Spranger fordert nach Silvester Bodycams: „Hat mit Silvester wenig zu tun“
Die SPD-Innensenatorin will 4.000 Kameras für Polizei und Feuerwehr. Niklas Schrader (Linke) spricht von Wahlkampf und kritisiert den Rassismus der CDU.
taz: Herr Schrader, als eine Konsequenz aus den Angriffen auf Ordnungskräfte in der Silvesternacht fordert Innensenatorin Iris Spranger (SPD) die sofortige Anschaffung von 4.000 Bodycams für Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr. Ist das sinnvoll?
Niklas Schrader: Mit der Silvesternacht haben Bodycams wenig zu tun. Offensichtlich versucht die Innensenatorin im Rückenwind der Ereignisse, die Aufrüstung der Polizei voranzutreiben. Wir haben ein vereinbartes Verfahren für einen Testlauf mit 300 Bodycams bis 2024, und ich sehe keinen Grund, daran etwas zu ändern.
41, ist innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion.
Hätten Bodycams bei den Angriffen mit Böllern und Raketen oder der Strafverfolgung helfen können?
In solchen Situationen, in denen viele Emotionen, Alkohol oder andere Drogen im Spiel sind, hat das keine Abschreckungswirkung. Auch sind bei Dunkelheit und der teilweisen Vermummung der Täter die Bedingungen für die Beweissicherung nicht gut. Insofern ist diese Debatte schon sehr weit hergeholt.
Was bringen Bodycams grundsätzlich und welche Gefahren sehen Sie?
Erstmal ist das ein Grundrechtseingriff, weil Daten erhoben werden, auch sehr private. Es werden Menschen aufgenommen und das gesprochene Wort aufgezeichnet. Insofern muss man diesen Eingriff so gering wie möglich halten. Andererseits haben wir in Berlin den Probelauf so konzipiert, dass nicht nur die staatliche Seite die Daten nutzen kann, sondern auch Betroffene von Polizeimaßnahmen – wenn sie der Meinung sind, ihnen sei Unrecht geschehen. Das ist so aber noch nicht ausprobiert worden, daher lassen wir es unabhängig und wissenschaftlich evaluieren. Man muss abwarten, was da herauskommt.
Bedeutet Ihre Ablehnung von Sprangers Vorstoß, dass es keine Ausweitung des Bodycams-Tests geben wird? Die Bestellung von 300 Tasern trotz Probelaufs hat Spranger doch auch gegen Ihren Willen veranlasst.
Wir haben eine befristete Regelung für den Einsatz der Bodycams im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Um sie auch danach einsetzen zu können, braucht auch Frau Spranger die Koalition. Die Evaluation ist für 300 Kameras konzipiert. Bei mehr Geräten müsste die neu gestartet werden – und dafür braucht es die Zustimmung des Innenausschusses. Außerdem kosten tausende neue Kameras viel Geld, das wir nicht eingeplant haben. Da käme der Hauptausschuss ins Spiel. Insofern verbuche ich die Forderung unter Wahlkampf.
Am Montag wird es im Innenausschuss um die Silvester-Ereignisse gehen. Die CDU hat per Anfrage nach den Vornamen der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft gefragt. Was sagen Sie dazu?
Ich finde es schockierend, wie schnell diese ganze Debatte ins Rassistische gedreht wurde und auf einmal nur noch der Migrationshintergrund im Vordergrund steht. Die CDU hat sich mit ihrem Fragenkatalog an die Spitze gesetzt und kocht ein rassistisches Wahlkampfsüppchen. Sie hat die Methoden der AfD übernommen und betreibt deren Geschäft. Wenn die CDU die Debatte auf diese Weise führen will, hat sie an einer Aufklärung kein Interesse.
Welche Form von Aufklärung braucht es in den nächsten Tagen?
Wir müssen wissen, wie viele Festnahmen und wie viele Straftaten welcher Art es gegeben hat, wie die Polizei aufgestellt war, welche Vorfälle mit der Feuerwehr zu verzeichnen sind. Bei der Struktur der Täter interessiert in erster Linie, was für Motive sie haben, was für Wertvorstellungen, woher diese Wut gegen den Staat kommt. Da muss man schauen, inwiefern fehlende Teilhabechancen und Ausgrenzungserfahrungen, aber auch Erfahrungen mit Rassismus eine Rolle spielen. Das kann man sich alles anschauen, findet man aber nicht über die Vornamen heraus.
SPD-Innensenatorin Spranger hat außerdem die Ausweitung von Böllerverbotszonen sowie strengere Regeln für den Verkauf von Schreckschusswaffen gefordert. Was sagen Sie dazu?
Es wäre besser, den Verkauf von Böllern ab einer gewissen Sprengkraft zu unterbinden und so zu erreichen, dass diese ganzen Sprengmittel gar nicht erst in Umlauf gelangen. Die Verbotszonen kann man nur punktuell begrenzt einrichten; sie sind kaum durchsetzbar und verlagern das Problem. Der Vorschlag, den ganzen S-Bahn-Ring zur polizeilichen Verbotszone zu erklären, ist willkürlich und rechtlich nicht gut begründbar. Die Verbreitung von Schreckschusswaffen zu reduzieren, halte ich für völlig richtig. Hier ist die Bundesregierung gefragt. In der Vergangenheit hat es auch die CDU verschlafen oder bewusst nicht gemacht, das enger zu regeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien