Kunst über Deutschland und Sklavenhandel: Kein Ausweg aus dem White Room
Der Künstler Cameron Rowland räumt mit der Ausstellung „Amt 45 i“ im Frankfurter Bankenviertel weißdeutschen Rassismus ab.
Ein fast leerer Großraum mit weiß getünchten Wänden, eine fußnotenreiche Broschüre – das Museum der Zukunft? „Amt 45 i“ heißt die Ausstellung, die Cameron Rowland im Tower an der Taunusanlage eingerichtet hat.
So lautet die amtliche Nummerierung der Nebenstelle des Frankfurter MMK im Bankenviertel, wo Rowland mit neun Exponaten und einer 20-seitigen Synthese des Forschungsstands die deutsche Verwicklung in die transatlantische Sklaverei aufzeigt und ohne die man die Ausstellung nicht verstehen kann. Dass Deutschland überhaupt als wichtiger Akteur aufgetreten ist, dürfte den meisten Besuchern neu sein.
Das Deutsche Reich schien mit dem „Verlust“ seiner Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Schneider, nachdem es sich in „Deutsch-Südwestafrika“ eines kolossalen (und zu allem Unglück stilbildenden) Völkermords schuldig gemacht hatte, der Nachgeborenen erst spät bewusst geworden ist.
Doch einen „German Exceptionalism“ gab es auch schon früher nicht; im Deportationsdreieck afrikanischer Zwangsarbeiter auf Plantagen jenseits des Atlantiks waren schon im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation dessen Kaufleute, Bankiers und Wertpapierhändler in nicht geringer Zahl und keineswegs nur in Nebenrollen involviert.
Cameron Rowland: „Amt 45 i“, Tower MMK, Frankfurt am Main, bis 15. Oktober
Das kann man aus der neueren Forschung, dokumentiert in dem Sammelband „Beyond Exceptionalism“ (2021), wissen. Was also trägt Rowland bei, der sich daraus reichlich bedient? Er unterlässt zunächst die oft an Horror-Folklore oder umgedrehte Kolonialwarenläden erinnernde Darbietung von Reliquien dieses Menschheitsverbrechens.
Schlichtes Diagramm zur Historie der Commerzbank
Zu sehen bekommt man als Ausstellungsstück Nr. 2 ein schlichtes Diagramm aus dem Historischen Museum der Mainmetropole, das die Historie der Commerzbank darlegt, ohne die Kolonialgeschäfte mit Hamburger Kaufleuten und Frankfurter Finanziers überhaupt zu erwähnen.
Das Faksimile heißt „Omissions“ und ist programmatisch gemeint: Es sind die Auslassungen, die zählen, also das Ungesagte des durchaus Sagbaren über das Unsägliche der Versklavung. Weit über den ganzen Stock verstreut sind ferner zu sehen ein Webstuhl, ein quer durch den Saal gespanntes Seil, ein Häufchen Salz und Pfeffer, eine rostige Hippe, ein großer Zuckerkessel, zwei Eimer Oxalsäure.
Diese Kargheit überzeugt: Der Webstuhl diente im 18. Jahrhundert der Herstellung von „Osnaburgs“, einer groben Leinenbekleidung aus der Niedriglohnregion um Osnabrück, die zu Dumpingpreisen nach Westindien exportiert wurde. Die Sklaven mussten sie tragen und waren dadurch als solche zu erkennen, wenn ihnen die Flucht gelang; wer teurere Hemden trug oder austeilte, wurde bestraft. Salz und Pfeffer wurden in Wunden gerieben, die sich die Versklavten zugezogen hatten oder Aufseher ihnen mit Peitschenhieben zugefügt hatten.
Dagegen erhob sich Widerstand. Das bei Dunkelheit quer über den Weg gespannte Seil, hier unter grellem Neonlicht nachgestellt, brachte die Pferde der Reiterpatrouillen zu Fall; die Hippe, mit der Zuckerrohr geschlagen wurde, diente für Rache- und Sabotageakte, mit dem Reinigungsmittel Oxal wurden Giftanschläge auf Sklavenhalter verübt.
Rowlands Coup soll der als Nr. 6 gezeigte Vertrag zwischen der von ihm gegründeten Firma „Bankrott Inc.“ und dem MMK sein. Besiegelt durch deren Direktorin Susanne Pfeffer und von den Justiziaren der Stadt Frankfurt offenbar für einen Scherz gehalten, meint es Rowland bitterernst.
Ein Darlehen der Bankrott Inc.
