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Nach Messerattacke in Zug bei BrokstedtAngreifer faselte von Anis Amri

Der Mann, der zwei Menschen tötete, soll sich in seiner U-Haft mit einem Attentäter verglichen haben. Hamburgs Justizsenatorin hat das verschwiegen.

Blumen, Kerzen, Bilder: Noch immer gedenken Menschen den Opfern der Messerattacke Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Als „unauffällig“ beschrieb Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) den Untersuchungshäftling Ibrahim A. am Donnerstag im Justizausschuss. Dabei soll der tatverdächtige Messerstecher von Brokstedt sich ein halbes Jahr vor seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder mit dem Attentäter des Berliner Breitscheidplatzes, Anis Amri, verglichen haben.

Das geht aus der Personalakte von A. hervor, die der Justizbehörde zum Zeitpunkt des Ausschusses bereits vorlag. A. saß, eine Woche bevor er in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg mutmaßlich mit einem Messer auf Zugreisende einstach und dabei zwei junge Menschen tötete, noch in der JVA in Untersuchungshaft.

„Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere, ich bin auch einer.“ Das soll A. beim Verschließen der Hoftür gesagt haben, so stehe es in seiner Gefangenenpersonalakte, wie Thomas Baehr, Srecher der Hamburger Justizbehörde mitteilt. Zuvor soll er bei der Vorbereitung auf die Freistunde auf dem Hof „vor sich hingestammelt“ haben: „Großes Auto, Berlin, das ist die Wahrheit.“ Auf dem Weg zum Hof habe er einen Bediensteten zweimal gefragt, ob er auch „unter die Reifen“ wolle.

Zwar werden die Bediensteten nach Angaben der Justizbehörde geschult, das gesamte Vollzugsverhalten auf Hinweise zu beobachten, die auf eine extremistische Haltung oder Radikalisierung zurückzuführen sind. Als solche gewertet wurden die Äußerungen von A. aber nicht. Daher wurden sie von der JVA der Aufsichtsabteilung der Justizbehörde nicht gemeldet – und blieben letztlich ohne Konsequenzen.

Personalakte im Ausschuss unterschlagen

Holger Schatz, Staatsrat der Justizbehörde, erklärte im Ausschuss am Donnerstag, dass A. Stimmen gehört sowie einen Mithäftling und einen Vollzugsbeamten angegriffen hatte. Von einer Personalakte war keine Rede. Auch, dass sich Ibrahim A. in Haft als Anis Amri bezeichnet hatte, verschwiegen die Vertreterinnen und Vertreter der Justizbehörde.

Aber warum? Über konkrete Inhalte der Akte habe man die Öffentlichkeit bislang nicht informiert, „um die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht zu gefährden“, erklärt Baehr.

Dennis Thering, justizpolitischer Sprecher der CDU, ist empört: „Dem Justizausschuss wurden entscheidende Informationen vorenthalten, obwohl diese bereits der Justizbehörde bekannt waren. Damit erscheint deren Wirken im ganz neuen Licht.“

Was Senatorin Gallina im Ausschuss ebenfalls nicht erzählte: Die für A. zuständige Ausländerbehörde in Kiel wurde von den Hamburger Behörden nicht bei seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft informiert – erst recht nicht darüber, wie sich A. in der Haft verhielt. Erst am Donnerstag – 15 Tage nachdem A. aus der JVA Billwerder entlassen wurde – habe das Landgericht Hamburg die Ausländerbehörde per E-Mail und Fax über die Aufhebung des Haftbefehls gegen A. informiert. Vorher habe es keine aktenkundige Information über die Haftentlassung gegeben, sagte Kerstin Graupner, Sprecherin der Stadt Kiel, der Deutschen Presse-Agentur am Freitag.

