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Besenrein. Zimmer in der ehemaligen Leipziger Stasizentrale Foto: Thomas Victor

33 Jahre nach dem MauerfallGeschichte, abgestaubt

Dort, wo in Leipzig noch heute vergilbte Gardinen aus Stasi-Zeiten hängen, soll bald Leben einziehen. Eine Ortsbegehung des Projekts „Zukunftszentrum“.

Thomas Gerlach
Von Thomas Gerlach aus Leipzig

Das ist das tristeste Stück Erde, das ich kenne“, sagt Christoph Hümmeler an und lässt vom Hausmeister die Tür aufschließen. Hümmeler, kahlrasierter Kopf, schwarzer Hoody, die Hände in den Taschen, wirkt keineswegs betroffen, sondern eher wie ein Event-Manager, der eine abgefahrene Location präsentiert. Dabei ist der 56-Jährige im Leipziger Rathaus Stadtplaner.

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Das „Stück Erde“, das Hümmeler ankündigt, ist ein lebloser Raum mit Fenster, Gardine, Heizkörper und einer Luft, die jegliche Lebenskraft verloren hat. Dazu ein Geruch, der glauben macht, die Staatssicherheit selbst hätte dieses Aroma erfunden, um das Denken zu paralysieren. Es ist ein Gemisch, als hätten Mumien hier überdauert, als wären Kaffeetassen vertrocknet und Stempelkissen. Hümmeler ruft begeistert „Spooky!“ und Hausmeister Loricke, Herr über ein Dutzend Schlüssel, wirkt für einen Augenblick, als gehöre er dazu.

Dieses Vakuum ist Teil der ehemaligen Leipziger Bezirkszentrale des Ministeriums für Staatssicherheit, ein Gebäudekomplex am Rande der Innenstadt mit einem verwinkelten Sechsgeschosser, Flachbauten, Garagen, Kellern, Innenhof und einem eleganten Versicherungsbau aus Vorkriegstagen – alles in Sichtweite Leipziger Kneipen und Konsumtempel. Während in dem früheren Versicherungsbau, der Runden Ecke, das gleichnamige Museum an den Stasi-Unterdrückungsapparat erinnerte, auch ein Schulmuseum dort seine Heimat gefunden hat und in einem weiteren Flügel Stasi-Akten lagern, überdauerte der Sechsgeschosser die Jahrzehnte wie eine Larve im Kompost.

Ja, das zeigt die Verantwortung. Dieses Haus muss erlöst werden

Anselm Hartinger, Leiter des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig

Im Jahr 1990 zog nach der Wende das Arbeitsamt in den Bau ein, später eine Disco. Nebenbei ist der Klotz eine Art Rumpelkammer der Stadtverwaltung. Wahlunterlagen, Listen, Wahlzettel stapeln sich, bis Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind. Der Bau war nie tot, er wirkt nur so. „Ja, das zeigt die Verantwortung. Dieses Haus muss erlöst werden“, ruft Anselm Hartinger in die Leere. Der Mann, der wie ein Pfarrer redet, ist der Leiter des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, ebenfalls Teilnehmer der kleinen Exkursion und Experte für die Vorgeschichte des Areals.

Im Schummerlicht staubiger Scheiben skizziert Stadtplaner Hümmeler die Zukunft: Dieser gesamte Komplex, der Sechsgeschosser, die Runde Ecke, samt Anbauten und Parkplatz, dazu Grünanlagen, soll wieder in den Stadtkörper einfügt, mit Geschäften und bezahlbaren Wohnungen belebt werden Gleichzeitig soll ein „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ die Erinnerung an die Stasi wachhalten, an das SED-Regime, aber auch an Widerstand und friedliche Revolution.

Die ehemalige Stasizentrale wirkt verloren und runtergekommen Foto: Thomas Victor

Was in der Projektbeschreibung als ein „nutzungsgemischtes urbanes Quartier mit öffentlichen Funktionen“ beschrieben steht, ist in Wirklichkeit die Auferstehung von fast zwei Hektar Innenstadt. Offen ist, ob dabei der Stasi-Bau erhalten bleibt oder fällt. Draußen, auf der anderen Seite des Hofs, erhebt sich bräunlich-grau der gegenüberliegende Flügel des Monstrums. Wohin man auch blickt, nichts als Stasi.

