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Kritik am DFB in KatarMesut Özil ist immer noch dabei

In WM-Stadien sind Bilder des früheren Nationalspielers zu sehen. Doch hierzulande traut man sich immer noch nicht an das Thema Rassismus heran.

Kritik, die hierzulande niemand versteht: Katarische Zuschauer halten Bilder von Mesut Özil Foto: Sports Press Photo/imago

Der DFB wird Mesut Özil einfach nicht los. Mitten in Doha ist der Ex-Nationalspieler, der Weltmeister von 2014, plötzlich zu sehen. Auf Plakaten nämlich, die katarische Besucher des Spiels Deutschland – Spanien in die Höhe recken. Dazu halten sich einige den Mund zu. Sie imitieren also jene Geste, die sich die DFB-Elf als politischen Kommentar zur Politik der Fifa überlegt hatte.

Der katarische Fernsehsender Al-Kass lobt die Özil-Aktion und interpretiert sie als Kritik an „westlicher Doppelmoral“, genauer vermutlich: deutscher Doppelmoral. Man könnte diesen Kommentar, einerseits, als Whataboutism abwehren, also als simples Ablenkungsmanöver.

Andererseits sollte sich der Verweis auf hiesigen, deutschen Rassismus nicht mit dem formalen Hinweis abwimmeln lassen, hier und heute ginge es aber um ein anderes Thema. Und was wann dran ist, bestimmen wir!

Ein Rücktritt als Zäsur

Mesut Özil ist 2018 aus der Nationalelf zurückgetreten, weil er sich rassistisch geschmäht fühlte und weil er dem DFB vorwarf, ihn nicht vor diesem Rassismus zu schützen. Özils Rücktritt mit dieser Begründung ist eine Zäsur in der Geschichte des deutschen Fußballs. Doch es ist beim DFB kaum etwas zu sehen, was seriös als Aufarbeitung gelten darf.

Entsprechend ist die hiesige Wahrnehmung der Özil-Plakate, die in Katar hochgehalten wurden: „Verwirrung“ hätten sie gestiftet, schreiben die einen. Die Aktion habe gewiss damit zu tun, dass Özil 2019 den europäischen Fußball kritisierte, Geschäfte mit China zu machen, obwohl die Regierung dort die Uiguren unterdrückt. Und natürlich Erdoğan: Der Özil habe, als er sich mit dem türkischen Staatspräsidenten fotografieren ließ, doch selbst dafür gesorgt, dass er geschmäht wurde, ja, dass manche den gebürtigen Gelsenkirchener „zurück nach Anatolien“ wünschten.

Bis heute will die hiesige Fußballöffentlichkeit nicht den Umstand an sich heranlassen, dass ihr selbst Rassismus attestiert wurde. Und zwar von einem Spieler, dem der DFB ganz wesentlich den WM-Titel 2014 verdankt.

Alle Kritik an den Zuständen in Katar ist ja richtig. Was nicht richtig ist, ist, dass es nur dort kritikwürdige Zustände gibt.

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15 Kommentare

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  • Sind Sie sich da ganz sicher?

    Ich kann mich noch gut erinnern, dass da im Boulevard (aber auch bei mir) so ein Gefühl war von "da hat der Özil sein wahres Gesicht als türkischer Faschist gezeigt und dass man diesen Typen doch irgendwie nicht trauen kann."

    Der Schritt von "das ist geschmacklos" zu "der darf unser Land nicht repräsentieren" war wirklich extreem kurz.

    Wenn man bedenkt, was Volksvertreter - nicht Fussballer - so alles z.B. in der Aserbeidschan-Connection so machen - ohne zurücktreten zu müssen, kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass wir da schon mit verschiedenen Maßen gemessen haben.

  • Beim gestrigen Spiel Uruquay/Portugal ist wohl ein Flizzer mit einer Regenbogenfahne über den Platz gelaufen. Der Kommentator fand es nicht gut, dass das nicht gezeigt wurde. Weiß jemand mehr?

  • Es sollte schon erwähnt werden, dass die Plakate vorbereitet auf den Sitzen lagen und den Leuten von einem Agitator vorgegebenen wurde, was sie damit überhaupt machen sollten.

    Keiner der "Demonstranten" wusste, wer die Person auf ihrem Plakat überhaupt ist, kannte die Geschichte dahinter.

    Eine staatlich orchestrierte Aktion, die einzig dazu dient, von der Kritik am Staat abzulenken, kann man schwerlich als gelungene Rassismuskritik schönreden.

    • @tazzy:

      Die Kritik ist trotzdem berechtigt. Dein Kommentar liest sich ein bisschen, wie "Klimaaktivist*innen muss man nicht zuhören, wenn sie ab und zu bei McDonalds essen". Zu glauben, wir müssen Menschen nicht zuhören, denen wir uns moralisch überlegen fühlen, ist ein Grundproblem westlicher Mentalität.

  • Die FIFA ist das Problem. Danach kommt erstmal lange Zeit nichts.

  • Naiv wer glaubt, diese Plakate wären unerlaubt aufgetaucht und im Fernsehen gezeigt worden. Das war inszeniert und es richtet sich auch nicht gegen Rassismus, sondern dient nur dazu, berechtigte Kritik zu diskreditieren. Grotesk ist es obendrein, ernsthaft den vermeintlichen Rassismus gegen einen balltretenden Multimillionär mit fragwürdigen politischen Ansichten zu verhandeln, während der wirklich relevante Rassismus immer etwas mit Ausbeutung und fehlender Chancengerechtigkeit zu tun hat.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Der erste Teil Ihres Kommentars ist durchaus korrekt.

      Das mit dem Grotesk stimmt aber nicht.



      Rassismuskritik wird nicht falsch oder grotesk, wenn sie ein Arschloch äußert. Entwertet durch die durchsichtige Interessenlage ja, aber mehr auch nicht.

      Das Problem ist - wie im Artikel angedeutet - das der Fall Özil bislang so wenig aufgearbeitet wurde, dass jemand wie Sie noch von "vermeintlichem" Rassimus sprechen kann.



      Bei der Größe des Skandals müsste das eigentlich längst geklärt sein.



      Ist es aber nicht.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Wie in Deutschland mit Özil umgegangen wird, sendet immer auch ein Signal an alle anderen Menschen mit Migrationshintergrund, die keine balltretenden Multimillionäre sind, und hat deswegen auch etwas mit strukturellem Rassismus zu tun. Man kann eine politische Einstellung kritisieren, ohne jemanden öffentlich fertig zu machen. Es herrscht in Deutschland ein Klima, das Menschen mit Migrationshintergrund das Gefühl gibt, die Öffentlichkeit warte nur darauf, dass sie einen Fehler machen, um sich dann mit aller Häme auf sie zu stürzen. Man kann Özil kritisieren, ohne dieses Klima weiter anzuheizen, aber wenn man sich dessen nicht bewusst ist, schlägt man genau in diese Kerbe, und das ist Rassismus. Es fühlt sich legitim an, gleichzeitig mangelt es aber (und das ist für Rassismus typisch) an Mitgefühl für die betreffende Person. Ein Mitgefühl, dass wir alle wahrscheinlich gehabt hätten, hätte sich ein Biodeutscher so etwas geleistet. Die Kritik wäre ebenfalls gekommen, aber nach einer Weile eben auch das Nachsehen, und sie wäre somit weniger hart ausgefallen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Aha, also Reiche können keinen Rassismus erfahren und öffentlich fertig gemacht werden? Rassismus bedeutet auch, dass wir an Menschen mit anderer Hautfarbe, Migrationshintergrund oder Zugehörigkeit einer anderen Religion vollkommen überzogene Ansprüche stellen, und ihnen Dinge immer und immer wieder vorwerfen, die wir Menschen, die nicht von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, viel schneller verzeihen. Lass das einfach mal kurz an dich ran, anstatt es sofort abzuwehren.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Ich teile diese Einschätzung!

