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Performance „KLITTERN (aesopica)“Im Wald der Ausgestoßenen

Zwischen Theater und Lecture: Im Ballhaus Ost war eine Performance zu Gast, die den Nachwuchspreis des Körber Studios gewonnen hat.

Das Schaf und der Wolf tauschen in „KLITTERN“ öfter die Rollen Foto: Constanza Melndez

Wölfe und Schafe, sie waren schon immer beliebte Tiere, wenn es um Metaphern ging, und wurden dabei nicht selten einseitig als Angreifer und Opfer stilisiert. Wölfe und Schafe sind konkret die Protagonisten in den Auseinandersetzungen um Landschaftsschutz, Tierschutz und Schafzucht. Diese Gegenwart wird zwar nicht angesprochen zwischen Wolf, Schaf und Hund in der Performance „KLITTERN (aesopica)“, die im Ballhaus Ost zu Gast war. Aber die vielen aktuellen Wolfsgeschichten spuken in den Köpfen der Zuschauer trotzdem herum und mischen mit.

Die Performance entstand im Zuge der Theaterausbildung, eine Koproduktion der Otto Falckenburg Schule in München und der Kammerspiele dort sowie anderen. „KLITTERN (aesopica)“ hat den Körber Preis für junge Regie 2022 gewonnen. Und das brachte denn auch prominente Gäste am Samstagabend ins Ballhaus, die einen emerging artist möglichst nicht verpassen wollen.

Regie und Text kommen von Lennart Boyd Schürmann, der in der ersten Szene die Literatur als Quelle von Anregung und Erregung verführerisch ins Bild setzte. Zwei Männer und eine Frau (Stanislav Iordanov, Mervan Malwin Ürkmez, Elena Wolff) lesen sich vor, flüstern intim, lagern lasziv. Vom Text versteht man da noch nichts, aber dass er Beziehungen stiften und Nähe erzeugen kann, die ziemlich erotisch aussieht, dann doch.

Die Bücher bleiben relevant. Nicht wenige Szenen spielen im Wald, unter denen vor dem System Geflohenen. Bücher sind in dieser Fiktion offiziell verboten, nur im Wald wird noch gelesen oder sogar selbst geschrieben. (Der alte dystopische Roman „Fahrenheit 451“ lässt grüßen, aber auch der Film „The Lobster“, in dem die unverpartnerten Menschen ausgestoßen werden und als Tiere in den Wäldern leben.)

Fabel und Märchen, Science-Fiction und Dystopie

Das Schaf und der Wolf treffen hier in immer neuen Konstellationen aufeinander. Mal ist der Wolf der Angreifer, den das Schaf mit einer letzten Bitte zu tanzen austrickst, in einer sexuell konnotierten Variante. Mal hat sich der Wolf als Schaf verkleidet, weil Wölfe im Wald der Ausgestoßenen unbeliebt sind, während sich das Schaf für die Rolle des Waldpolizisten einen Wolfskopf aufgesetzt hat. Dann gibt es auch noch den Hund, von dem nicht immer klar ist, auf wessen Seite er steht.

Manchmal machen die Per­for­me­r:in­nen Ansagen, kleine Lesehilfen für das, was folgt. Elena Wolff sagt etwa: „Die angemessene Reaktion auf eine unerträgliche Gesellschaft ist unerträglicher Unsinn.“ Aber dennoch ist man als Zu­schaue­r:in ständig damit beschäftigt, Sinn in die Szenen hineinzulesen.

Und schaut man ins sehr kleingedruckte Programmheft – für junge Augen bestimmt –, merkt man, dass die Künst­le­r:in­nen doch auch sehr ehrgeizig am Sinn arbeiten: „Gefragt wird in besonderem Maße nach der Rolle von Kunst innerhalb des Beziehungsgefüges von Macht und Widerstand, in dem vermeintlich autonome Phantasiebildungen immer auch politisch situierte Handlungen sind.“ Da dampft noch die Euphorie der Aufklärung in der Produktion.

Fabel und Märchen, Science-Fiction und Dystopie: Die unterschiedlichsten Genres werden unterwegs aufgerufen, doch immer wieder geht es dabei um die, die sich der Ausbeutung und Hirnwäsche nicht einfach unterwerfen wollen und die deshalb vor den Toren der Stadt/des Systems im Wald landen. Die Texte, gesprochen in Englisch und Deutsch, sind knapp, sie zitieren eine Fabel von Aesop, der auch selbst einmal zur Figur wird, aber auch von Alexandra Kollontai, Kathy Acker und anderen.

Das Besondere der Performance aber macht der Stil des Spiels aus, sehr langsam, Effekte unterlaufend, modellhaft. Jede Szene ist eine Einladung, den erwartbaren Gang der Handlung zu unterlaufen, nach einer neuen Wendung zu suchen, den vorgefertigten Rollen von Tätern und Opfern zu entkommen. Akademische Einschübe und Zitate, etwa zum Stand des Kapitalismus, werden dabei allerdings auch nicht gescheut.

Der Titel „KLITTERN“ ist schon gut gewählt, schließlich ist es auch eine Klitterung zwischen Theater und Lecture, zwischen offener Skizze und fertigem Stück.

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