piwik no script img

Lernort zur NS-Geschichte in OsnabrückStreit um Nazi-Beamten geht weiter

Am Dienstag sollte der Streit um die Umbennung der Villa Schlikker in Osnabrück beseitigt werden. Doch dann schossen Teile der örtlichen CDU quer.

Gingen ihre Fälle auch über Calmeyers Schreibtisch? Niederländische Juden im KZ Buchenwald Foto: United States Holocaust Memorial Museum/Wikimedia Commons

Osnabrück taz | Am Dienstag sollte der seit Jahren währende Streit um den neuen Namen der Villa Schlikker beseitigt werden, so der Plan der Osnabrücker Kulturverwaltung. Der Stadtrat wollte endlich über den künftigen Namen entscheiden. Doch Teile der CDU schossen quer, sodass das Thema nicht einmal behandelt wurde.

Die Villa Schlikker ist eines von vier Häusern im Museumsquartier Osnabrück und wird derzeit umgebaut. Im November soll es als Begegnungs- und Lernort zur NS-Geschichte neu eröffnet werden.

Für den Namen des Hauses, das der Tuchfabrikant Edo Floris Schlikker um 1900 erbauen ließ, war eigentlich ein Konsens erzielt, nach verbitterten Grabenkämpfen: Ein „Hans Calmeyer-Haus“, wie es sich manche wünschen, die den Osnabrücker NS-Juristen zu einem besseren Oskar Schindler stilisieren, wird es nicht geben.

Stattdessen hat der wissenschaftliche „Beirat zur Neukonzeption der Villa Schlikker“ vor wenigen Wochen einstimmig empfohlen – nach schwierigsten, oft polarisierenden Kompromissverhandlungen –, den Hauptnamen bei Villa Schlikker zu belassen. Zwei Untertitel stellt er dafür zur Wahl: „Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ und „What about Calmeyer?“. Interfraktionell war klar: Der Kulturausschuss übernimmt den Vorschlag, wählt einen Untertitel aus und übergibt das Thema dann an den Stadtrat.

Von der Tagesordnung genommen

Aber es kam anders: Fritz Brickwedde, einst Fraktionschef der örtlichen CDU, bis heute graue Eminenz und Verfechter vom „Calmeyer-Haus“, stellte sich in der Neuen Osnabrücker Zeitung öffentlich gegen den Vorschlag des Beirats.

Im Kulturausschuss, der den Ratsbeschluss am vergangenen Donnerstag hätte vorbereiten sollen, verschwand die Namensgebung von der Tagesordnung, angeblich durch Oberbürgermeisterin Katharina Pötter, ebenfalls CDU. Daraufhin fiel der Ausschuss komplett aus.

Wie es weitergeht, werde „wohl jetzt zwischen den Fraktionen neu abgestimmt“, sagt Kulturdezernent Wolfgang Beckermann der taz. Er scheint verwundert zu sein über das Geschehen – und genervt. Das Haus nach Calmeyer zu benennen, sei undenkbar. „Nach der Diskussion der letzten Jahre“, sagt Beckermann, „halte ich das für völlig ausgeschlossen.“

Und das aus gutem Grund: Bis Herbst 1944 war Hans Calmeyer Teil der deutschen Besatzung in Den Haag, als Leiter des „Judenreferats“. Ihm gelang es zwar, viele Jüdinnen und Juden vor der Deportation ins KZ zu bewahren. Viele Hunderte Fälle beschied Calmeyer allerdings auch negativ. Eine höchst ambivalente Figur.

Beginnt die Diskussion von vorn?

Mindestens ambivalent ist auch ein Nachfahre von Schlikker, der die Villa 1932 den Nazis zur Verfügung gestellt hat – doch der Name des Erbauers selbst sei, so hat es der Beirat eingeordnet, nicht angreifbar.

„Der Konsens des Beirats war keine kleine Leistung“, sagt Sebastian Bracke der taz, Vize-Fraktionschef der Grünen und Vorsitzender des Kulturausschusses. „Jetzt sollten wir uns auch gemeinsam hinter ihm versammeln.“ Es brauche einen Namen, „der keine Missverständnisse hervorruft“. Calmeyer gehe nicht, in welcher Form auch immer. Also auch nicht als Untertitel.

Fatal sei, „wenn die ganze Diskussion jetzt nochmal neu aufgerollt wird“. Notfalls gebe es im Rat eben eine Mehrheit an den Quertreibern vorbei. Grüne und SPD haben dort das Sagen. Dabei war das Ziel der Fraktionen eigentlich, das leidige Thema einstimmig zu beenden.

Auch der niederländische Philosophieprofessor Johannes-Max van Ophuijsen, Ende 2022 kritischer Teilnehmer des vom Beirats veranstalteten Symposiums „Formen und Dimensionen der Resilienz unter deutscher Besatzung 1939–1945“, versteht die Bremsaktion nicht. Mit Journalist Hans Knoop hatte er 2020 eine Petition gegen die Benennung des Hauses nach Calmeyer initiiert, gerichtet an die Bundesregierung.

Namensdebatte verstellt Blick auf Ausstellungskonzept

Sie seien „voller Hoffnung“, dass der Stadtrat „einem in der Stadtgeschichte verankerten und neutralen Namen treu bleiben wird“, schreiben sie der taz. Beide votieren für den Untertitel „Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“. Vor der „What about Calmeyer“-Alternative müsse man „ernsthaft warnen“.

Auch der Osnabrücker ILEX-Kreis, eine Gruppe von NS-Lokalhistorikern, votiert für die erste Variante. „Damit kann ein Zeichen gesetzt werden für einen offenen Diskurs in der Auseinandersetzung über die lokale NS-Geschichte“, sagt Mitglied Heiko Schulze der taz. „Mit Bezügen bis zu den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, und dies fernab von jedweder Heroisierung.“ Eine Hervorhebung Calmeyers sei für „nahezu 100 Widerständler, die sich hier vor Ort gegen das NS-Regime gestellt haben, posthum ein Schlag ins Gesicht“.

„Der Ball liegt jetzt bei der Politik“, sagt Alfons Kenkmann, Geschichtsdidaktiker an der Universität Leipzig und Vorsitzender des Osnabrücker Beirats, der taz. Das Problem sei aber: „Es wird oft nicht geschichtskulturell debattiert, sondern geschichtspolitisch, und das wird leicht zum Minenfeld. Käme es in der Namensfrage zu einer Neuauflage davon, bezweifle ich, dass es der Außenwahrnehmung der Stadt gut täte.“

Seine Arbeit in Osnabrück hat bei Kenkmann Spuren hinterlassen: „In meinen 30 Jahren als Ratgeber im Feld der Zeitgeschichte habe ich noch nie einen derart umkämpften Beirat erlebt“, sagt er. Man könne die Namensvorschläge verwerfen. Aber: „Dann müsste man sich wirklich fragen, wozu man den distanzierten Blick der Wissenschaft überhaupt braucht.“

Die Namensdebatte verstelle den Blick für Wichtigeres, sagt Kenkmann. „Wir müssen uns jetzt mit dem Ausstellungskonzept befassen. Die Zeit bis November ist so knapp, dass sich alle Kräfte darauf konzentrieren müssen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare