Theaterstück über NS-Mordaktion: Flucht zu Ophelia

Wie erzählt man vom Mord an Behinderten im Nationalsozialismus? Dem Theaterstück „T4. Ophelias Garten“ gelingt es mit einer persönlichen Geschichte.

Nele Buchholz als Ophelia (hinten) und Maja Zećo als Gertrud vor einem Schminktisch

Neele Buchholz als Ophelia (hinten) und Maja Zećo als Gertrud Foto: Daniela Buchholz

Ophelia und Gertrud: Sie sind zwei Figuren aus Shakespeares Hamlet, Ophelia, die Schutzlose und Gertrud, die schwer durchschaubare Mutter, die letztlich mit der Macht paktiert. Ophelia und Gertrud: Sie sind zwei Figuren in dem Drama „T4. Ophelias Garten“ des italienischen Theaterautors Pietro Floridia, das in Deutschland jetzt erstmals im kleinen Theater unterm Dach in Berlin aufgeführt wurde.

Ophelia, die Schutzlose, ist hier eine Waise mit Behinderung. Gertrud, die schwer Durchschaubare, ist eine Krankenschwester, die über Ophelias Einweisung in ein Heim entscheiden soll. Und weil das Drama 1941 in Hamburg beginnt, in der Zeit des Nationalsozialismus und dessen Ermordungsprogramm für Behinderte, verschleiernd „Euthanasie“ genannt, käme die Einweisung einem Todesurteil gleich.

Für das Theater unterm Dach in Berlin Prenzlauer Berg hat David Stöhr die Regie übernommen, Neele Buchholz, eine Schauspielerin mit Down Syndrom, spielt die Ophelia, Maja Zećo die Krankenschwester. Der obliegt es, die Geschichte rückblickend zu erzählen und ihr Sprechduktus deutet dabei an, dass sie sich in einem Verhör befindet.

Im Modus der Rechtfertigung

Sie versucht, sich für ihre Arbeit in einem Krankenhaus, in dem Kranke und Behinderte ermordet wurden, damit zu rechtfertigen, dass sie eigentlich wissen wollte, wie sie das eine Kind, Ophelia, das ihr ans Herz gewachsen war, retten konnte.

„T4. Ophelias Garten“, wieder 9.–11. Februar im Theater unterm Dach

Pietro Foridia: „T4. Ophelias Garten“, hrsg. von Thomas Müller, Verlag Psychiatrie und Geschichte, Zwiefalten, Juli 2016.

Es liegt also immer schon ein Rahmen des Misstrauens über den Szenen von der Begegnung der beiden Frauen. Sie erlebt man in Rückblenden. Ophelia umwirbt Gertrud, die anfangs nur einen Fall abhaken will, spielt mit ihr, stellt ihr imaginierte Verwandte vor, führt sie in ihren Garten im Gewächshaus. Dort hat sie ihr Vater, ein Militär, früher schamvoll versteckt, wenn seine Besucher in glänzenden Uniformen kamen.

Aber Ophelia erinnert sich voller Liebe an den Vater, wie er sie am Ende der Feste zu sich rief und dabei gibt sie jedem Vokal in ihrem Namen eine Bedeutung.

Als wären sie vergnügt

Die Anrührung, die in dieser Szene steckt, erreicht nicht nur Gertrud, sondern auch das Publikum. Bald besucht Gertrud Ophelia an jedem Abend, sie malen sich ein Essen auf Papier und spielen, sie wären vergnügt. Man kann nachvollziehen, wie Gertrud, die an ihrem Arbeitsplatz gedemütigt wird und immer mehr über die Selektionen erfährt, in diese Begegnungen flieht: als ob hier eine Rettung für ihre Seele wäre.

Ihr Projekt, wenigstens Ophelia zu retten, nimmt aber – und da wird das Drama zunehmend düster – bald unheimliche Züge an. Gertrud steht unter Druck, die NS-Ideologie sitzt ihr im Nacken. Sie wird zur Komplizin. Sie versucht, Ophelia zu erziehen, zu disziplinieren, zu einem nach den Maßstäben der NS-Ideologen nützlichen Menschen zu machen. Wie Gertruds Abwehr dieser Ideologie, deren perfide Argumentationen sie durchschaut, dennoch langsam zusammenbricht, wie sie zu der wird, die sie nicht sein will, spielt die zarte Maja Zećo mit Überzeugungskraft.

Am 27. Januar, dem Tag des Holocaust Gedenken, wurde das Stück erstmals in Berlin aufgeführt. Einen Tag später war der Autor und Regisseur Pietro Floridia selbst zu Gast im Theater unterm Dach. Er hat das Stück 2002 mit zwei Schauspielerinnen in seinem Theater Compagnia Teatro dell’argine in Bologna entwickelt. In Italien hatte es Thomas Müller gesehen und in seinem Verlag Psychiatrie und Geschichte erstmals in deutsch publiziert.

Müller wies im Gespräch darauf hin, wie lange es in Deutschland gedauert habe, bis das Programm der Vernichtung von Menschen, die als behindert diagnostiziert wurden und das seinen Namen T4 nach der Zentrale der Planung in der Tiergartenstraße 4 in Berlin erhielt, erinnert wurde. Heute steht an der Tiergartenstraße 4 die Philharmonie. Für Müller ein Bild der gebauten Verdrängung.

Das Stück selbst aber, das im Februar wieder gespielt wird, hält sich eng an die Figuren von Ophelia und Gertrud, und ihre Entwicklungen zu verfolgen fordert Verstand und Gefühl heraus.

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