„Dem Museum MMK für Moderne Kunst wurde von der Bankrott Inc. ein Darlehen in Höhe von 20.000 Euro gewährt. Die Firma wurde gegründet, um als Gläubiger eine unbefristete Schuld zu halten. Da es sich um ein Darlehen auf Abruf handelt, können keine Zahlungen geleistet werden, bis der Darlehensgebende die Rückzahlung verlangt. Bankrott Inc. wird die Rückzahlung niemals einfordern.
Für die Schulden fallen auf unbeschränkte Zeit Zinsen an. Sie werden jedes Jahr um 18 Prozent, den höchsten gesetzlich zulässigen Satz, steigen. Das Museum MMK für Moderne Kunst ist eine städtische Behörde – unter dem Kürzel ‚Amt 45 i‘. Der Schuldner ist in diesem Fall also die Stadt Frankfurt am Main.“
Gläubiger Rowland stellt mit diesem Schriftstück zwei Langzeitfolgen der Sklaverei heraus: Erstens die Tatsache, dass Sklavenhalter nach Abschaffung der Sklaverei mit skandalös hohen Summen entschädigt wurden, die ins Finanzsystem des Globalen Nordens einsickerten und Unternehmen, Universitäten, Museen (wie dieses) und Regierungen bis heute alimentieren.
Zweitens fehlt diesem endlos exponentiellen Regress das Gegenstück. Nachfahren der Sklaven haben kaum Entschädigungen erhalten, und würde man sie in Betracht ziehen, käme eine ähnlich absurde Summe zustande, die Frankfurt von Bankrott Inc. fiktiv aufgebürdet werden: 311 Milliarden Euro im Jahr 2123.
Wer diese Geschichtslast nicht aushält, dem weist Rowland als Ausstellungsstück Nr. 1 diverse Fluchtwege aus der Ausstellung. Sie führen durch eine exquisite Büro- und Apartmentinsel in ein Rowland zufolge durch Ausbeutung von Sklaven entstandenes Zentrum der globalen Finanzwirtschaft, zu dessen Komplizen selbstredend dieses Museum gehört. Die Ausstellung soll ein Schlag ins Kontor sein – „Aus diesen Schulden gibt es kein Entkommen“, titelte das Kunstmagazin Monopol.
Sehr zweifelhaft ist indes die überidentifizierte Erregung, die das offenbar auslöst. Nüchterne Geschichtsschreibung vermeidet dergleichen, sofern sie nicht auch in die Falle einer „kritischen Rassentheorie“ tappt, die wie in Rowlands Text jede Erwähnung von Weiß-Sein kursiviert und es pauschal mit „Anti-Schwarzsein“ gleichsetzt. Der Beitrag des Zwangsarbeitssystems auf den Plantagen zur „ursprünglichen Akkumulation des Kapitals“ war beträchtlich, aber nicht so dominant und exklusiv.
Mindert die Hautfarbe den Wert der Aufklärung?
Mindert die Hautfarbe den Wert der historischen Aufklärung, wenn sie überwiegend von „Weißdeutschen“ wie Rebekka von Mallinckrodt, Klaus Weber, die den Band „Beyond Exceptionalism“ herausgegeben haben, und anderen betrieben wird? Was soll der natürlich auch überwiegend weiße Besucher mit einem Satz wie diesem anfangen: „Alle Europäer*innen, die aus der Existenz von Schwarzen und Indigenen Menschen Kapital schlugen, waren an der Errichtung der Sklaverei beteiligt“? Alle, bis heute?
Das ist so falsch wie die Gemeingut gewordene Etikettierung Immanuel Kants und Johann Friedrich Blumenbachs als Rassisten und die Unterstellung, sie beförderten kontinuierliche Rassifizierung. Vielmehr hatten sie selbst schon von ihren rassistischen Ansichten Abstand genommen und Maßstäbe für deren universalistische Kritik geliefert, die historische wie gegenwärtige Formen der Sklaverei nicht-weißer Provenienz selbstverständlich mitbetrifft.
Sicher gibt es die Abwehrkämpfe weißer Suprematisten und sie werden aggressiver, aber es braucht an einem musealen Nebenschauplatz globaler Kämpfe gegen Diskriminierung keine Sippenhaft hellhäutiger Nachgeborener, sondern deren so einsichtige wie effektive Solidarität mit Unterdrückten und Ausgebeuteten in aller Welt. Zu den Unterdrückern und Ausbeutern zählen heute postkoloniale Autokraten und Oligarchen, was man nicht als billige Ablenkung abtun darf. Konsequent betrachtet wie in diesem White Room sind auch sie späte Nutznießer der Sklaverei. Unter diesen Kautelen ist die Ausstellung sehenswert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
Streitgespräch über den Osten
Was war die DDR?
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Ausschreitungen in Amsterdam
Ein hitziges Nachspiel
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!