piwik no script img

Dekolonisierung in der Republik MoldauEnde des historischen Sprachkampfes

In der Verfassung Moldaus wird jetzt die Bezeichnung „moldauische Sprache“ durch „rumänische Sprache“ ersetzt. Das ist eine politische Entscheidung.

Proteste gegen die Änderung der moldauischen Sprache in rumänische Sprache vor dem Verfassungsgericht in Chisinau Anfang März Foto: Dumitri Doru/epa

E s ist ein historischer Moment für die Republik Moldau: Rumänisch ist jetzt offizielle Amtssprache geworden. Es hat damit die moldauische Sprache in dieser Rolle abgelöst. Dabei existiert „Moldauisch“ eigentlich gar nicht, sondern ist eine Bezeichnung, die sich die sowjetischen Machthaber ausgedacht haben und die nach 1991 von prorussischen Politikern am Leben gehalten wurde. Zwischen 1941 und 1989 wurde in der „Moldauischen Sowjetrepublik“ die Sprache sogar mit kyrillischen Buchstaben geschrieben, um klarzumachen, dass sie eben nicht mit dem Rumänischen gleichzusetzen sei.

Война и мир – дневник

Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.

Ich selber hatte nie Zweifel daran, welche Sprache ich spreche, nämlich Rumänisch. Das ist die Sprache, die ich zu Hause, mit meinen Freunden und den Menschen in meinem Land spreche. Die ich in der Schule gelernt habe. Auf politischer Ebene war die Sprache allerdings seit drei Jahrzehnten, also seit Moldau 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte, immer wieder Anlass für Streitereien und wurde von moskautreuen Politikern zur Spaltung der Bevölkerung instrumentalisiert.

So leben wir seit 32 Jahren mit dieser Absurdität, dass die Sprache dieses Landes immer Rumänisch war, aus politischen Gründen aber „Moldauisch“ genannt wurde. Vergangene Woche nun stimmte das moldauische Parlament mit den Stimmen von 58 proeuropäischen Abgeordneten dafür, dass Rumänisch offizielle Amtssprache unseres Landes wird.

Tatsächlich war die Abstimmung über dieses Gesetz der Abschluss eines seit 200 Jahren währenden Sprachkampfes, den unser Land nach der Trennung von Rumänien unter russischer Vorherrschaft und einem umfassenden Prozess der Entnationalisierung durchlaufen hat. Die moldauische Sprache wurde angeblich in der Region Transnistrien erfunden und anschließend von den sowjetischen Behörden benutzt, um uns eine falsche Identität aufzuzwingen.

Daniela Calmîș

Journalistin aus der Republik Moldau. Sie schreibt für Ziarul de Gardă, eine investigative Zeitung in Chisinau, v.a. zu gesellschaftspolitischen Fragen und den Themen Menschenrechte und Korruption.

Auch nach der Unabhängigkeitserklärung des Landes war es Moskau immer wichtig zu erklären, dass Sprache und Volk hier eben nicht rumänisch seien. In der jungen, unabhängigen Republik Moldau kamen bald Kommunisten ans Ruder, die, wie auch Russland, die Staatlichkeit des Landes erhalten wollten und um dieses Ziel zu erreichen, stets von „moldauischem Volk“ und „moldauischer Sprache“ redeten. Und so fanden sich diese Bezeichnungen dann 1994 auch in der Verfassung wieder.

Das neue Gesetz symbolisiert für uns die Rückkehr zur historischen Wahrheit, auf die die Mehrheit der Bevölkerung seit der Unabhängigkeitserklärung wartet. Das Ablegen der sowjetischen Kleidung und die Rückkehr zu den wahren Werten des Volkes machen den Weg dorthin frei, wohin die Republik Moldau strebt: in die europäische Familie, von der die rumänische Sprache ein Teil ist.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung

Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA im September 2022 herausgebracht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Die propagandistische Darstellung im Artikel ist wenig stimmig: "Rumänisch" ist erst im 19. Jahrhundert von kyrillischer zu lateinischer Schrift umgestellt worden. Gleichzeitig ist eine große lexische Schicht durch französische Wörter ersetzt worden. Moldauisch wahrt dagegen die traditionellere Form der Sprache: sowohl was die Schrift, als auch was die Lexik angeht. Dabei stammt auch die Bezeichnung "Rumänien" für Gebiete vom alten Fürstentum Moldau erst aus dem 19. Jahrhundert.