  • Bei der Causa Özil gings primär nicht um einen deutschen Nationalspieler, der ausländische Wurzeln hat, und sich mit dem Präsidenten des Herkunftslandes seiner Eltern traf und wohlwollende Worte für ihn fand. Hier gings um den Fussballer Özil, der einen Despoten hofiert hat und sich ebenso von diesem hofieren liess, u.a. als Trauzeuge. Dies ist für mich ein elementarer Unterschied. Das dies einige Knallköpfe mit ihren unterbelichteten Hirnen zu rassistischen Auswürfen animierte, ist zu verurteilen, war aber auch zu erwarten.



    Aber nochmal, sich mit einem Despoten ablichten zu lassen, der sein Volk unterdrückt und in Syrien ganze Städte bombadieren lässt, muss man kritisieren, ja sogar verurteilen dürfen.

    • @Klaus Waldhans:

      Wenn die rassistischen Auswürfe zu erwarten sind (und da stimme ich Ihnen zu, das sind sie), muss man sich vielleicht noch mal überlegen, ob man ausgerechnet eine Boulevard-Debatte über einen Fußballspieler ins Zentrum der Kritik an Erdogan rücken will.

      Sich mit dem Typen ablichten zu lassen ist geschmacklos. Viel schwerer wiegt aber, wenn bspw. gegen türkeistämmige Linke in Deutschland Gefälligkeitsurteile erlassen werden oder wenn nun im Zuge des NATO-Beitritts das gleiche von Schweden und Finnland gefordert und womöglich auch erfüllt wird.

      Solche Diskussionen sind immer eine Gratwanderung. Auch die Kritk an der mörderischen Homo-und Transfeindlichkeit in Quatar wird teils von den falschen Kreisen geführt, so wie diese Kritik auch von den falschen Kreisen als islamophob und imperialisitsch bezeichnet wird. Solcherlei grundierte Kritik gibt es, aber das ist dann eben eine Aufgabe an Kritker:innen, die richtigen Worte zu finden und schlüssig zu argumentieren.

      Man kann sowohl Erdogan als auch Qatar kritisieren, ohne zum Rassisten zu werden. Aber dafür sollte man dann eben nicht an einer geopolitisch letztlich vollkommen irrelevanten Einzelperson ein mediales Exempel statuieren.

      Wir sollten allgemein weg von dieser dauernden Individualisierung von Politik und den Blick mehr auf größere Zusammenhänge richten. Das bringt letztlich einfach mehr, als solche Ersatzdiskussionen, bei denen man den Özil wegmobbt, damit man die gleich bleibende Haltung der Regierung zu Erdogan bequem ignorieren kann.

  • Natürlich ist die Aktion in Katar reiner Whataboutism. Man kann auch kaum ernsthaft die menschenverachtende Gesetzgebung bezüglich LBGT, die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen und die antijüdischen Ressentiments mit dem gleichstellen, was Herrn Özil widerfahren. Ja, es gibt Rassismus in Deutschlkand und natürlich auch im Fußball und der DFB hat das längst so "aufgearbeitet", wie s notwengig wäre. Ernsthaft zu glauben, dass (vermutlich vom autokratischem Regime bezahlte) "DFB-Kritiker" sich einen Hauch um das Schicksal von Migranten in Deutschland (oder solchen mit migrantischem Hintergrund) interessieren, ist im allerbesten Falle naiv.

    • @mlevi:

      Die Unterdrückung der Frauen haben Sie in Ihrer Aufzählung vergessen.

    • @mlevi:

      Sehr guter Kommentar. Dem ist nichts hinzuzufügen.