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Fußgängerzone Friedrichstraße in BerlinAngriff auf die Autofreiheit

Die GegnerInnen der autofreien Friedrichstraße blasen zum Widerstand per Widerspruch. Auch vor das Verwaltungsgericht wollen sie wieder ziehen.

Und wieder zu: Seit dem 30. Januar ist die mittlere Friedrichstraße für Autos gesperrt Foto: IMAGO / A. Friedrichs

Berlin taz | Schwere Teppiche, Blick auf den Gendarmenmarkt und chinesische Vasen neben ambitionierter moderner Malerei: Die GegnerInnen der autofreien Friedrichstraße hatten am Montag in den „führenden Business Club“ geladen, den Berlin Capital Club hoch oben im Hilton-Hotel. Dessen Zukunft steht wie die der anderen Beherbergungsbetriebe und Geschäfte am Ort auf der Kippe – so zumindest stellten es die VertreterInnen des Aktionsbündnisses Friedrichstraße, des Handelsverbands Berlin-Brandenburg e.V. sowie des Hotel- und Gastronomieverbands (Dehoga) dar.

Als „bekümmernd und zutiefst erschütternd“ bezeichnete Handelsverbandspräsident Björn Fromm die Entscheidung der grün geführten Senatsverwaltung für Mobilität und des ebenfalls grün dominierten Bezirksamts Mitte, die Friedrichstraße zwischen Leipziger und Französischer Straße zur Fußgängerzone zu machen. Die vom Bezirk verfügte „Teileinziehung“, die am Montagmorgen in Kraft trat und private Kfz aus dem Abschnitt verbannt, entspricht im Prinzip dem 2020 gestarteten, mehrfach verlängerten und schließlich vom Verwaltungsgericht abgebrochenen Verkehrsversuch.

Hauptunterschied ist, dass nun die mittige Radspur fehlt, die das erhoffte Flaniergefühl deutlich eingeschränkt hatte. Auch sind Lieferfahrzeuge nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen: Sie dürfen entlang der Seitenstraßen – Kronen-, Mohren-, Tauben- und Jägerstraße – und unter Rücksichtnahme auf die FußgängerInnen die Friedrichstraße kreuzen. Damit sollen Staus und Chaos durch Wendemanöver von Lastwagen in den neu entstandenen Sackgassen vermieden werden.

Die Verwaltung von Senatorin Bettina Jarasch (Grüne) führt diese Veränderung auf den Dialog mit den Gewerbetreibenden zurück. Weinhändlerin Anja Schröder vom Aktionsbündnis behauptete am Montag dagegen, man habe nun wieder „genau das Gleiche wie im November“, und Björn Fromm sagte, die Gespräche hätten sich als „Fake-Gespräche“ entpuppt.

„68 Tage bunt und lebendig“

„68 Tage haben wir eine sehr gut frequentierte, bunte und lebendige Friedrichstraße erleben dürfen“, so Schröder über das vom Verwaltungsgericht ermöglichte Kfz-Intermezzo. Viele HändlerInnen hätten ihr von einem Umsatzplus berichtet, es habe auch keine Staus mehr gegeben. Schröder, seit Längerem das Gesicht des Widerstands gegen die autofreie „Flaniermeile“, mokierte sich auch über die auf der Charlottenstraße eingerichtete Fahrradstraße mit gegenläufigen Einbahnstraßen für den Autoverkehr: Das zwinge Lieferfahrzeuge zu überflüssigen Umwegen.

Wie der Rechtsanwalt Marcel Templin erläuterte, wollen die Betroffenen nun Widerspruch gegen den Verwaltungsakt des Bezirksamts einlegen, gleichzeitig werde man beim Verwaltungsgericht den Antrag auf eine einstweilige Anordnung mit aufschiebender Wirkung stellen. Man werde dabei vor allem das Fehlen eines Verkehrskonzepts für den Bereich, aber auch die fehlenden Umfahrungsmöglichkeiten ins Feld führen, sagte Templin. „Das kann ein sehr langer Rechtsstreit werden“, so der Anwalt.

Dass die neue Fußgängerzone auch nach Wegfall der mittigen Sonderspur für Fahrräder oder E-Scootern offen ist, führt bei manchen BeobachterInnen zu Unverständnis. Jaraschs Sprecher Jan Thomsen erklärte am Montag gegenüber der taz, die Erlaubnis diene dem Ziel- und nicht dem Durchgangsverkehr, sie gelte auch nur für das Befahren in Schrittgeschwindigkeit. Und: Sollte es zu „unerwünschten Effekten“ kommen, könne sie widerrufen werden.

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8 Kommentare

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  • Attraktiver würde das Ganze, wenn auf der gesamten Länge der Friedrichstr. und Unter den Linden eine Fußgängerzone geschaffen wird.

  • Werde bei der Wahlwiederholung zum ersten Mal in meinem Leben auf Lokalebene die Grünen wählen (sonst immer die Linke).

    Zum Einen bin ich froh, dass die Grünen sich für ihre Themen einsetzen und politischen Willen zeigen. Bis auf bei den Linken kann ich das sonst bei keiner anderen Partei erkennen. Ist eine SPD noch sozial, wenn sie den Volksentscheid zur Vergesellschaftung nicht nur ignoriert, sondern sich zu Bütteln der Vermieter macht?

    Zum Anderen hassen all die Leute, die mich jeden Tag beleidigen, nichts mehr als die Grünen. Ich liebe es einfach zu sehr bei diesen wohlstandsverwahrlosten Dünnbrettbohrern die Hutschnur platzen zu sehen, wenn ich mal wieder damit angebe, die Grünen zu wählen. Bei diesem massiven Widerstand gegen die (meiner Meinung nach) wunderbare aber vollkommen irrelevante Umwidmung der Friedrichstraße scheinen wir hier ja keine anderen Probleme zu haben.

  • Leider kommt die Verkehrswende nur in Millimeterschritten voran in Berlin (ganz anders als in anderen europäischen Metropolen), aber Frau Giffey ist auch mehr oder weniger Teil der Auto-Lobby. Das sollte jeder bei der kommenden Wahl berücksichtigen. Im Ergebnis macht daher RRG in Berlin kaum grüne Politik. Was die aktiven Auto-Freaks angeht, die jeden Ansatz von Verkehrswende oder klimagerechter Politik verhindern wollen, da halte ich es mit einem Zitat von Friedrich Merz: „wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man nicht die Frösche fragen“. Und die Frösche in dem Bild sind die Autos/Autofahrer.

  • Ich halte gar nichts von der grünen Politik in Berlin. Alles nur aufgeblasener Quatsch ohne tatsächlich etwas Sinnvolles zu unternehmen.



    Wo sind die P+R-Parkplätze am Anfang/Ende der S-Bahnstationen?



    Stau - jeden Tag nicht nur in der Seestraße und das seit über 40 Jahren.



    Straßen zugeparkt, weil die Parkhäuser zu teuer sind und es keine Zuschüsse von den Arbeitgebern gibt. Schnellradweg nach Potsdam wurde versprochen - nichts ist passiert. Die kaputten Radwege sind nach wie vor kaputt!



    Fahrräder werden immer noch massenweise geklaut.



    Geht mit gutem Beispiel voran und fahrt mit dem Lastenfahrrad in den Bundestag - Platz für Akten ist ja im Kasten vorhanden.



    Bahnanschlüsse und Containerterminals wieder aufbauen. Das gab es alles mal in dieser Stadt!

    • @Herry Kane:

      Es gibt Stau weil es viel zu viele PKWs gibt. Es gibt für Normalos, die nur sich selber durch die Gegend kutschieren, überhaupt keinen Grund, durch Berlin mit dem Auto zu fahren statt ÖPNV/Fahrrad/laufen. Würden nur die Auto fahren, die wirklich müssen, gäbe es weit und breit keine Staus. Also alles nur ein Ergebnis von Unvernunft und ökologischer Gewissenlosigkeit. Dennoch sollte die Politik natürlich das ihre tun. Aber Frau Giffey hält wiederum einfach am Status Quo fest, und so hilft sie am Ende niemand. Sie denkt, sie löst Verkehrsprobleme durch konsequentes Aussitzen. Aber das führt dann einfach nur zu noch mehr Staus, Verkehrstoten etc., und, das ist das fatale, es bringt ihr Wählerstimmen durch viele, die vor Veränderung (Verkehrswende) Angst haben. Dass nun auf wenigen Metern in der Friedrichstraße was passiert, und das gegen den Willen von Giffey ist nur ein Feigenblatt für eine mutlose Verkehrspolitik, für eine verpennte Verkehrswende.

  • Da die Planung noch nicht abgeschlossen ist und somit die Begründung der sogenannten Teileinziehung fehlt, liegt die Rechtswidrigkeit der Sperrung auf der Hand. Ist doch ganz klar, dass sich Betroffene dagegen per Klage wehren.

  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Egal ob mit oder ohne Autos, die Frage ist doch, ob die Friedrichstraße als attraktive Einkaufsstraße überlebensfähig ist, denn das hochpreisige Angebot passt nicht zu den Einkommen und der gewünschten Warenpalette der Bewohner der Leipziger Straße. Die Begüterten werden ihre Rolex-Uhren, China-Vasen oder Luxuslebensmittel nicht per U-Bahn oder Fahrrad abtransportieren. Wie will Bettina Jarasch eine italienische Piazza schaffen, die ja gerade durch Angebote für Normalbürger belebt ist? Was passiert, wenn die Galeries Lafayette mit ihrem Dauerdefizit schließt? Viel Ideologie, wenig Sachverstand. Autos raus, ja, aber ein paar Hundert Meter weiter am Checkpoint Charlie, da ist schon heute mehr Piazza.

    • @658767 (Profil gelöscht):

      Eine Piazza wird aus der recht engen, schattigen Friedrichstraße sowie nicht. Ich hab nie verstanden, was in dieser Straße besonders sein soll. Sie weist weder besonders eindrucksvolle Gebäude noch andere Blickfänge auf. Ob da nun eine Fußgängerzone mit gefährlicher Fahrradautobahn oder eine Autostraße entsteht, macht für die Attraktivität keinen Unterschied. Da würde ich eher die Autos aus dem Umfeld des Hackeschen Marktes rausnehmen.