piwik no script img

Lebensmittelkennzeichnung in der EUStreit um Nutri-Score-Pflicht

Die EU-Staaten sind uneins über die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Nun fordern Verbraucherschützer mehr Einsatz von Minister Özdemir.

Der sogenannte „Nutri-Score“ auf einem Produkt im grünen Bereich Foto: dpa

Berlin taz | Die Verbraucherorganisation Foodwatch fordert Bundesernährungsminister Cem Özdemir auf, sich stärker für die EU-weite Einführung des Nutri-Score als verpflichtende Nährwertkennzeichnung auszusprechen.

„Schaut die deutsche Regierung den populistischen Anti-Nutri-Score-Kampagnen einiger Mitgliedsländer weiterhin passiv zu, trägt auch sie die Verantwortung dafür, sollte der Nutri-Score scheitern“, schreibt der Verband in einem Brief an das Ministerium, der der taz vorliegt. Es sei unverständlich, „dass die deutsche Regierung sich bislang so zurückhält mit einer öffentlichen Positionierung.“

Laut Robert-Koch-Institut sind zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland übergewichtig. Ähnlich ist die Lage in anderen EU-Ländern. Übergewicht kann chronische Krankheiten begünstigen. Mithilfe des Nutri-Scores sollen VerbraucherInnen deshalb leichter erkennen können, welche Nahrungsmittel gesünder oder ungesünder sind.

Der Score stuft Lebensmittel mit den Buchstaben A (dunkelgrün hinterlegt) bis E (rot) ein. Rotes E heißt: zu fettig, zu süß und/oder zu salzig – auf jeden Fall zu ungesund. Verbraucherschützer wollen, dass der Nutri-Score auf allen verarbeiteten Lebensmitteln stehen muss. Momentan ist die Nutzung freiwillig.

Vor allem Italien will eine Pflicht zum Nutri-Score verhindern. Die dortige Lebensmittelbranche befürchtet Umsatzeinbußen, wenn etwa ihr Parmesan oder Schinken wegen hoher Fett- und Salzgehalte mit einem D oder E gebrandmarkt würden. „Man sollte Parmesan eben nicht in rauen Mengen essen“, sagte dazu Foodwatch-Sprecherin Sarah Häuser der taz. Nach der traditionellen mediterranen Ernährungsweise würden ja auch viel mehr frisches Gemüse und Hülsenfrüchte verzehrt.

„Wir machen uns große Sorgen, dass die EU-weite Einführung des Nutri-Score als wirksamstes Modell der Nährwertkennzeichnung scheitert“, warnt Foodwatch in dem Brief. Unter den Mitgliedstaaten sei der Score zwar umstritten, aber ein Großteil sei noch unentschieden. „Die EU-Kommission plant nun nach unseren Informationen, dieser Uneinigkeit mit einem Kompromiss zu begegnen und ein komplett neues System vorzuschlagen.“ Das würde die Einführung einer wirksamen Kennzeichnung um Jahre zurückwerfen und die Verbraucher verwirren, so die Kritik.

Auch sei der Nutri-Score durch wissenschaftliche Erkenntnisse abgesichert. „Ein neues System einzuführen öffnet Tür und Tor für Interessengruppen, diese Unabhängigkeit zu untergraben und damit die Lenkungs- und Informationswirkung einer Nährwertkennzeichnung zu schwächen“, fürchtet Foodwatch. Deshalb müsse Deutschland beim Treffen der EU-Ernährungsminister am 12. Dezember „vehemente Stellung beziehen für die Einführung des Nutri-Score“ als verpflichtende Kennzeichnung auf der Vorderseite der Verpackung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Ja und nein. Nebenbei: das ZDF mit Sebastian Lege schaffen eine sehr gelungene Aufklärung.

    Nun aber zum Nutriscore. Erst heute einen "Energytrink" gesehen, der als zuckerfrei angepriesen werden darf. Pure Augenwischerei, den in dem Produkt stecken 4 Süßungsarten. Jedoch alles kein originärer Zucker. Am Ende hat die Wasserplörre dadurch 48g Kohlenhydrate (pro 100g). Mit Nutricscore wäre dies eine "D" oder gar eine "E".

  • Der Nutriscore ist nicht wirklich zielführend. Man muss sich bloß den Herrn Lege anschauen, der hat den Widersinn an einer vegetarischen Pizza durchexerziert. Da gibt es immer noch zu viele Ungereimtheiten, die häßliche Tricksereien erlauben. Deshalb verstehe ich auch die ganze Aufregung um diese Farbkleckse nicht.

