piwik no script img

Proteste gegen die RentenreformMacrons Show vorm Generalstreik

Zum ersten Mal äußert sich Frankreichs Präsident zum Widerstand gegen die Rentenreform. Für Donnerstag wird erneut zu Protesten aufgerufen.

Emmanuel Macron wandte sich am Mittwoch in einem Fernseh-Interview an die Französinnen und Franzosen Foto: Bob Edme/ap

Paris taz | Angesichts der Gefahr, dass die landesweiten Proteste in Frankreich das politische System erschüttern, musste Emmanuel Macron schließlich doch das Wort ergreifen. „Für mich ist auch kein Vergnügen, diese Reform durchzuführen!“ Im aggressiven Ton begann Macron sein Interview am Mittwoch auf beiden Fernsehsendern TF1 und France2. Er wollte klarmachen, dass er kein „Mea culpa“, keine öffentliche Abbitte, vorbereitet hatte. Er habe „im höheren Interesse der Nation“ gehandelt.

Allenfalls hätten er und seine Regierung der Bevölkerung nicht erklären können, weshalb die Maßnahmen zur finanziellen Absicherung des Rentensystems auf längere Zeit hinaus notwendig seien. Damit endet Macrons Selbstkritik – keine persönliche Verantwortung der Krise. Alle Reformen der Altersvorsorge waren schließlich unpopulär, weil die Bürger seit Jahrzehnten nicht hören wollen, dass Frankreich „mehr ausgibt als verdient“, gleichzeitig aber „das beste Sozialmodell der Welt haben will“, so der Staatschef.

Das Fernsehinterview geriet wegen der schüchternen Zurückhaltung der beiden Gesprächspartner zum Monolog, zur Fernsehshow des Präsidenten. Auf eine Präzise Frage bekräftigte Macron lediglich, dass seine Premierministerin Elisabeth Borne auch weiterhin sein Vertrauen habe. Für eine Regierungsumbildung solle es nicht der richtige Zeitpunkt sein.

Er gedenkt überhaupt dem Druck der Straße in keiner Weise nachzugeben. Die umstrittene Reform müsse nur noch von Verfassungsrat geprüft werden. Auch eine Volksabstimmung darüber will er nicht – laut Umfragen würde eine große Mehrheit gegen die Reform stimmen. Für ihn hat sie einen „normalen“ demokratischen Amtsweg durchquert und soll vor Jahresende in Kraft treten.

Reform als vollendete Tatsache

Für Macron ist die Reform vollendete Tatsache, er möchte sogleich ein neues Kapitel aufschlagen

Er hält die organisierten gewerkschaftlichen Kundgebungen, an denen sich in den letzten Wochen mehrere Millionen beteiligt haben, für „legitim“, verwehrt sich aber gegen Blockaden wie vor den Raffinerien und Treibstoffdepots sowie jegliche Gewalt bei Demonstrationen. Dass er diesen Massenprotesten insgesamt wenig Gewicht zumisst, hatte er am Dienstagabend beim internen Treffen mit den Abgeordneten seiner Regierungsparteien gesagt: „Die Massen haben keine größere Legitimität als das Volk, das sich über seine gewählten Vertreter äußert.“ Das tönt für Streikende und Demonstrierende deshalb provozierend, weil die gewählten Abgeordneten gerade nicht abstimmen durften und die Reform auf autoritäre Weise für beschlossen erklärt wurde.

Für den Staatschef ist diese Reform eine vollendete Tatsache, er möchte sogleich ein neues Kapitel aufschlagen. Den Gewerkschaften, die er mit seinem Vorgehen in der Rentenpolitik vor den Kopf gestoßen hat, bietet er zwar die Hand zum Dialog, aber über andere Prioritäten: Gesundheit, Erziehung, Verteidigung, Vollbeschäftigung dank Industrialisierung. Aus den Protesten nimmt Macron weitere wichtige Themen mit: soziale Ungleichheit, vorzeitige Abnützung und tiefe Löhne in manchen Berufen.

Macron sprach auch vom „Zynismus“ mancher Großunternehmen, die ihre außerordentlichen Gewinne in Aktien statt in Personal oder Investitionen stecken. Diesbezüglich könnte er eine Sonderabgabe erwägen, wie dies bei Energiekonzernen wie Total bereits zur Preissenkung für Konsumenten gemacht worden war. Mit diesen Ankündigungen konnte Macron nicht den großen Zorn der Millionen besänftigen. Zum Donnerstag wird erneut zu Streiks und Demonstrationen landesweit aufgerufen. Die Protestierenden wollen hören, dass die Staatsführung auf die Reform verzichtet. Das tut sie noch nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Vielen Dank für diesen recht kritischen Artikel. Allerdings noch nicht kritisch genug.



    "Angesichts der Gefahr, dass die landesweiten Proteste in Frankreich das politische System erschüttern, musste Emmanuel Macron schließlich doch das Wort ergreifen. „Für mich ist auch kein Vergnügen, diese Reform durchzuführen!“"



    Wieso soll es eine Gefahr darstellen, wenn der Souverän, das Staatsvolk, sich gegen Massnahmen öffentlich wendet und protestiert? Seit wann besteht in einer Demokratie die Mitbeteiligung der Bürger ausschließlich an der Wahlurne?



    Ist es in einer Demokratie verboten, das "das politische System zu erschüttern", genauer, die Regierung in Frage zu stellen (weder das System noch das Staatswesen), wenn diese in den Augen der Bevölkerung falsch agiert?

    Ich fürchte, wir waren da in der Beurteilung solcher grundlegenden Fragen der demokratischen Mitbestimmung bereits einmal reifer als heute, wo wir, anscheinend wieder mit viel Untertanengeist versehen, den Herrschenden viel zu unkritisch begegnen.