Verfassungsrichterin Susanne Baer geht: Hut ab!

Nach zwölf Jahren hört Verfassungsrichterin Susanne Baer auf, eine lesbische Frau, spezialisiert auf Antidiskriminierungsrecht. Als sie begann, war eine andere Zeit.

Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Susanne Baer in ihrer roten Robe

Damalige Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer im Jahr 2011 Foto: Stockhoff/imago

Nach zwölf Jahren hört die Verfassungsrichterin Susanne Baer auf. Damit sinkt die lesbische Sichtbarkeit in Deutschland um gefühlte 80 Prozent. Eigentlich will ich feiern, dass eine queere Gendertante zwölf Jahre lang in einem der höchsten Ämter gewirkt hat. Stattdessen macht es mich traurig zu sehen, wie viel Kraft für so was nötig ist.

Wie der Kollege aus Karlsruhe berichtet, hat sich Baer in einer Abschiedsrede am vergangenen Freitag für den Respekt ihrer Kol­le­g*in­nen bedankt. „Für ‚jemanden wie mich‘ – diese Formulierung habe ich so oft gehört – ist Zugehörigkeit nicht selbstverständlich“, sagte Baer. „Ihr habt mir das Gefühl gegeben, dazuzugehören und damit auch gehört werden zu können.“

Wunderbar, dass Frau Baer sich bedankt. Und angemessen, dass sie als mächtige Person hier Demut performt. Aber gestatten Sie mir zusammenzuzucken, wenn ich im Jahr 2023 höre: „Danke, dass jemandem wie mir überhaupt zugehört wurde.“

Als Susanne Baer 2011 ins Amt kam, war das so was von eine andere Zeit. Im Radio sang Lady Gaga „Verstecke dich nicht, liebe dich einfach selbst, das reicht!“, was natürlich gelogen war. In der Frankfurter Allgemeinen stand über Susanne Baer, sie sei „anders als alle Richter vor ihr“. Warum? „Rechtliche Geschlechterstudien, Rechtssoziologie und Antidiskriminierungsrecht sind ihre Spezialgebiete, die viele Juristenkollegen schaudern lassen.“ Konnte ja niemand ahnen, dass die Judikative mal so was wie Antidiskriminierung behandeln würde.

Hut vor Stola

Ein Abgeordneter habe damals wissen wollen, ob ihr Lesbischsein ihre Rechtsprechung beeinflussen werde, berichtet Susanne Baer in ihrer Rede. Spätestens da hätte ich mir ja meine Stola übergeworfen und wäre gegangen. Kein Ehrgeiz, keine Liebe zum Rechtsstaat und kein Verantwortungsgefühl hätten mich bewogen, diesem Zirkus milde lächelnd entgegenzutreten – und mich am Ende noch zu bedanken. Ich ziehe den Hut vor dieser Richterin.

Ebenso ziehe ich den Hut vor dem kürzlich verstorbenen Kollegen Martin Reichert. Der schrieb nämlich zur selben Zeit in der taz herrlich un*­ver­schäm­te Kolumnen über schwulen Alltag. Von Martin habe ich gelernt, dass diese Art von Exposition in feindseliger Umgebung nur mit Maske möglich ist. Uns Baby-Ko­lum­nist*in­nen sagte er mal: „Erschafft eine Persona, die euch schützt. Trennt das Ich in eurer Kolumne von euch selbst.“

Nun seien die Vorurteile wieder da, sagte Susanne Baer. „Lauter sogar. Sehr laut und nicht nur rechts außen.“ Fortschritt ist ja so eine Sache, wie wir wissen. Jeder Schritt zur Gleichheit wirbelt Hassstaub auf. Gerade jetzt braucht es die, die sich exponieren. Die sich dem Drang, uns zu überschreiben, entgegenstellen. Andererseits schulden wir niemandem unsere Wahrheit – außer uns selbst. Eine Antwort auf dieses Paradox: Verstellen, Verkleiden, Fakeness, Travestie. Wie schon immer in der queeren Geschichte.

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