  • Meiner Ansicht nach ist das völlig unnötig Wie man sich gesund ernährt ist keine Raketenwissenschaft, dafür braucht es keinen Bildungsabschluss und kein Schulfach, auch keine bunten Bilder auf Verpackungen, das wissen im wesentlichen schon die Kinder im Kindergarten: abwechslungsreich, frisch, keine Süßigkeiten, wenig oder kein Fleisch, kein Alkohol und keine Zigaretten, kein Fertigzeug. Mehr muss man eigentlich nicht wissen.

    Es hat auch nichts damit zu tun, dass sich die Menschen gesunde Lebensmittel nicht leisten können, die Leute sind nicht übergewichtig, weil sie zu wenig Gesundes essen, sondern weil sie zu viel Ungesundes essen oder trinken.

    Wenn wir uns mehr oder weniger ungesund ernähren, dann nicht, weil wir es nicht besser wissen oder nicht anders könnten, sondern weil wir es genau so wollen. Nicht jeder hat das Lebensziel möglichst alt zu werden oder möglichst gesund zu sterben, viele Menschen macht Genuss und vielleicht auch ein bisschen Völlerei viel glücklicher als Askese und Gesundheitsoptimierung. Wir müssen uns nicht an irgendwelchen BMI-abhängigen Schönheitsidealen orientieren.

    Ob man sich "gesund" oder "ungesund" ernährt ist eine bewusste mündige Entscheidung, die jeder selbst treffen kann, dafür braucht es keine Belehrung oder Bevormundung durch den Staat, die Lebensmittelindustrie oder Lobby-Gruppen wie Foodwatch.

    • @Ruediger:

      Ihre goldene Theorie in allen Ehren, aber so läuft es eben nicht. Denn die mündige Entscheidung wird bei sehr vielen durch die Werbung und die Verpackung (wieder) gebrochen.

      Das Schummeln wird den Herstellern erlaubt. Um die Tricksereien zu verstehen, muss man sehr genau die Inhaltsstoffe lesen und auch verstehen; bei sehr vielen Begriffen steigt der Normalbürger per se schon aus. Und wenn noch Angaben zu Portionsgrößen hinzu kommen, ist der Beschiss komplett. Denn in der Regel sind es Portiönchen, welche die meisten Verbraucher locker übertreffen.

      Ich verstehe daher Ihre Argumentation in keiner Weise und klingt mir eher nach Verteidigung der Produzenten. Was ist schlimm/schädlich am Nutriscore? Sie können ihn ja ignorieren. Für jemand der beim Einkauf seinen Magen folgt anstatt das Gehirn zu benutzen, für den wäre es eine kleine, schnelle Entscheidungshilfe.

  • Also wirklich!



    Ja glauben sie denn die von den Lebensmittelkonzernen in die Anti-Kampagnen gesteckten Millionenbeträge waren für die Katz?

    Ganz, ganz sicher nicht.

    Denn damit hat man sich der Joyalität vieler Parlamentarier versichert.

    Auffällig ist allerdings, dass diese Konzerne so garnicht im Lobbyregister der EU präsent sind.

    Nestle z.B. hat grad' mal acht feste Lobbiisten bei der EU.

    Da fragt man sich doch schon, wie die Konzerne sich wohl Gehör verschaffen ...

    • @Bolzkopf:

      Wenn Nestlé an einem Agrarverband beteiligt ist, und über diesen Argrarverband einen Lobbyisten versendet, unter welchem Namen wird dieser dann wohl auftauchen?

      Es werden auch gern Stiftungen gegründet - für "gesünderes Essen" oder "reichhaltige Ernährung". Diese Stiftungen treten nach außen hin souverän auf. Das Geld kommt allerdings vom großen Konzern.

  • Was wir brauchen ist kein Nutri-Score, sondern ein schulisches Pflichtfach was das Thema ernährung anspricht, am besten noch Pflichtkurse ähnlich des Erste-Hilfe-Kurses, damit sich jeder mal wenigstens ein bisschen über vernünftige und gesunde und TROTZDEM LECKERE Ernährung schlau machen kann. Wenn ich auch nur halbwegs Ahnung habe finde ich alle Informationen die ich brauche auf der Produktverpackung, man muss sich nur die Mühe machen und mal die paar Zeilen lesen, für nachste mal weiß man dann bescheid, dafür brauche ich keinen Nutri-Score, den habe ich nie gebraucht und werde ich nie brauchen und wird nur dafür sorgen, dass Verbraucher sich weiterhin nicht vernünftig Informieren, sondern sich stattdessen einfach blind auf den Score verlassen werden

    • @PartyChampignons:

      Wieso nur das eine (Nutriscore) oder das andere (Pflichtfach in der Schule)? Wieso nicht beides?