  • Moldawien erschien früher: Das moldauische Fürstentum wurde 1357 gegründet, und Rumänien als Staat wurde erst 1861 aus der Walachei und der Moldau gebildet.



    Es ist komisch, dass jetzt Rumänen aus Moldauer gemacht werden, was ziemlich seltsam ist.

  • Der Artikel überzeichnet ein wenig. In Moldau hat es nie diesen spaltenden Sprachenstreit gegeben, wie in der Ukraine. Tatsächlich wechseln Moldauer im Gespräch vom Rumänischen ins Russische und zurück - zuweilen in einem Satz.

    Der Begriff Moldauisch ist natürlich ein Treppenwitz aus Sowjetzeiten, der jetzt in den russischen Nationalismus hervorragend passt.

    Man darf aber nicht vergessen, dass das Land bis vor kurzem 50:50 in einen russischen und einen rumänisch-europäischen Teil gespalten war. Und man darf auch nicht vergessen, dass Europa eine Neuentdeckung für Moldau ist. Noch vor wenigen Jahren, unter der Regierung Basescu im benachbarten Rumänien, wurde über einen Anschluss Moldaus zu Rumänien diskutiert und verhandelt. Da hatten die russischen Moldauer Angst, die Verlierer zu sein.

    Irgendwann merkten dann die Moldauer, dass die Karte Europa der König ist, der die Dame Rumänien sticht. Da konnte Bukarest noch so viele Pässe ausstellen, die einen Eintritt nach Europa ermöglichten. Am Ende haben sich die Moldauer für den König in Brüssel entschieden.

    Und seien wir ehrlich. Die Sprache verliert mehr und mehr ihre Beweiskraft einer bestimmten Zugehörigkeit. Ganz pragmatisch ist es einfach so, dass in der EU mehr Rumänisch als Russisch gesprochen wird. So einfach ist das. Die Österreicher, obwohl sonst sehr verkrampft, wenn es um Abgrenzung zum Piefke geht, sehen das auch ganz ungezwungen und sprechen Deutsch und nicht Österreichisch.

  • Wenn ein Teil der Bevölkerung glaubt, dass sie eine eigene Sprache haben, dass sie eine eigene Sprache haben, dann existiert diese Sprache.

    So wie die Autorin argumentiert, können die Russen argumentieren, dass die ukrainische Sprache nicht existiert. Serbisch und Kroatisch galten lange Zeit als „das Gleiche, nur mit unterschiedlichen Alphabeten geschrieben“.

    Endlich. Das Konzept der Dekolonisierung wird in Situationen verwendet, die eigentlich eine separate Herangehensweise erfordern. Wenn das so weitergeht, verliert dieser Begriff seine Eigenschaft als Analyseinstrument und mutiert zu einem verschwommenen Slogan, den jeder zu verstehen glaubt, den aber niemand definieren kann.

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Nun schreibt doch aber die Autorin, dass die Moldawier selbst nicht glauben, sie hätten eine eigenen Sprache.

      Wenn Russen über die Existenz der ukrainischen Sprache urteilen, ist das von außen aufoktroyiert.

      Hier ist es anscheinend eine Entscheidung der Sprecher dieser Sprache.

      Das wäre der Umkehrschluss zu ihrem Theorem:

      Wenn eine Bevölkerung nicht glaubt, dass sie eine eigene Sprache spricht, existiert diese Sprache auch nicht.

  • Auch Rumänisch wurde früher (bis 1862) in kyrillischer Schrift geschrieben. Das liegt an der Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche, nicht an der Russifizierung.