Abschiebung in Sachsen: Von der Klinik ins Gefängnis

Die Polizei hat Mohammad K. aus der Leipziger Uniklinik in die Dresdner Abschiebehaftanstalt gebracht. Viele Menschen kämpfen um sein Bleiberecht.

Mehrere hundert Menschen protestierten gegen die geplante Abschiebung von Mohammad K.

Mehrere hundert Menschen protestierten gegen die geplante Abschiebung von Mohammad K Foto: Sebastian Willnow/dpa

Leipzig taz | Knapp eine Stunde, bevor die Polizei Mohammad K. am Montagnachmittag aus dem Uniklinikum Leipzig abholt und in die Dresdner Abschiebehaftanstalt bringt, haben sich rund vierzig Menschen vor der Notaufnahme des Krankenhauses versammelt.

Sie alle fordern ein Bleiberecht für K. und wollen verhindern, dass er inhaftiert wird. Die meisten sitzen auf einer niedrigen Mauer gegenüber des Haupteingangs, einige harren schon seit Stunden hier aus und halten Wärmflaschen in den Händen. Die Stimmung ist angespannt. Alle beobachten den Haupteingang und die Leute, die rein- und rausgehen. Niemand weiß, wann die Polizei Herrn K. herausführen wird.

Eigentlich sollte Mohammad K., dessen Asylantrag 2019 abgelehnt wurde, schon vergangene Woche Dienstag in sein Geburtsland Jordanien abgeschoben werden – obwohl er seit sieben Jahren in Deutschland lebt, Deutsch spricht, nie straffällig geworden ist, Familie und Freun­d:in­nen in Leipzig und mehr als drei Jahre in einer Bäckerei gearbeitet hat.

Diesen Job musste K. nur deswegen im Dezember 2020 aufgeben, weil ihm die Ausländerbehörde die Beschäftigungserlaubnis entzogen hatte. Nach Angaben des Sächsischen Flüchtlingsrates hat die Bäckerei K. sogar einen Ausbildungsvertrag angeboten. Die Ausländerbehörde Leipzig jedoch habe K. keine Ausbildungsduldung erteilt.

„Mohammads Leben ist in Leipzig“

Wenn man mit Freun­d:in­nen und Angehörigen von K. spricht, die sich vor der Uniklinik versammelt haben, wird schnell klar, wie zu Hause sich der Mann in Leipzig fühlen muss. „Mohammad hat sehr viele Freunde, außerdem wohnt seine ganze Familie hier – seine Eltern, seine beiden Brüder, seine Schwester“, sagt Ammar, 27, der seinen Nachnamen aus Angst vor der Polizei für sich behalten möchte. Ammar hat K. 2016 in einem Deutschkurs in Leipzig kennengelernt, seither sind die beiden eng befreundet. „In Jordanien hat Mohammad keine Verwandten, keine Freunde und keine Wohnung“, sagt Ammar.

Auch die Eltern von K. stehen vor dem Krankenhaus, um gegen die Inhaftierung und Abschiebung ihres Sohnes zu protestieren. Seine Mutter weint, sein Vater schaut ernst in Richtung Eingangstür. „Das, was hier passiert, ist unmenschlich“, sagt er aufgebracht. Mohammad gehe es psychisch und körperlich sehr schlecht. „Ich verstehe nicht, wieso Mohammad abgeschoben werden soll. Er hat sich gut integriert, jahrelang gearbeitet, Steuern bezahlt“, sagt sein Vater. „Mohammads Leben ist in Leipzig.“

Entsprechend verzweifelt muss K. gewesen sein, als vergangenen Dienstagmorgen Polizeibeamte vor seiner Wohnung in der Leipziger Südvorstadt standen. Er verletzte sich selbst schwer und drohte mit Suizid, falls die Be­am­t:in­nen seine Wohnung betreten sollten. Die Polizei setzte Spezialkräfte ein, 150 Menschen demonstrierten vor dem Wohnhaus gegen die Abschiebung von K. Erst Stunden später – nachdem ein Kommunikationsteam des LKA mit K. gesprochen und die sächsische Landesdirektion versichert hatte, dass er an diesem Tag nicht abgeschoben werden würde – öffnete der schwerverletzte Mann die Tür. Als er heraustrat, stürzten sich Polizeikräfte brutal auf ihn und warfen ihn zu Boden. Das ist auf einem Video auf Twitter zu sehen.

