piwik no script img

Bildung in WestafrikaEin schwerer Monat für Eltern

Der Schuljahresbeginn bringt Probleme. Eltern müssen teilweise horrende Gebühren zahlen – wenn die Schulen überhaupt öffnen.

Klassenzimmer in Nigeria: In keinem anderen Land bleibt so vielen Kindern der Schulbesuch verwehrt Foto: Didier ruef/REA/laif

Cotonou taz | Überall in der Wirtschaftsmetropole Cotonou werben Banken für Kredite zum Schulstart in Benin (13 Millionen Einwohner*innen), damit Eltern Uniformen, Bücher und Hefte kaufen oder die Schulgebühren zahlen können.

Es gibt Fälle, in denen Kinder eigene Stühle mitbringen müssen

Raymond Goudjo, Leiter der Caritas in Cotonou

2006 entschied die Regierung zwar, dass zumindest die Grundschule kostenfrei ist, und seit 2013 zahlen Mädchen bis einschließlich der neunten Klasse auch keine Einschreibegebühr mehr. Doch aufgrund der versteckten Kosten bleibt selbst der Besuch einer staatlichen Schule teuer. „Es gibt Fälle, in denen Kinder eigene Stühle mitbringen müssen. Die verbleiben dann in der Schule“, sagt Priester Raymond Goudjo, Leiter der Caritas in Cotonou. Sie unterstützt beispielsweise die Rückkehr von Straßenkindern auf die Schulbank.

Auch für Chimène Acclamavo ist der Oktober ein schwieriger Monat. Die 36-Jährige ist Witwe und hat zwei Töchter im Alter von zwölf und 14 Jahren. Da sie gehbehindert ist, kann sie keiner geregelten Arbeit nachgehen und ist auf Unterstützung angewiesen. Nach dem Tod ihres Mannes musste sie die Töchter von der Privatschule nehmen und auf eine öffentliche schicken. „Doch auch dort muss ich Stifte und Bücher kaufen.“

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer mit Sitz in Accra in Ghana sagten 2018 – das sind die aktuellsten Zahlen – fast alle Befragten, dass Mädchen und Jungen heute dieselben Chancen in der Schule haben. Der – theoretisch – kostenfreie Schulbesuch für Mädchen fördere die Chancengleichheit. Mütter wie Chimène Acclamavo kämpfen dennoch: „Als mein Mann starb, wollte seine Familie, dass ich unsere Töchter zu den Verwandten aufs Dorf schicke.“ Für die Mädchen hätte das bedeutet: Sie hätten keinerlei Chancen mehr auf Bildung gehabt, wären möglicherweise früh schwanger geworden und hätten vor dem 18. Lebensjahr heiraten müssen. Chimène Acclamavo wehrte sich erfolgreich: „Ich möchte, dass sie eine Zukunft haben und für sich selbst sorgen können.“

Wenn sie die Wahl hätte, würde sie die Töchter wieder auf eine Privatschule schicken, weil sie dort besser betreut werden. Das sehen 83 Prozent der Beni­ne­r*in­nen nach der Afrobarometer-Umfrage ebenso: Sie sind eher bereit, Schulgeld zu zahlen, als eine qualitativ schlechte Bildung zu akzeptieren. Das kann pro Kind selbst in der Grundschule bei 500 bis 800 Euro jährlich liegen.

Besonders betroffen ist Nigeria

Neben dem Unterricht muss für Nachhilfestunden gezahlt werden. Das Kantinenessen hat sich wie Preise für Kochgas und Lebensmittel generell verteuert. Selbst Angestellte bei Behörden oder Unternehmen können diese Summen häufig nicht alleine aufbringen. „Noch gibt es eine Solidarität in Benin. Man unterstützt sich gegenseitig“, sagt Raymond Goudjo. Wer kann, steckt ärmeren Eltern Geld für den Schulbesuch zu.

In den Nachbarländern ist das ähnlich. Doch vor allem im Sahel machen nicht nur hohe Kosten den Eltern zu schaffen. Aufgrund von Gewalt durch Terroristen und bewaffneten Banden werden Bildungseinrichtungen geschlossen. Das Kinderhilfswerk Unicef spricht von 11.100 geschlossenen Einrichtungen in den Ländern Mali, Burkina Faso und Niger sowie rund um den Tschadsee. „Ohne Zugang zu Bildung wird in Zentral- und Westafrika eine Generation von Kindern heranwachsen, die weder ihre Rolle innerhalb der Gemeinschaft ausfüllen noch zur Wirtschaft des Land beitragen kann“, sagte Marie-Pierre Poirier, Unicef-Regionaldirektorin für West- und Zentralafrika, anlässlich des internationalen Tages zum Schutz der Bildung am 9. September.

Besonders betroffen ist Burkina Faso, wo nach Regierungsangaben vom Mai 4.258 Schulen geschlossen waren. Vor einem Jahr waren es noch 2.682. Mittlerweile können mehr als 700.000 Mädchen und Jungen keinen Unterricht mehr besuchen. In Dori im Norden des Landes ist zudem seit März die Fachhochschule dicht.

Doch selbst wenn Schulen geöffnet bleiben, lässt es sich in der schweren Sicherheitskrise kaum lernen. Das hat Binnenflüchtling Jean-Baptist Ouermi erlebt, der in die Provinzhauptstadt Ouahigouya im Nordwesten von Burkina Faso flüchtete. Das letzte Schuljahr in seinem Heimatort Titao war Stress pur. „Wir haben immerzu aus dem Fenster geschaut, um uns zu versichern, dass niemand kommt.“ Jedes ungewohnte Geräusch habe Angst verursacht. Im Jahr vor dem Abitur entschied er sich, seine Familie zu verlassen, und ist mittlerweile Student an der Universität.

Besonders betroffen ist auch Afrikas Riesenstaat Nigeria (220 Millionen Einwohner*innen), der seit Jahrzehnten die weltweit höchste Zahl an Kindern hat, die nicht zur Schule gehen. Nach Angaben der Unesco sind es mittlerweile mehr als 20 Millionen.

Neben Unsicherheit und gezielten Entführungen von Schulklassen wirkt in Nigeria – und anderen westafrikanischen Ländern – auch die Coronapandemie nach: Kinder, die durch Schulschließungen lange zu Hause bleiben mussten, sind trotz Wiedereröffnung nicht in die Schule zurückgekehrt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Horrende sind die Gebühren gemessen am Einkommen der Menschen dort. Ich bezahle das Schulgeld für einen Jungen in Abidjan / Abobo dessen alleinerziehende Mutter ich dort mal kennen gelernt hatte. Im Jahr 120 Euro plus 20 Euro für Papier und Stifte. Für mich machbar, aber für die Mutter sehr viel Geld. Ca. zwei bis drei Monatslöhne als Bedienung in einer Bar. Besser bezahlte Jobs sind rar.



    Durch die Inflation in Europa kann man davon ausgehen, dass auch weniger Geld von Migranten an ihre Familien in der Heimat gesendet wird. Insgesamt macht das ein vielfaches der Entwicklungshilfe aus Europa aus. Es wird viele Kinder treffen.