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Lagebericht Rassismus in Deutschland„Antirassismus ist systemrelevant“

Die Integrations- und Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung legt einen Rassismusbericht vor. Der adressiert explizit strukturellen Rassismus.

Staatsministerin Alabali-Radovan ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Antirassismus Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Es mangelt nicht an klaren Worten, als die Integrations- und Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung am Mittwoch vor die Presse tritt. „Antirassismus ist systemrelevant für unsere Demokratie“, sagt Reem Alabali-Radovan bei der Vorstellung des Lageberichts Rassismus, und: Rassismus sei keine „abstrakte Gefahr, sondern eine schmerzliche Erfahrung für viele, viele Menschen in unserem Land“.

Als Integrationsbeauftragte der Bundesregierung erstattet Alabali-Radovan alle zwei Jahre dem Bundestag Bericht. Das nun vorgestellte Dokument ist der 13. Lagebericht dieser Art – aber der erste, der sich explizit und umfassend mit Rassismus beschäftigt. Der Kampf gegen Rassismus sei eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung, erklärt Alabali-Radovan. 90 Prozent der Menschen im Land wüssten, dass Rassismus existiert, 22 Prozent hätten ihn schon selbst erlebt. Das Phänomen dürfe nicht reduziert werden auf Gewalttaten oder auf das Fehlverhalten Einzelner.

Vielmehr gelte es, auch strukturellen Rassismus ins Visier zu nehmen, so die Integrationsbeauftragte. Um diesen gehe es zum Beispiel, wenn ein Junge mit dem Vornamen Murat im Diktat bei gleicher Fehlerzahl schlechter benotet werde als ein Junge namens Max. Das ist ein Beispiel aus einer Studie, die im Lagebericht zitiert wird.

In der Pressekonferenz geht es auch um die Gewaltexzesse in der Silvesternacht. „Wir schaffen es auch 2023 noch nicht, solche Themen in unserem Einwanderungsland zu diskutieren, ohne rassistische Ressentiments zu schüren“, kritisiert die Beauftragte.

Von Schule bis Polizei

Besonders adressiert Alabali-Radovan die Union: Man müsse die „Täter nach ihren Taten beurteilen, nicht nach ihren Vornamen“, kommentiert sie eine Initiative der Berliner CDU, die nach den Vornamen der Festgenommenen mit deutscher Staatsangehörigkeit gefragt hatte. Aktuelle Äußerungen des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz über „kleine Paschas“ lehne sie „entschieden“ ab: Solche Bemerkungen könnten zur Stigmatisierung ganzer Gruppen führen. „Ich habe gedacht, wir sind weiter.“

Der Bericht listet auch konkrete Handlungsfelder im Bereich institutionellen oder strukturellen Rassismus auf – etwa Schule, Arbeit, Repräsentanz in der Politik, aber auch in der Polizei oder im Gesundheitsbereich. Zudem enthält er eine Übersicht von Maßnahmen der Bundesregierung wie auch Vorhaben der Antirassismusbeauftragten.

Sie werde die niedrigschwellige Beratung für Betroffene durch Mi­gran­t*in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen fördern und Opferinitiativen mit mehr Ressourcen für eigene Räume und Projekte ausstatten, kündigt Alabali-Radovan an.

Ein „Expertenrat Antirassismus“ mit Mitgliedern aus Wissenschaft und Praxis soll unter anderem damit beauftragt werden, für das Verwaltungshandeln eine Arbeitsdefinition von Rassismus zu entwickeln, „damit wir gezielter gegensteuern können“. Wichtig sei auch das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu reformieren.

Mehr Schutz vor Diskriminierung

Darauf drängt auch Ferda Ataman, unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Der Lagebericht adressiere zum ersten Mal auch strukturellen Rassismus. Dazu zählten auch Verwaltungspraktiken in Behörden, Schulen, in der Justiz oder etwa Racial Profiling bei der Polizei.

Für ein „Antidiskriminierungsrecht, das Menschen effektiv vor rassistischer Benachteiligung schützt“, sei eine Reform des AGG „dringend nötig und ich freue mich, dass sie als Handlungsempfehlung im Lagebericht steht“, so Ataman.

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3 Kommentare

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  • Kalte Leistungs-Ideologie produziert schon Rassismus.

  • Mal eine gute Nachricht. Danke!

  • Natürlich gibt es in diesem Land strukturellen Rassismus. Das fängt mit dem Namen an, gilt für den Wohnungsmarkt, endet noch lange nicht bei Behörden.

    Das Land ist bisher aber nicht bereit, den Wurzeln dieses Rassismus auf den Grund zu gehen. Damit sind nicht die Untaten des 3. Reiches gemeint, sondern die Strukturen, die im Zuge des Wirtschaftswunders geschaffen wurden; Begriffe wie Gastarbeiter, Familiennachzug drücken dies aus, Bilder wie der ein-Millionste Käfer an einen türkischen Arbeiter meinen: ihr seid unsere „Bimbos". Die Mentalität dahinter, Familien zu verhindern, Einbürgerung zu blockieren, die schlechtesten Wohnungen, das Fremde fremd halten, hat zu diesem Rassismus geführt, hat zu Parallelgesellschaften geführt, hat Machtstrukturen geschaffen, Kellner und Gast, Herr und Diener. Politiker wie Zimmermann, Rüttgers, Dregger, Koch, Beckstein, Friedrich drehten kräftig an dieser xenophoben Schraube. Hört man heute Friedrich Merz, fremdelt der noch immer mit dem Wandel zum Einwanderungsland. Die Realität wird geleugnet.

    Zwischen den Ergebnissen gesellschaftlichen Rassismus und purer Verrohung, wie an Sylvester zu unterscheiden, ist schwer. Wer jedwede Entgleisung auf Rassismus schiebt, macht es sich indes zu leicht und entwertet den Begriff. Allzuoft verstecken sich gerade Menschen aus dem linksliberalen Umfeld hinter dem Begriff, um wegzusehen - und verschärfen damit das Problem, statt es zu lösen. Das hat durchaus ideologische Züge. Man traut sich nicht asoziales Verhalten anzusprechen.

    Die Trennlinie zwischen Gründen von Rassismus und schlichter Verrohung ist zuweilen dünn. Es ist eine Güterabwägung. Nicht immer dürfen soziologische Gründe gelten. Eine Anpassungsleistung darf man bei aller Buntheit einfordern. Nur wenn Fehlverhalten von Einwanderern klar benannt wird, kann Diskriminierung von Migranten angegangen werden - sonst besteht die Gefahr, dass ein objektives gesellschaftliches Phänomen politisch zerredet wird und sich nichts bessert.