An den Wurzeln der Stadt

Weit gefehlt, wirft nun Stadthistoriker Hartinger ein. Die DDR mit ihrer Unterdrückungsmaschine – auf dem Areal residierte auch noch die Volkspolizei – zeige nur die äußerste Hülle des Karrees. Hier im einstigen Matthäikirchhof, auf einer Anhöhe über der Pleiße, liege die Wurzel der Stadt. In dieser „urbs Libzi“ ist im Dezember 1015 ein Merseburger Bischof verschieden. Der Todesfall bescherte der Nachwelt die erste urkundliche Erwähnung der Stadt Leipzig. Später ließen sich Franziskaner nieder, bauten Klosteranlage, eine Kirche. Es folgten Handwerker, Stadtbürger, Studenten. Es ist ein kurzer Ritt durch die Stadtgeschichte. Namen fallen – Fichte, Telemann, Schiller, E.T.A. Hoffmann, Robert Blum.

Ein Zentrum für die Zukunft

Die Vorgeschichte In Vorbereitung auf das 30. Jubiläum der Deutschen Einheit setzte die CDU/SPD-Bundesregierung 2019 eine Expertenkommission ein, um die Feierlichkeiten zu begleiten und Handlungsempfehlungen zu unterbreiten. Die Hauptempfehlung des Abschlussberichts war die Einrichtung eines „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“, das aus einem wissenschaftlichen Institut, einem Dialog- und Begegnungszentrum und einem Kulturzentrum bestehen und in Ostdeutschland errichtet werden soll.

Der Bau Der Bau des Zu­kunfts­zentrums wurde vom Bundeskabinett am 4. Mai 2022 beschlossen. Die Baukosten von 200 Mil­lio­nen Euro und die jährlichen Betriebskosten von circa 40 Millionen Euro wurden im Mai vom Bundestag bewilligt. Die Be­wer­bungs­frist endete am 30. September. Neben Leipzig und Plauen als Tandem laufen Bewerbungen aus Halle (Saale), Frankfurt (Oder), Eisenach, Jena, Mühlhausen, Sonneberg.

Die Entscheidung Eine 15-köpfige Jury, zu der die frühere Stasiunterlagen-Beauftragte Marianne Birthler, die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, Ex-Bundesminister Thomas de Maizière und Matthias Platzeck gehören, spricht Anfang 2023 eine Empfehlung aus. Es folgt ein Architekturwettbewerb für „ein Gebäude mit herausgehobener moderner Architektur“. 2026 soll mit dem Bau begonnen werden. Die Eröffnung der Bundeseinrichtung ist für 2028 geplant. (thg)

Ein eher kleinteiliges Viertel sei der Mat­thäi­kirch­hof damals gewesen, sagt Hartinger – bis zum 4. Dezember 1943, als beim größten Angriff britische und US-Bomber die Innenstadt in Trümmer legten, mittendrin Matthäikirche samt Umfeld. Nur das herrschaftliche Versicherungsgebäude blieb unversehrt, sodass dort im April 1945 der Stab der 1. US-Armee einzog, die Leipzig befreit hatte.

Mit dem Abzug der Amerikaner folgte Anfang Juli 1945 die sowjetische Geheimpolizei vom NKWD. 1950 übernahm das Ministerium für Staatssicherheit. 1978 beginnt schließlich der Bau des Sechsgeschossers, sieben Jahre später ist Einweihung. Wenn Erich Mielke aus Ostberlin anreiste, standen die Genossen stramm. Ansonsten hockten sie in Zimmern wie diesem, wo das Relais im Schaltschrank unaufhörlich brummt.

Der Hausmeister führt mit schwerem Schritt tiefer in die Eingeweide einer dahin­geschiedenen Macht

„Alles nur Alukabel!“ schimpft Hausmeister Loricke, der sich über das Interesse für einen leeren Raum zu wundern scheint. Die Elektrik sei marode, der Brandschutz ein Problem. Außerdem regne es in einem der Flügel durch. Der Hausmeister führt mit schwerem Schritt immer tiefer in die Eingeweide einer dahingeschiedenen Macht. In einem Flur steht ein Paternoster still, an einem Fenster zieht der Hausmeister die Gardinen auf, dann wieder zu. Einmal im Jahr kommen die Fensterputzer und reinigen sämtliche Scheiben, erzählt er, sonst würde alles noch viel, viel schlimmer aussehen.