Nach der abgebrochenen Abschiebung wurde K. mit schweren Verletzungen in die Uniklinik Leipzig eingeliefert. Dort haben ihn rund um die Uhr vier Po­li­zis­t:in­nen bewacht. Am Mittwoch hat das Amtsgericht Dresden einen Haftbefehl gegen K. erlassen. Er solle die Zeit bis zum neuen Abschiebetermin in Abschiebungshaft verbringen. Seither kam es immer wieder zu Protesten in Leipzig und Dresden, zuletzt am Montag – dem Tag, an dem K. in die Abschiebehaftanstalt Dresden überführt wurde.

„Die Polizei hat Mohammad morgens das Handy entzogen, weshalb wir leider keinen Kontakt zu ihm hatten. Wir wussten lange nicht, was los ist. Für den Bruder von Mohammad, Mostafa K., konnten wir ein Besuchsrecht erwirken“, teilte Yasemin Şahin vom Unterstützernetzwerk #MohammadBleibt mit. „Die Ärztin bestätigte ihm, dass Mohammad heute entlassen wird, er machte jedoch keine Angaben, wohin er verlegt wird und wann das passieren würde. Mostafa wurde dann eine halbe Stunde lang in einem anderen Zimmer isoliert, während die Polizei Mohammad wegbrachte“, so Şahin. Die Be­am­t:in­nen hätten ihn in Zivilkleidung abgeholt, nicht in der üblichen Uniform.

Die Gesundheit steht auf dem Spiel

Der Anwalt von K., Robin Michalke, versucht jetzt eine Ausbildungsduldung für K. zu erwirken. „Wir hoffen, über einen der vielen Wege, die wir gerade gehen, die Abschiebung von Herrn K. aussetzen zu können.“ Michalke fordert eine erneute psychologische Begutachtung für seinen Mandanten. „Ich bin nicht überzeugt, dass er reise- und haftfähig ist“, teilte der Anwalt mit.

Der Sächsische Flüchtlingsrat verurteilt die Abschiebung von K. und dessen Inhaftierung in der Abschiebehaftanstalt scharf. „Wir finden es höchst kritikwürdig, eine Person, die mit dem Gedanken des Suizids und der Selbstverletzung spielt und in einer psychisch extremen Drucksituation ist, in Haft zu stecken. Eine erneute amtsärztliche Untersuchung ist dringend notwendig“, sagte Sprecherin Paula Moser der taz. „Handlungen der Ausländerbehörden und Polizei dürfen niemals dazu führen, dass Gesundheit oder Leben von Betroffenen in Gefahr geraten.“

Auch einige Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Uniklinikums Leipzig meldeten sich am Montag zu Wort. „Wir finden es traurig und beschämend zu sehen, wie vonseiten der Behörden mit Mohammad K. umgegangen wird. Wir können beim besten Willen kein Verständnis dafür aufbringen, dass ein netter Mensch und guter Nachbar so ungerecht behandelt wird. Warum reißt man einen unbescholtenen Menschen aus seinem Leben, das er sich hier in Leipzig mühsam aufgebaut hat?“, heißt es in einer Stellungnahme.

