutz ihrer Privatsphäre interessieren, hängt in aller Regel nicht von der Dimension ab, in der sie verletzt wird. Sondern von der Sichtbarkeit der empfundenen Verletzung.

Das führt zu folgender Ironie: Google fährt mit Kameraautos durch die Straßen, und plötzlich ist die Frage da, ob auch alle Gesichter konsequent und ordentlich unkenntlich gemacht werden. Parallel dazu fotografieren unzählige Menschen an allen erdenklichen Orten mit ihrem Smartphone durch die Gegend, laden diese Bilder bei über Gesichtserkennung verfügenden Online-Plattformen hoch und – nichts.

Google und zahlreiche andere Firmen und Subunternehmen, die wir nicht mal namentlich kennen, ja von deren Existenz die meisten In­ter­net­nut­ze­r:in­nen nicht einmal etwas gehört haben, öffnen unsere Schränke und Medikamentenkisten, schauen ins Bad und unter die Schlafzimmerdecke, kennen Einkaufskorb und Arbeitsweg. Sie sind manchmal Ärztin und manchmal Therapeut, werten persönliche Fotoalben aus, lesen Tagebücher und mitunter auch unsere Gedanken. Aber eine auch nur in annäherndem Maße vergleichbare Empörung gibt es nicht.

Illegale Praktiken von Datenhändlern

Es ist nur zwei Wochen her, dass das Portal netzpolitik.org in einer spektakulären Recherche die mutmaßlich illegalen Praktiken von Datenhändlern enthüllt hat. Politiker:innen, die sich mit Datenschutz auskennen, und Bürgerrechtsverbände zeigten sich empört. Der Experte des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) sprach vom „Snowden-Moment der Online-Werbebranche“. Einige Aufsichtsbehörden ermitteln nun, vielleicht gibt es irgendwann mal ein paar Bußgelder.

Der Punkt ist: Auch nach Snowden änderte sich an den Praktiken wenig. Ja, viele Nut­ze­r:in­nen wissen nun um die geheimdienstlichen Überwachungsmethoden. Europäische E-Mail-Dienste verzeichneten einen kleinen Boom. Aber die EU verhandelt derzeit mit den USA über eine dritte Vereinbarung, die den Transfer von Daten europäischer Nut­ze­r:in­nen in die USA auf eine rechtliche Basis stellen soll. Warum eine dritte? Weil die beiden vorangegangenen vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurden – zu viel Überwachung jenseits des Atlantiks, zu schmal bis nicht vorhanden die Handhabe hiesiger Nut­ze­r:in­nen dagegen. Die Chancen stehen ziemlich gut, dass Nummer drei eine ähnliche Zukunft bevorsteht.

Genau wie Empörung weitere Empörung nach sich zieht, zieht auch ihr weitgehendes Ausbleiben das Gefühl von „na dann ist das wohl okay so“ nach sich. Die Unsichtbarkeit der alltäglichen großen Verletzungen ist damit die Basis der heutigen Tech-Industrie. Denn sie verdient mit dem Datensammeln und darauf basierender Werbung viel Geld. Die Sichtbarkeit der Street-View-Fahrzeuge sollte darüber nicht hinwegtäuschen.

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9 Kommentare

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  • Es lebe Google, Meta, Amazon ....



    Dank dieser gemeinnützigen Institutionen ist der Fortschritt in der Welt nicht mehr aufzuhalten!!



    Vorschlag.



    Vor kurzem gab es doch Wahlen in Deutschland.



    Ich weiß nicht, wie viele Millionen Euro dafür ausgegeben wurden.



    Lasst doch Google /Facebook... die nächsten Wahlen durchführen.



    Und die Millionen, die dabei eingespart werden, können wir dann direkt an Google/Meta.. Überweisen!!



    Ist das nicht eine Super-Idee!!!



    Es lebe die direkte Demokratie. Es lebe Google ....

  • Wenn man sich Google Maps für Europa anschaut, sind die weißen Flecken bei Streetview Deutschland, Bosnien und Belorus. Haben die anderen Länder keine Datenschutzvorbehalte?



    Ich nutze Google Maps und auch Streetview gern für meine Reisevorbereitung.

  • Europaweit nutzt man Street view - ohne dass man in Orgie von Gewalt und Einbruch versunken wäre.



    Ob der deutsche Unwille dass echte Bilder der öffentlichen Seite ihrer Behausungen öffentlich sind etwas mit der sehr deutschen Angst zu tun hat, jemand könne aus dem Äußeren des Hauses auf innere Qualitäten der Bewohner schließen?