      Und die Zutatenliste auf der Produktverpackung zu lesen, ist auch kein Tipp für die Allgemeinheit. Die wenigsten wissen zB. dass "Erythrit" oder "Maltit" eigentlich Zuckerarten sind. E440 ist ebenfalls nur Zucker.

      Und wenn man sich vegane Ersatzprodukte anschaut, wird es stellenweise noch schlimmer. Viele Produkte enthalten sehr viel ungesunde, gesättigte Fettsäuren und viele Stoffe aus dem Chemielabor. Der NutriScore könnte hier auch nur die halbe Wahrheit zeigen, aber immer noch besser als dann die Aussage zu hören: "Ich kaufen nur vegane Produkte, weil die gesünder sind."

      • @Mopsfidel:

        Nicht beides, weil ich den Nutri-Score auch nicht für ein Allheilmittel halte.



        Es wird z.B auf den Fettggehalt geschaut aber nicht ob es sich um gesunde oder ungesunde Fette handelt. So finde ich auf einer Packung Sonnenblumenkerne, die eigentlich super gesund sind den Nutri-Score D, dick in rot. Für unwissende folgt hier jetzt die völlig falsche Schlussfolgerung das Produkt wäre ungesund. Deshalb ist es eben wichtig wirklich aufzuklären, solche Scores verhindern das aber.

  • "Laut Robert-Koch-Institut sind zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland übergewichtig."

    Was nützt denn alle Nährwertkennzeichnung, wenn es (wie jetzt in der Energiekrise) wirklich gesunde Lebensmittel kaum noch im Angebot gibt, und wenn doch, dann dank der Inflation für viele unbezahlbar?

    Und was nützt es, sich beständig über die zunehmende Übergewichtigkeit in der Bevölkerung zu beklagen, wenn solche Übergewichtigkeit bei vielen Menschen lediglich ein Folgesymptom des Mangels ist, der dann zu einseitiger, ungesunder und (weil billig) zuckerübersättigter Ernährung führt?

    Wenn gegen zuviel Fett im Körper vorgegangen werden soll, dann bitteschön zuerst bei den Körpern des Systems, der Politik und der giertriefenden Hochfinanz, die sich mit Dollars und Euros fettfressen und deren Acker die dicken Geschäfte mit der Not der anderen ist. Alles Übrige würde sich dann nahezu von selbst wieder auf Normalwerte einpendeln.

    • @wxyz:

      Was ist denn ein "wirklich gesundes Lebensmittel" und was davon ist nicht im Angebot bzw. unbezahlbar?

      • @CarlaPhilippa:

        Zum Beispiel Obst und Gemüse der Saison aus der Gemüseabteilung. Momentan sind Weißkohl, Rotkohl, Rosenkohl und Möhren relativ günstig. Kartoffeln gibt es oft eine günstige Sorte, auf den Kilopreis achten. Das sind allerdings oft größere Mengen, 4kg oder so. Reis geht schneller. Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen oder Kidneybohnen gibt es relativ günstig in Dose oder Glas. Die ersetzen ungesundes und teures Fleisch, weil sie reichlich Eiweiß enthalten. Am wichtigsten ist, die Mahlzeit einfach halten, am Topf bleiben, damit nichts zu lange gart. Mit etwas Öl angedünstet schmeckt es besser. Schwierig wird es, wenn Sie gar keine Zeit zum Kochen haben, aber auch Vollkornbrot mit sparsam Belag und einem rohen Gemüse als Sättigungsbeilage funktioniert. Kohl und Möhren können roh gut gegessen werden. Wenn Sie Körner mögen, können Sie welche dazu essen. Nüsse wären besser. Sie sind zwar recht teuer, aber vier Walnüsse pro Tag reichen schon.

      • @CarlaPhilippa:

        Ein "gesundes Lebensmittel" ist eine nahrhaftes Objekt (z.B. eine Frucht oder ein Gemüse), welches ab einem bestimmten Gewicht die für den Durchschnittsmenschen benötigte Menge an verschiedenen Vitaminen und Spurenelementen deckt.

        Diese Objekte gibt es selbstverständlich im Supermarkt.