„Das war ein reiner Verwaltungsbau“, beruhigt Christoph Hümmeler. „Hier waren keine Verliese“. Blut tropfte nur in der Stasi-eigenen Poliklinik. Loricke dreht eine Runde durchs Wartezimmer. Es geht über Flure in immer neue Zimmer mit dem immer gleichen morschen Linoleum und dem immer selben Geruch. Es ist, als inszeniere der Hausmeister ein Verwirrspiel. Er führt in einen Fahrstuhl. Es geht abwärts.

Als der Lift stoppt, das Neonlicht aufflackert, öffnet sich eine Welt aus Kacheln, türkisfarbenen und weißen, allerdings arg ramponiert – die Sauna der Bezirkszentrale, der Jungbrunnen für ermattete Stasi-Beschäftigte. Dieser Ort hat frühzeitig seine Metamorphose erlebt. Nach 1990 wurde daraus der „Phoenix“, die erste Gay-Sauna der Stadt, erzählt Christoph Hümmeler. „Spooky“, sagt er noch mal und lässt sich spontan, so mit Hoody und Macherblick, fotografieren.

Christoph Hümmelers Enthusiasmus wäre nicht ganz zu erklären, ginge es hier nur um die Umwandlung einer ehemaligen Stasi-Immobilie in ein innerstädtisches Leuchtturmprojekt. Es geht um viel mehr. Das „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und europäische Transformation“, ein Projekt der Bundesregierung, sucht gerade in Ostdeutschland eine Heimat. Es benötigt Platz für ein wissenschaftliches Institut, ein Begegnungszentrum und ein Kulturzentrum. Es braucht außerdem einen Bezug zur 89er Revolution, eine engagierte Bürgergesellschaft, ein wissenschaftliches und kulturelles Umfeld.

„Alles nur Alukabel!“: Hausmeister Henry Loricke, der Mann mit den vielen Schlüsseln Foto: Thomas Victor

Nicht nur Stadtplaner Hümmeler, das gesamte Leipziger Rathaus scheint elektrisiert. Wo, wenn nicht hier, in diesem so augenfällig aus der Zeit gefallenen Areal, ließe sich ostdeutsche Wendeerfahrung, deutsche Einheit, Transformation und Europa zu etwas Neuartigem verschmelzen? Das Zukunftszentrum soll Umbruchskompetenzen bündeln, Lebensleistungen würdigen, Zusammenhalt organisieren und Strategien für künftige Transformationsprozesse entwickeln, heißt es 2020 aus der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und deutsche Einheit“.

Diese Kommission war eine Idee der letzten Regierung Merkels zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit. In seinem Abschlussbericht gab das Gremium unter Leitung von Matthias Platzeck und dem damaligen Ostbeauftragten Wanderwitz allerlei „Handlungsempfehlungen“ – mehr Schwarz-Rot-Gold, mehr Heiterkeit am 3. Oktober, mehr Gespräche, mehr Gesang, mehr Erinnerung, auch mehr deutsch-deutsche Zuwendung.

Der Plan für ein Zukunftszentrum

Das Zukunftszentrum ist die wichtigste Hinterlassenschaft – und die teuerste. Im Mai 2022 legte die Ampelkoalition die Eckpunkte fest. Der Bundestag bewilligte daraufhin 200 Millionen Euro für die Errichtung, dazu kommt ein jährlicher Unterhalt von 40 Millionen Euro. Nach heutiger Kategorie ein „Wumms“ für Ostdeutschland.

Selbstverständlich hat sich Leipzig mit dem Stasi-Areal beworben. Das Projekt Matthäikirchhof und das Zukunftszentrum seien Herzensanliegen von Oberbürgermeister Burkhard Jung, heißt es aus dem Rathaus. Das Bewerbungsverfahren ist straff. In der Stadtverwaltung fahren sie Sonderschichten. Die städtischen Planungen zur Neugestaltung der einstigen Stasi-Festung mit dem Forum für Freiheit und Bürgerrechte würden sich mit dem Zukunftszentrum ideal ergänzen, schwärmte OB Jung im Mai.

Allerdings wäre die Stasi-Liegenschaft nur ein Part von etwas Größerem. Denn Leipzig bewirbt sich gemeinsam mit Plauen im Vogtland. Dort fand am 7. Oktober 1989 die erste Massendemonstration statt, vor der die Volkspolizei zurückwich. Zwei Tage später kam es in Leipzig zu einer Demonstration mit 70.000 Menschen, vor der die SED einknickte. Die zwei wichtigsten Stätten der friedlichen Revolution wollen die Jury als Tandem überzeugen. Sachsen präsentiert sich als Wiege der friedlichen Revolution, so die Strategie. Frankfurt (Oder), Jena, Eisenach oder Halle an der Saale hätten das Nachsehen.

Im Stasi-Museum in der runden Ecke

Dass die Rückbesinnung an den Herbst 1989 solch einen Arbeitseifer auslöst, wundert Tobias Hollitzer nicht. Bei dem 56-Jährigen ist die Vergangenheit allgegenwärtig. Hollitzer ist der Leiter des Stasi-Museums in der Runden Ecke. Es riecht dort ähnlich wie im Neubau, aber der Flur ist deutlich belebter. Die Ausstellung ist gut besucht. Gerade ist eine Reisegruppe aus Skandinavien eingetroffen. Hollitzer bewegt sich wie blind zwischen Stasi-Artefakten, den Uniformen, den Stahlschränken, den Geruchsproben, den Karteikarten, den Gewehrständern. Die Methoden der Unterdrückung sind allerdings besser auf manchem Schriftstück zu studieren.

„Das ist eines der eindrücklichsten Stücke“, sagt Hollitzer und deutet auf einen handgeschriebenen Schulaufsatz eines Neuntklässlers. „Hier kann ich den Jugendlichen von heute zeigen, wie das System funktioniert hat. Die fassen sich an den Kopf.“

„Spooky hier!“: Stadtplaner Christoph Hümmeler in der ehemaligen Stasi-Sauna Foto: Thomas Victor

Der Neuntklässler Johannes H. kritisiert in dem Schreiben vom April 1989 die DDR-Wirtschaftspolitik, die Mauer, SED-Chef Honecker – und tritt mit seiner Arbeit eine Repressionskaskade los: Die Lehrerin macht Meldung beim SED-Parteisekretär und beim Direktor, der Direktor informiert die Abteilung Volksbildung, die Volksbildung die Staatssicherheit, die Stasi die Arbeitsstelle der Eltern. Diese werden zu Gesprächen einbestellt. Vom Schüler forderte die Direktorin ein Bekenntnis zur Republik und meldete dann konsterniert: „Er entschied sofort, er ist gegen die Politik unseres Staates.“

Die Leichtigkeit, die Stadtplaner Christoph Hümmeler verströmt, ist Tobias Hollitzer nicht gegeben. Hümmeler kam 1991 aus dem westfälschen Hagen nach Leipzig. Hollitzer, damals ein Schlaks mit Stoppelhaaren, verbrachte im Mai 1989 erstmals eine Nacht in Leipziger Polizeigewahrsam, die zweite einen Monat später. Im Dezember 1989 gehörte Hollitzer mit zu den Besetzern von Stasi-Liegenschaften. Ein Bürgerkomitee gründete sich, sicherte Aktenbestände, übernahm die Gebäude. Im Mai 1990 präsentierte es in der damaligen Leipzig-Information die erste Stasi-Ausstellung. Später wanderte diese in die Stasi-Büros der Runden Ecke.

„Die Leute merken, dass dieser Ort eine Aura hat“, ist Hollitzer überzeugt. Kritiker halten die Ausstellung mit ihren Tafeln aus vergilbter Wellpappe museumspädagogisch für antiquiert. Das Kulturamt der Stadt hat die jährliche Förderung gekürzt. Manchem in der Stadt, auch im Rathaus, gilt Hollitzer als sperrig. Vom „Revolutionswächter“ ist die Rede und von „Selbstheroisierung“. Ein Möbeltischler könne eben kein Museum von Rang leiten, so der Tenor. Die Besucherzahlen erzählen anderes. Das Museum ist ein Leipziger Touristenmagnet. Vor Corona kamen jedes Jahr rund 130.000 Besucher.