    Das ist ähnlich Paranoid und Meschugge, wie jene, die nicht wollen, dass ihr Name auf dem Klingelschild steht.



    Ein größerer Eingriff in die Intimsphäre ist die Schufaabfrage die der Planschbeckenlieferant tätigt, bevor er kommt und nicht dass er auf Streetview geschaut hat, wo er es ablädt.

  • In der richtigen Version unserer Welt sind die bildlichen Aufnahmen, egal ob vom Orbit oder der Straße aus, opt-in. de.wikipedia.org/wiki/Opt-in Besitzer und Mieter müssen alle 5 Jahre eine schriftliche Genehmigung einreichen, wenn sie möchten, dass ihre Grundstücke und Immobilien bei Straßenkartendiensten usw. sichtbar sein sollen. Alles andere wird automatisch komplett (!) unkenntlich gemacht bzw. nach einem jederzeit machbaren Widerspruch, Ablauf der fünf Jahre also im Zweifel auch im Todesfall spätestens nach fünf Jahren, wieder unkenntlich gemacht. Ob Alphabet Inc. in dem Fall auch so geil darauf wäre, möglichst viele Straßen abzufahren, darf bezweifelt werden. Leider ist fast alles heutzutage opt-out und das halte ich ganz klar für "illegale Mache" aka. g.g.S..Hat man eine Adresse, die nicht j.w.d. ist, erfährt potenziell jede:r anhand solcher Fotos bequem vom Sofa aus sehr viele Informationen von der Lebenssituation angefangen, über die gefahrene Automarke bishin zur bevorzugten Fußballmannschaft und je besser die Aufnahmen sind umso mehr. Was dann erst mit Software möglich ist, ist alles unter der sichtbaren Spitze des Eisbergs. "Bild" würde schreiben: Wir sind Titanic. ^^

    • @Hoagie:

      Wobei schon zu klären wäre ob Gebäudefassaden die von öffentlichem Grund aus sichtbar sind unter Datenschutz und Persönlichkeitsrechte fallen. Müsste ich also wenn ich meine Familie auf dem Marktplatz irgendeiner Stadt fotografieren möchte zuvor das Opt-In der Eigentümer der Gebäude im Hintergrund einholen? Müsste es der ÖRR der dort ein Interview aufzeichnet und ausstrahlen möchte?



      Ich bin wirklich sehr für Datenschutz, aber der Artikel hat schon recht, es ist absurd wie sehr Street View die Gemüter erhizt während weitaus gefährlichere Entwicklungen (eGK, die immer wieder aufgegriffene Vorratsdatenspeicherung, Smart Cameras und Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, ...) gemeinhin ignoriert oder gar gut geheißen werden.

    • @Hoagie:

      Im öffentlichen Raum darf laut den Grundsätzen des Persönlichkeitsrechts jeder Fotos machen und die auch ins Internet laden, wenn keine Person als Hauptthema (sondern nur als Beiwerk) erkennbar ist. Egal ob Otto-Normal-Smartphoneuser oder Google-Auto.

      Wenn Sie schon so negativ über Streetview denken: Sie haben doch sicher ...

      1) noch nie Street View oder einen ähnlichen Dienst fürs Ausland genutzt,

      2) noch nie ein schönes altes sehenswertes Haus fotografiert und dann ins Internet gestellt (da wohnen ja oft auch Leute drin ... wie war das mit der Lebenssituation und so?),

      3) alle Häuser, die Sie fotografiert und irgendwo veröffentlicht haben, und alle Leute, die zu erkennen sind, ordnungsgemäß verpixelt,

      4) noch nie irgendwelche Fotos im Internet angeguckt, auf denen Häuser und/oder Leute zu sehen sind, die bzw. deren Besitzer wohl nicht zugestimmt haben. Gilt auch und besonders fürs Ausland.

    • @Hoagie:

      Warum soll der Allgemeinheit ein nützlicher Dienst vorenthalten werden, nur weil >5% der Deutschen ein Problem damit haben, dass ihr Haus bei Street View (und Apples Karten-App) abgebildet ist?

      Opt-Out ist genau das richtige.

  • Wissen die Leute, die jetzt wieder das eigene Wohnhaus verpixelt haben möchten, dass Apple einen nahezu identischen Dienst in ihrer Karten-App anbietet? Wo jede Straße und jedes Haus in Deutschland fotografiert und abzurufen ist?







    Gott sei dank bringt Google Street View jetzt wieder auf den neuesten Stand. Ein großartiges und sehr nützliches Feature, dass ich schon unzählige Male (im In- und Ausland) genutzt habe.

    • @gyakusou:

      Sehr naiv!