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Schönheitsideale bei MännernZwischen Leid und Eitelkeit

Unser Autor verurteilt einen Bekannten, weil der sich Botox spritzen lassen hat. Und hadert selbst mit schleichend wachsenden Geheimratsecken.

Ein Männermagazin rät, die Geheimratsecke durch einen Seitenscheitel in Szene zu setzen Foto: imago

E in Bekannter hat sich Botox spritzen lassen. Und was soll ich sagen? Ich richte ihn. Ich lächle und stelle interessierte Nachfragen, wie man das bei entfernten Bekannten eben macht. Aber in der Richterstube gehen die Lampen an. Die Sitzung ist eröffnet.

Der Bekannte war wohlgemerkt aus kosmetischen Gründen beim Botoxen, zum Fältchenglätten, das ist wichtig. Denn mit dem Nervengift lassen sich auch Schmerzleiden wie Migräne lindern. Und da zieht die Richterstube die Grenze, nicht wahr? Zwischen echtem Leid und der schnöden Eitelkeit.

Mit der Eitelkeit ist das so eine Sache. Ein gesundes Körperbild wollte ich dieses Jahr nähren. Mich nehmen wie ich bin, für Fotos nicht mehr in Pose gehen, mich vor dem Spiegel nicht mehr verdrehen. Nichts mehr kaschieren.

Und dann spielt mir ausgerechnet der Deutschlandfunk am frühen Morgen, wenn ich am verletzlichsten bin, eine Reportage über Haartransplantationen vor. Männer, die ins Mikro sagen, wie sie diesen Tag ersehnt haben. Danke, Radio. Gut möglich, dass diese Männer extreme Fälle frühen starken Haarausfalls sind, und ich habe ja nur eine wachsende Geheimratsecke. Aber ab wann meine Eitelkeit zu echtem Leid wird, hat die Reportage nicht gesagt.

Männliche Privilegien gecheckt

Womöglich leide ich ja unter „Besonderheiten wie einer sehr hohen Stirn“, so steht es in einem Native-Advertising-Artikel auf Süddeutsche.de. Native Advertising ist Englisch für Werbung, die aussieht wie ein journalistischer Artikel. Auch faz.net hat eine: „Etwa 80 Prozent der Männer und ein Drittel aller Frauen leiden Studien zufolge im Laufe ihres Lebens unter krankhaftem Haarverlust.“ Haben Sie das gehört? Achtzig Prozent leiden und sind krank. Darauf einen Schluck Minoxidil direkt aus der Flasche.

Aber ich war ja dabei, den gebotoxten Bekannten zu richten. Hier das Plädoyer der Anklage: „Kosmetische Eingriffe haben Suchtpotenzial. Jede Retusche eines vermeintlichen Makels macht nur den nächsten sichtbar.“ Und das Plädoyer der Verteidigung? „Kosmetik ist so eine Sache“, murmelt der Freund salomonisch von der Couch, „auf gesellschaftlicher Ebene verwerflich und auf individueller verständlich.“ Na, schönen Dank auch.

Ich finde ein Männermagazin, das mir rät, die Geheimratsecke durch einen Seitenscheitel in Szene zu setzen. Makel zu betonen, strahle Selbstbewusstsein aus, steht da, das sei sexy. Ich frage mich, ob so ein Ratschlag jemals in der Menschheitsgeschichte an eine Frau gerichtet worden ist. Ich weiß nun: Solange ich außen ins binär-männliche Raster falle und keine allzu arge Dysphorie gegen dieses Gender entwickle, brauche ich fast nix machen für die Sexyness. Wie beruhigend! Denn so halte ich meine guten Vorsätze ein und ich kann den Bekannten in Ruhe verurteilen. Denn der checkt ja offenbar seine männlichen Privilegien nicht.

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Bei schönheitsidealen gilt nur eine Maxime.

    Was gefällt mir persönlich.

    Wie gesundheitsverträglich ist es.

    Ist beides positiv zu beantworten gibt es kein Gegenargument.

    Beispiel:

    Eine Haartransplantation ist weniger schädlich als die meiste Schminke.

    Kenne jemanden persönlich der sich im alter noch einmal eine volle Matte geschenkt hat und dann genussvoll hat erstmal einfach wachsen lassen.

    Wenn sich menschen auch einen Bart transplantieren lassen sehe ich kein Problem ein Knie auf dem Hinterkopf wieder abdecken zu lassen ;-)

    • @sociajizzm:

      "Bei schönheitsidealen gilt nur eine Maxime.



      Was gefällt mir persönlich.".



      So ein Quatsch uatsch atch ... . Ideale werden von einer Menge gebildet- Nicht von meiner. Nicht von Ihrer.

  • Meine Mutter, 90jährig in ihrem Pflegeheim, saß aufbebrezelt in ihrem Rollstuhl für einen Stadtbummel mit mir. Das Auswählen von Accessoires und Schmuck dauerte. Die nette Nonne, aus dem nahegelegenen Stift, die öfter bei den alten Menschen hereinkam und mit ihnen Karten spielte, zu hörte, sagte: "Sie sehen aber gut aus!" Ich sagte: "Ja, es hat auch gedauert, bis alles zusammen war, meine Mutter ist eitel!" "Lassen Sie Ihre Mutter eitel sein, Eitelkeit ist ein Teil des Lebenswillens!" "Wie", scherzte ich, "die Kirche nennt das doch höffärtig und eine Sünde?" "Glauben Sie bloß nicht alles, was die Kirche sagt..." flüsterte mir die Nonne zu. Genau, Eitelkeit ist Teil des Lebenswillens.

    • @Maria Burger:

      Also mit dem Wundern liegen Sie dicht daneben. Alle Herrscher der Antike, des Altertums, des Mittelalters einschließlich der ständischen Kleiderordnungen ... u.s.w.u.s.f.



      Die Frauen durften sich eine "Haube" aufsetzen.



      Ihrem dritten Satz stimme ich zu. Habe mir oft die Frage gestellt, wie ich mit einem von der "Norm abweichenden" oder "entstellenden" Aussehen umgehen würde. Kann jeden Tag passieren. Da gibt es keine Antwort.



      Ich hoffe, habe mich respektvoll ausgedrückt.

      • @LeKikerikrit:

        Das galt dem Beitrag von RESTO, Freitag, 13.14 Uhr

    • @Maria Burger:

      Sehr schöner Beitrag.



      Wenn ich eitel bin betrachte ich mich und möchte anderen gefallen.



      Wenn ich anderen gefallen möchte, dann möchte ich etwas Schönes in die Welt bringen.

  • Ab und zu wundere ich mich, wie kritisch Menschen auf sich selbst schauen, wobei das vor nicht langer Zeit vornehmlich Frauen betraf. Dabei gibt es wohl immer etwas zu mäkeln, egal wie klein das "Problem" ist. Für Menschen mit wirklichen "Schönheitsproblemen" z.B. auf Grund Verletzungen, die lernen mussten, sich zu akzeptieren und mehr, ist so ein Blick nicht so toll.

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Das eine ist die mangelnde Selbstakzeptanz, die kosmetische Chirurgen etc. fördern, weil sie daran verdienen. Das andere sind die unnötigen Risiken, die die Behandlungen darstellen, denn jede Intervention ist mit unerwünschten Nebenwirkungen verbunden.

    Bei Botox konkret diskutiert wird mangelnde Sensibilität für das eigene Befinden und die Unfähigkeit, sich in andere Personen auf Basis der Mimik einzufühlen. Daneben eine nicht vernachlässigbare Gefahr der Antikörperbildung, was bei Indikationen wie Spastik nach Schlaganfall, Blasenkrampf, Zervikale Dystonie dazu führen kann, dass die erste Linie der Behandlung - Neurotoxin-Gabe - nicht mehr ausreichend wirksam ist.

    Es gibt keine Behandlung ohne Risiken.

  • ... "Und hadert selbst mit schleichend wachsenden Geheimratsecken.".



    Auf einem Foto, hier "inne taz", war eine Ablichtung von dem Faschisten Björn Höcke zu sehen, auf welchem er sich ganz offensichtlich die Mittellocke über seine linke Geheimratsecke fixiert, geklebt, geföhnt, ich weiß es nicht, hatte.



    Also Herr Weisburger: Mut zur Wahrheit,



    schleichend, wachsenden ...