Xis Anruf in Kiew: Noch kein Grund zur Freude
Gegenüber der EU präsentiert Chinas Staatschef sich mit seinem Anruf beim ukrainischen Präsidenten als Friedensvermittler. Glaubwürdig ist das nicht.
S chon am Tag nach Xi Jinpings Telefonat mit Selenski folgt die Ernüchterung: Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass es sich beim ersten Gespräch zwischen den beiden seit Kriegsbeginn vor allem um einen klugen Schachzug Pekings handelt.
Immerhin 14 Monate hat sich Xi trotz mehrfacher Bitten Selenskis Zeit gelassen, um endlich zum Hörer zu greifen. Der Zeitpunkt hat mit einem diplomatischen Eklat zu tun: Am Freitag hatte Chinas Botschafter in Paris die Souveränität der ehemaligen Sowjetrepubliken infrage gestellt – und damit für immensen Missmut in der EU gesorgt, dem wichtigsten Handelspartner der Volksrepublik. Nun geht es für China um Schadensbegrenzung.
Vor allem aber kann Xi mit seinem Vorschlag, einen Sondergesandten nach Kiew zu schicken, zwei scheinbar gegensätzliche Ziele erreichen: Gegenüber Brüssel präsentiert er sich als Friedensvermittler, ohne bislang handfeste Resultate produzieren zu müssen. Indirekt dürfte er jedoch auch seinem „alten Freund“ Wladimir Putin beistehen: Schließlich bereiten sich die ukrainischen Truppen gerade auf eine große Gegenoffensive vor, die China nun mit seiner diplomatischen Intervention weiter verschieben wird.
Der tschechische Präsident und ehemalige Nato-General Petr Pavel hat seine Skepsis an der chinesischen Vermittlerrolle so formuliert: „Ich glaube, dass es im Interesse Chinas liegt, den Status quo zu verlängern, weil es Russland zu einer Reihe von Zugeständnissen drängen kann“, sagte er in einem Interview gegenüber Politico.
Fakt ist: Peking profitiert von der Abhängigkeit Moskaus, doch es hat kein Interesse daran, dass die russische Regierung in eine existenzielle Krise gerät.
Um die Kritiker eines Besseren zu belehren, müsste Chinas Staatschef einmal den Elefanten im Raum benennen: Dass Moskau der Aggressor ist. Bislang spricht Peking von dessen „legitimen Sicherheitsinteressen“. Die Schuld sieht China bei der Nato und den USA, die mit ihren Waffenlieferungen „Öl ins Feuer gießen“ würden.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Tarifverhandlungen bei Volkswagen
VW macht weiterhin Gewinn