Performance in Hamburg: Spiel doch mit den Schmuddelkindern

Eine andere Ästhetik und ansteckender Spaß: In Hamburg erprobt ein altersübergreifendes Kollektiv, was im Theater entsteht, wenn alle mitspielen.

Kostümierte menschen auf einer Bühne, in rosafarbenes Licht gehüllt. Im Hintergrund ein Schild: "Happy Kitchen"

Bunte Trash-Ästhetik: Bühne, Kostüme und Requisiten haben einen anarchischen Bastel-Charme Foto: Christian Martin

Meine Güte, wie sieht’s denn hier schon wieder aus!?! Wie ein großes Kinderzimmer, wenn die Aufsichtspersonen mal länger nicht da waren, um das Spielen in seine Grenzen zu verweisen! So wirkt die viereckige Bühne auf Kampnagel, um die herum das Publikum am Mittwochabend Platz nimmt. Schlicht „Spielen #1“ heißt die Performance, die die Gruppe Skart gemeinsam mit dem altersübergreifenden Kollektiv „Masters of the Universe“ (mit Mitgliedern zwischen acht und 40) und dem inklusiven Hamburger Ensemble „Meine Damen und Herren“ entwickelt hat.

Was war hier bloß los? Überall Farbkleckse auf dem Boden und Gekritzel und herumliegende Spielsachen. Riesige, umgekippte Vasen mit Teletubbies darauf, die jetzt aussehen wie ausgekippte Füllhörner. Am Rand steht eine große Mülltonne, auf die jemand „ICH BIN KRASS“ gekritzelt hat, das „A“ ist ein Anarchiezeichen. Daneben stehen eine kleine Küche mit einem „happy kitchen“-Schild darüber und eine Empore mit zwei großen Kirschen darauf. Auf einem verspiegelten Podest gegenüber liegen Zuckerpackungen und verstreute Zuckerkristalle. Hier wurde offenbar lange und ausgiebig und sehr frei gespielt und gebastelt – und keiner denkt ans Aufräumen.

Die Per­for­me­r:in­nen des Abends sind Kinder und Mitglieder von Meine Damen und Herren. In bunt-verspielten Trash-Bastel-Kostümen sitzen sie zu Beginn auf der Bühne: als Biene mit einem aufgeklappten Laptop als Flügel auf dem Rücken zum Beispiel oder als zotteliger Hase mit vier Ohren und pinken Bärchen-Hausschuhen. Ein kleines Mädchen hat eine Weste mit dem Symbol der Hausbesetzerszene an. Die meisten spielen zu klackernden Elektronikklängen müde mit Hühnereiern. Ein Mädchen zündet Kerzen an und klebt sie im Gittermuster auf den Boden.

Dann ein Techno-Beat, ein Mädchen fährt in einem blinkenden Elektro-Spielzeugauto auf die Bühne, die anderen beginnen mit merkwürdigen Schritten hinter ihm herzulaufen. Spielen eben. Plötzlich wird es dunkel. „Ich habe Angst“, ruft jemand. Ein Spot geht an und ein Wesen hält mit lauter Stimme von der Empore eine abstruse Anklage: „Bekennt euch schuldig, nicht schuldig zu sein!“ Die Strafe: 18 Jahre Kippendrehen, aber es seien eigentlich 36 Jahre, weil man nicht schlafen dürfe, um die Strafe voll und ganz auszukosten. Stubenarrest.

Anarchisch antipädagogisch

Eine Stunde lang probieren die Per­for­me­r:in­nen in verschiedenen Szenen solche Spielrituale aus: eine Kissenschlacht mit dem vierohrigen Hasen, der sich als Osterhase entpuppt, zum Beispiel – bis das kleinste Mädchen ans Mikro tritt und mit düsterer Stimme sagt: „Hört auf, den Osterhasen zu ärgern! Lasst uns lieber Satanismus spielen!“ Ein Spielfeld wird ausgerollt, ein Junge schreibt mit roter Farbe wie mit Blut „Ja“ und „No“ in vier Felder, alle beginnen in schwarzen Kutten und stockenden Schritten eine Prozession um das Feld. Wer geopfert wird, das wird wie im Kinderspiel mit Schere, Stein, Papier entschieden. Aber es gibt auch Seilspringen mit verbundenen Augen, Herumspringen vor der Windmaschine. So was.

Eine Geschichte erzählt der Abend dabei nicht. Denn erklärtes Ziel des von Skart ist seit zehn Jahren ein Theater der ausdrücklich unfertigen Formen: „Spielen ist die Freiheit, nicht das zu tun, was man muss. Und nicht unbedingt zu können, was man tut. Man weiß nicht, wie es endet. Oder welchem Zweck es dient“, steht dazu diesmal im Stückzettel. Kein Erbauungstheater für Kulturerfahrene will das sein: Als Zu­schau­en­de:r muss man nichts darüber wissen, wie Theater sonst so auszusehen hat.

„Spielen #1“: Do, 30.3. bis Sa, 1.4., 19 Uhr, Hamburg, Kampnagel, Jarrestr. 20

Hier geht es weniger ums Produkt als um das gemeinsame Produzieren. Schon in der Entstehung der Stücke sollen alle gleichberechtigt und zugleich professionell zusammenarbeiten – trotz altersbedingter und anderer Machtgefälle. So soll ein Theater der neuen Generation und eine neue Generation von Theater zugleich erprobt werden: basisdemokratisch, anarchisch postdramatisch und antipädagogisch. Alle an der Produktion Beteiligten sind alles zugleich: Ide­en­ge­be­r:in­nen und Regisseur:innen, Dar­stel­le­r:in­nen und Autor:innen, Bühnen- und Kostümbildner:innen. Ein emanzipiertes, gemeinsames Lernen voneinander soll das sein statt machtbasierter, verdummender Pädagogik.

Bekannt sind Skart für opulente und multimediale Spektakel wie ihre trashige Trilogie über Materialismus und Überfluss: „Lucky Strike“, „Schlaraffenland“ und „Exodus“. Diesmal ist das Ergebnis etwas leiser, kleine Szenen, die eine eigene Ästhetik entwickeln wie dieses beeindruckend selbstbewusst-zärtliche, ausgiebige Zuckerbad von „Meine Damen und Herren“-Performerin Paula Stolze.

Zu sehen und zu kritisieren gibt es hier am Ende also gar nichts, was den Anspruch erhöbe, fertige Kunstform zu sein, deren Mängel man kennzeichnen müsste – wie dieses dann schon arg plötzliche Ende! Denn eins hat man dann ja doch gelernt: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, immer wieder geht das Theater von vorn los. Dabei zuzuschauen ist auch ganz ohne Moral am Ende faszinierend und ansteckend. Und zu Hause fängt man an, die alten Bastelsachen wieder herauszuholen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.