Auch Kai Wantzen, Sprecher des Hanseatischen Oberlandesgerichts, bestätigte der taz: „Im Rahmen einer internen Überprüfung war aufgefallen, dass eine frühere Mitteilung im Bereich des Landgerichts versehentlich unterblieben war.“

Opposition redet bereits von Rücktritt

Dieses Versagen fällt nun auf Justizsenatorin Anna Gallina zurück, sie gerät weiter unter Druck. In einer Sondersitzung des Justizausschusses wird sie sich erneut den Fragen ihrer Kolleginnen und Kollegen stellen müssen, da sind sich die Fraktionen einig. Hört man in die Reihen der Opposition, könnte es für die Senatorin richtig unbequem werden – noch mehr als im letzten Ausschuss.

„Wenn es sich bewahrheitet, dass Ibrahim A. in der Haft mit Attentaten drohen konnte und trotzdem ohne Konsequenzen auf freien Fuß gesetzt wurde, wird Justizsenatorin Gallina nun endgültig nicht mehr zu halten sein“, so Thering, der auch Vorsitzender der CDU-Fraktion ist.

Auch Cansu Özdemir von den Linken fordert die Senatorin zu Konsequenzen auf. „Und sie muss sich fragen, ob sie nach all den früheren Problemen rund um ihre Person und ihre Behörde und angesichts der Tat in Brokstedt in der Lage ist, ihr Amt weiter auszuüben. Es reicht.“

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6 Kommentare

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  • Er "faselte" also.

    "fa·seln



    /ˈfaːzl̩n,fáseln/



    Aussprache lernen



    schwaches Verb

    1. umgangssprachlich abwertend



    unüberlegt, wirr, meist weitschweifig und ohne genaue Sachkenntnis von etwas reden oder über etwas schreiben; Unsinn von sich geben; daherreden"

    Vielleicht war es ja doch nicht so unüberlegt und wirr.

    • @Jim Hawkins:

      War es möglicherweise nicht, vielleicht war es aber auch einfach nur ebenso ein Zeichen von Aggressivität und mangelnder Impulskontrolle wie die Tat selbst ohne Teil eines Plans zu sein. Dennoch bleibt die Frage ob man das seinerzeit im damaligen Kontext anders hätte bewerten können/müssen. Wenn man alle die davon faseln irgendwen kalt machen zu wollen wegen Terrorgefahr für - ja wie lange eigentlich - präventiv wegsperren will wird es wohl sehr viele neue Haftanstalten brauchen. Ähnlich auffälig scheint mir die verbreitete Kritik daran, dass man die U-Haft nach einem Jahr ohne rechtskräftiges Urteil und dem damit verbundenen Überschreiten der zu erwartenden Haftdauer ausgesetzt hat. Heißt also selbst wenn das zu erwartende Urteil rechtskräftig geworden wäre hätte die Freilassung angestanden. Wie lange also soll man Leute ohne Urteil einknasten können?



      Natürlich gilt es zu klären ob und welche Fehler gemacht wurden, wenn aber das Ziel davon ist ein Justizsystem zu bekommen, dass solche Gewalttaten sicher präventiv verhindern kann begibt man sich gesellschaftlich auf eine sehr schiefe Ebene.

      • @Ingo Bernable:

        Ich will ihnen da gar nicht widersprechen.

        Man kann solche Taten nicht präventiv durch Inhaftierung ohne Verurteilung verhindern.

        Mir ging es aber eigentlich mehr um den saloppen Umgang mit "witzigen" Überschriften in der taz.

        Hier geht es immerhin um einen Fall, in dem zwei junge Menschen grausam getötet wurden.

        • @Jim Hawkins:

          Was wäre die taz nur ohne ihre Überschriften? Diese hier habe ich allerdings allenfalls als umgangssprachlich, aber nicht als sonderlich unpassend-wizig wahrgenommen. Die fraglichen Äußerungen scheinen ja in der Tat nicht im Kontext einer durchdacht ausformulieren Rede gefallen zu sein.

          • @Ingo Bernable:

            Vielleicht bin ja zu pingelig.

            Aber für mich verbietet sich so etwas, wenn zwei durch Messerstiche Getötete zur Geschichte gehören.

  • Es bleibt die bestechende Tatsache, dass auch im Fall Anis Amri ein als gewalttätig & unberechenbar bekannter Täter - fahrlässig? - sich selbst überlasen blieb.