Hollitzer selbst nennt die Schau ein „Gesamtkunstwerk“, aber eines, das weiterentwickelt werden soll. Manches in der Runden Ecke müsse modernisiert werden, räumt er ein, anderes solle in seinem Urzustand bewahrt werden. Die Stasi-Aura allerdings müsse erhalten bleiben. „Zukunft braucht Erinnerung“, sagt Hollitzer. „Und Erinnerung braucht Erinnerungsorte.“ Das ist die Formel, mit der Hollitzer seit Oktober auch die gemeinsame Bewerbung öffentlich unterstützt. Ganz gleich, wie der Wettbewerb um das Zukunftszentrum ausgeht, Hollitzer dürfte im Areal einer der Akteure bleiben. Das Museum ist eines der Schwergewichte.

Er führt in einen Raum voller Stasi-Devotionalien. Darunter jede Menge Vasen mit Stasi-Wappen, Medaillons und Büsten mit dem Konterfei von Feliks Dserschinski, dem Gründer der Tscheka, dem Vorläufer des späteren KGB. Ein Wandteller lobt die „tschekistische Waffenbrüderschaft“.

Wenn die Geschichte wiederkehrt

„Die Entscheidung über das Zukunftszentrum ist hochpolitisch“, sagt Hollitzer. Die Gespenster, die hier seit 33 Jahren an den Wänden vergilben, bedrohen wieder ganz real die Nachbarländer. Es ist ein Oberstleutnant des KGB, der am 24. Februar 2022 den Überfall auf die Ukraine befahl. Wladimir Putin war bis 1990 KGB-Resident in Dresden.

Man könnte meinen, Putin hätte sich ideologisch an der Zettelpropaganda des Stasi gestärkt, wie sie hier überdauert hat. Da greift ein Gerippe mit Dollarzeichen am Zylinder nach der Weltherrschaft, da wird der „Kreuzzug gegen den Sozialismus“ gegeißelt. Was früher Sozialismus hieß, ist heute die „russische Welt“. Die Mentalität ist gleichgeblieben. Dass Menschen auf der Straße demonstrieren, Halbwüchsige frei ihre Meinung äußern und die Zwingburgen der Staatsmacht von Zivilisten übernommen werden – das sind Vorstellungen, die Wladimir Putin jede Nacht Albdruck bereiten dürften.

Der Krieg in der Ukraine hat auch den Blick auf das Jahr 1989 geschärft. In Berlin nehmen die Planungen der Robert-Havemann-Gesellschaft für ein Forum „Opposition und Widerstand 1945 – 1990“ Gestalt an, das auf dem Gelände der Stasi-Zentrale im Bezirk Lichtenberg errichtet werden soll. Für das Leipziger Gelände wirbt eine Initiativgruppe von ehemaligen Bürgerrechtlern für ein „Zentrum Opposition und Widerstand in SBZ und DDR“, das die Vorgeschichte der 89er Revolution in den Blick nehmen soll. Inspiriert sei die Idee vom Europäischen Solidarność-Zentrum in Danzig, das 2014 eröffnet wurde.

Die Idee finde sie spannend, sagt die Leipziger Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke am Telefon. „Danzig ist eine große Inspirationsquelle.“ Jennicke ist inhaltlich für die Neuordnung des Stasi-Areals verantwortlich. Mit der Initiativgruppe stehe sie in Kontakt. Berührungsängste scheint es nicht zu geben. Dabei ist Jennicke Mitglied der Linkspartei, was Bürgerrechtler grundsätzlich eher skeptisch stimmt. Die Transformationserfahrungen Ostdeutschlands will Jennicke nutzen, bekräftigt sie. Allerdings auch mit Blick auf Themen wie Energiewende, Verkehrswende, Klimawandel, Demografie, Geflüchtete und deren Akteure. In ein paar Jahren könnte es auf dem alten Stasi-Gelände also richtig eng werden.

Über das Zukunftszentrum entscheidet eine Jury Anfang 2023. Doch ganz gleich, was sie beschließt, das triste Stück Erde hat jede Menge Zukunft.

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