Regionalverkehr als Performance: Pendeln mit und ohne Bahn
In verschiedenen Verkehrsmitteln von Altona in Hamburg nach Burg in Dithmarschen: Bei der Kunstperformance „Von A nach B“ ist der Weg das Ziel.
Die Gedanken kreisen um Bewegung, um Zeit und Raum, um Nähe und Ferne, um Transportmittel, reale und erträumte. Es ist eine Kunstperformance im öffentlichen Raum, bei der zufällig Mitreisende, das Wetter und die Verkehrslage zu unwissenden Akteur*innen werden.
Und nun ist es die Bahn, die nicht oder vielleicht zu gut mitspielt. Der Regionalzug 61 kam bereits zu spät in Pinneberg an, auf der Fahrt nach Itzehoe verliert er weiter an Zeit. So ist der Anschluss nach Burg weg, und die Gruppe sitzt auf dem Bahnhof fest.
„Das war die einzige Variante, die wir nicht durchgespielt haben“, gibt Reiseleiterin Gesche Groth zu. Die gebürtige Dithmarscherin gehört zum Team der Regisseurin Charlotte Pfeifer, die das Projekt „Von A nach B“, diese Mischung aus „Abenteuer, Butterfahrt und Bildungsreise“, initiiert hat.
Überall geht was schief
Die gebürtige Hamburgerin Pfeifer lebt heute selbst in Dithmarschen, mit Verkehrsverbindungen muss sie sich täglich auseinandersetzen. „Das Thema lässt hier niemanden kalt, das haben wir bei der Vorbereitung gemerkt“, sagt sie.
Die Performance regt an, über Fortbewegung nachzudenken. Die Aktion wendet sich an die Groß- und Kleinstädter*innen gleichermaßen: Während die einen aus Hamburg anreisen, warten die anderen bereits am Zielpunkt, dem Bahnhof in Burg.
Eigentlich sollten die Teilnehmenden drei unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen, um sich dem Ziel in Dithmarschen zu nähern. Neben Bahn und Auto steht auch ein Platz in einem Kleinflugzeug zur Verfügung, das die Strecke von Uetersen-Heist nach St. Michaelisdonn durch die Luft bewältigt. Doch am Premierentag kann die Maschine wegen starken Windes nicht starten. Für die weiteren Aufführungen am Wochenende 1. und 2. April sollten Flüge möglich sein, hofft Pfeifer.
Per Los entscheidet sich, wer welches Transportmittel nutzt. Eine kleinere Gruppe steigt in den „Sonnenwagen“ des Sonnengottes Helios – hinter der Verkleidung aus weißer Tunika und Strahlenkranz steckt der Performer und Musiker Pascal Fuhlbrügge. Die Mehrzahl nimmt die Bahn.
Wer zuerst ankommt und ob alles glatt läuft oder etwas schiefgeht, ist von vielen Faktoren abhängig: Auf der Autobahn könnte ein Stau die Fahrt verzögern, schließlich ist der Elbtunnel wegen Bauarbeiten gesperrt. An den Bahnhöfen warnen die digitalen Anzeigen bereits vor Störungen durch den bundesweiten Streik am Montag. Eigentlich funktioniert an diesem Samstag also kein Weg von A nach B optimal.
Im Regionalzug von Altona nach Pinneberg überlegen die Reisenden, welche Transportmittel ihnen am liebsten wären: Das Fahrrad natürlich, das im Alltag die meisten der Teilnehmenden benutzen. Aber auf der Wunschliste stehen bald auch Teleporter, Segelyacht oder Zeppelin. „Am liebsten würde ich selbst, sprich aus eigener Kraft, fliegen können“, sagt eine Mitreisende.
Vor dem Fenster zieht die Landschaft vorüber: Anfangs die dicht besiedelte Speckgürtelregion mit ihren gleichförmigen Einfamilienhäusern. Dann blitzen die ersten grünen Felder zwischen den Häusern auf. Ein Bauernhof liegt direkt am Gleis, Kühe trotten auf dem Weg zum Melkstand vorbei, ohne auf den vorbeifahrenden Zug zu achten. Entschleunigung. Abstand.
Wie es sich anfühlt, jeden Tag zu pendeln, vermittelt eine Audio-Dokumentation, die den Mitgliedern der Reisegruppe über Kopfhörer eingespielt wird. Pfeifer und ihre Mitstreiter*innen haben dafür Menschen befragt, die Bahn, Auto oder Flugzeug nutzen. Klar ist: Täglich fahren zu müssen, belastet. Die Befragten eint die Einsicht: „Ich hab’s mir ja selbst ausgesucht.“ Dennoch klagen die, die regelmäßig Bahn fahren, über häufige Verspätungen.
Schnaps und Stadt-Land-Fluss
Wer im Auto sitzt, berichtet von Staus und den Reaktionen darauf: „Ich schimpfe vor mich hin“, gesteht eine Frau. Und dass Fliegen mit schlechtem Gewissen verbunden ist, weiß der Pilot, der die Freiheit über den Wolken liebt, aber im Interview berichtet, er verzichte dafür auf Fleisch und fahre ein E-Auto.
Während der Fahrt teilt Gesche Groth Tee, Schnaps und vorbereitete Bögen für ein „Stadt-Land-Verkehrsfluss-Spiel“ mit eigenen Fragekategorien aus. Am Bahnhof in Pinneberg probt die Gruppe das plattdeutsche Lied „Dat du mien Leevsten büst“ – andere Wartenden stimmen teils mit ein, andere klatschen für die Darbietung.
Doch in Itzehoe ist der Anschlusszug weg, der nächste fährt eine Stunde später. Um die Performance noch zu erreichen, geht es spontan per Taxi weiter.
In Burg am Bahnhof haben sich rund ein Dutzend Personen um eine Modelllandschaft versammelt, an der sie Verkehrswege durchspielen. Vielleicht durch ein „Rabbit Hole“, das Zeit und Raum mühelos überwindet? Performerin Sibylle Peters zeigt im Kaninchenkostüm, wie das geht.
Am Ende stehen Wünsche: Falls Teleport und Flügel nicht möglich sind, wie wäre es mit besseren Bus- und Zugverbindungen? Oder einer besseren Infrastruktur auf dem Land, sodass weniger Fahrten nötig sind? Charlotte Pfeifer wird die Ergebnisse der insgesamt vier Performances zusammentragen und an das Verkehrsministerium in Kiel schicken.
„A->B. Ein Modell für eine bessere Verbindungen“: Sa, 1. 4. und So, 2. 4., Treffpunkt A 16.30 Uhr, Altonaer Bahnhof, vor dem Reisezentrum; Treffpunkt B 18 Uhr, vor dem Bahnhof Burg (Dithmarschen); Infos: http://charlottepfeifer.net
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