Die asyl- und migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Sächsischen Landtag, Petra Čagalj Sejdi, kritisierte das Vorgehen der Vollzugsbehörden im Fall Mohammad als rücksichtslos und unverständlich. „Bereits die mangelnde Sensibilität der Vollzugskräfte am Tag der Abschiebung hat viele Fragen aufgeworfen. Der Einsatz des SEK und die Fortsetzung der Rückführung trotz des Suizidversuches erscheinen aus unserer Sicht absolut unverhältnismäßig“, erklärte Čagalj Sejdi. „Er verdient unserer Meinung nach eine Chance, auf die er womöglich – wäre das Chancen-Aufenthaltsrecht der Bundesregierung bereits in Kraft – einen Anspruch hätte.“

Mit dem sogenannten Chancenaufenthaltsrecht will die Bundesregierung für gut integrierte Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus eine Bleiberecht-Perspektive in Deutschland schaffen – für Menschen wie Mohammad K. Demnach sollen Geflüchtete, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, nicht straffällig geworden sind und sich „zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen“, eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

Neun Bundesländer handeln bereits jetzt nach dem von der Ampelkoalition geplanten Gesetz und schützen Menschen, die unter diese Regelung fallen. Sachsen jedoch will auf das Bundesgesetz warten und lehnt vorgreifende Maßnahmen ab.

Für seinen Anwalt Robin Michalke sei Herr K. „das Paradebeispiel“ für das geplante Chancen-Aufenthaltsrecht. „Eine Vorgriffsregelung hätte ihn zweifelsfrei vor der Abschiebung bewahrt.“ Allerdings komme es mittlerweile gar nicht mehr auf eine sächsische Vorgriffsregelung an, sagte Michalke. „Das Gesetzgebungsverfahren für das Chancen-Aufenthaltsrecht ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass Herr K. Anspruch auf einen effektiven Zugang zu der sicher kommenden Aufenthaltsregelung hat.“

Diesbezüglich erklärte Juliane Nagel, Sprecherin für Migration der Linksfraktion im Leipziger Stadtrat: „Wir werben seit Juni dieses Jahres dafür, dass Sachsen geduldete Menschen im Vorgriff auf den anstehenden Chancen-Aufenthalt vor Abschiebungen schützt.“

Sie könne es nicht nachvollziehen, dass ein Mensch, der seit „so langer Zeit“ in Leipzig wohnt, abgeschoben werden soll. „Ich appelliere an die Leipziger Ausländerbehörde, an Ober- und Ordnungsbürgermeister, jetzt Wege in ein Bleiberecht zu finden und alle Kräfte in eine Lösung zu setzen. Ich erinnere auch daran, dass der Stadtrat den Oberbürgermeister im März mit großer Mehrheit beauftragt hat, mehr Chancen für Bleiberechte von Geflüchteten zu erwirken.“

Das sächsische Innenministerium teilte auf Anfrage mit, dass es von einem Vorgriff auf das Chancenaufenthaltsrecht absehe, da bisher „nur ein Gesetzentwurf“ vorliege. „Der momentane Gesetzentwurf hat keine rechtliche Bindungswirkung“, sagte ein Sprecher der taz. Solange das Gesetz nicht verabschiedet wurde, sei das Innenministerium nicht befugt, den Ausländerbehörden anzuweisen, „von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bei vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern abzusehen“. Darauf, dass neun Bundesländer aber genau das getan haben und schon heute Menschen schützen, die von dem Gesetz profitieren würden, ging das sächsische Innenministerium nicht ein.

In Bezug auf die brutale Vorgehensweise der Polizei vor der Wohnung von Mohammad K. sagte das Innenminsterium: „Wir kennen die Videoaufnahme und verstehen, dass die Aufnahmen für Unbeteiligte verstörend wirken können. Aber nach Würdigung der Gesamtumstände war für die Beamten vor Ort der Ermessenspielraum, anders zu handeln, stark eingeschränkt.“ Die Polizei Leipzig teilte diesbezüglich mit, die Maßnahme habe darauf abgezielt, „weitere eigen- und fremdgefährdende Handlungen der Person zu unterbinden und den Betroffenen der ärztlichen Versorgung zuzuführen“.

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