Konflikt Armenien-Aserbaidschan: Bemühungen um Frieden
Seit Mittwochabend ist laut Armenien eine Waffenruhe zwischen den Kaukasus-Staaten in Kraft. Die Bestätigung Aserbaidschans steht aber noch aus.
Zuvor hatte der Sekretär des armenischen Sicherheitsrates, Armen Grigorjan, im Fernsehen bekannt gegeben, dass unter Beteiligung der internationalen Gemeinschaft eine Waffenruhe zwischen Armenien und Aserbaidschan vereinbart worden sei. Diese sei um 20 Uhr am Mittwochabend in Kraft getreten. Eine Bestätigung aus der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku gab es zunächst nicht, dafür aber die Ankündigung, die Leichen von rund 100 getöteten armenischen Soldaten an Jerewan zu übergeben.
In der Nacht zu Dienstag waren zwischen den beiden verfeindeten Südkaukasusrepubliken erneut schwere Kämpfe ausgebrochen. Dabei sollen laut offiziellen Angaben aus Jerewan mindestens 105 Soldaten getötet worden sein. Die aserbaidschanische Seite bezifferte die Verluste in ihren Streitkräften auf 54.
Beide Staaten beschuldigen sich gegenseitig, für die Eskalation verantwortlich zu sein. Dabei hatten sich die Kampfhandlungen nicht nur auf das Grenzgebiet beschränkt. Auch Orte wie Dschermuk im Landesinneren von Armenien waren zum Ziel von Angriffen geworden.
Der Konflikt flammt seit Jahren immer wieder auf
Der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die damals mehrheitlich von Armenier*innen bewohnte Region Bergkarabach geht auf das Ende der 80er Jahre zurück. Ein mehrjähriger Bürgerkrieg forderte rund 30.000 Tote und machte Hunderttausende, vor allem Aserbaidschaner*innen, zu Flüchtlingen. Die Kontrolle über Bergkarabach sowie sieben an die Region angrenzende Gebiete übernahm Armenien.
Im September 2020 brach erneut ein Krieg aus, der 44 Tage dauerte, mehr als 6.500 Menschen kamen uns Leben. Er endete mit einem – von Russland vermittelten – Waffenstillstand und wird in Armenien als schmachvolle Kapitulation empfunden. Sowohl die sieben Rayons als auch Teile von Bergkarabach fielen an Aserbaidschan. Die Einhaltung des Waffenstillstands sollen rund 2.000 russische Soldaten sichern.
Der britische Journalist Tom de Waal sieht die Verantwortung für das Wiederaufflammen der jüngsten Kämpfe eindeutig auf der Seite Aserbaidschans: „Armenien ist derzeit schwach und hat wenig Interesse daran, den Status quo zu verletzen.“ Aserbaidschan habe begonnen, weil es dazu in der Lage sei. Auch wolle Baku die Entschlossenheit Russlands während des Scheiterns in der Ukraine testen, um zu sehen, wie stark das Engagement des Bündnisses OVKS für den Schutz Armeniens sei – jetzt und für mögliche Zukunftsszenarien, schrieb de Waal auf Twitter.
Dem Militärbündnis OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) gehören neben Russland, das die Führungsrolle inne hat, auch Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Artikel 4 des Vertrages sieht eine militärische Beistandspflicht vor, sollte die territoriale Integrität eines Mitgliedsstaates verletzt werden. Im Zuge der Kämpfe 2020 hatte Armenien bereits um militärischen Beistand ersucht, das OVKS war jedoch untätig geblieben.
Die Türkei unterstützt Aserbaidschan
Mittlerweile ist eine Beruhigung der Lage im Südkaukasus auch Gegenstand verstärkter diplomatischer Bemühungen. Neben der EU, Frankreich, Russland und dem Iran hat auch die Türkei zu einem Ende der Kampfhandlungen aufgerufen. Diese werden auch Thema von Gesprächen zwischen dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan und Russlands Präsidenten Wladimir Putin bei einem Treffen der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ (SOZ) am kommenden Freitag in der usbekischen Stadt Samarkand sein, wie der russische Dienst der BBC berichtet. Die Türkei unterstützt in diesem Konflikt Aserbaidschan.
Kremlsprecher Dmitri Peskow kündigte an, dass eine Abordnung des OVKS an diesem Donnerstag nach Jerewan reisen wolle. Das Onlineportal Vlast.kz zitiert den Außenminister Kasachstans, Muchtar Tleuberdi, mit den Worten, die Entsendung von OVKS-Friedenstruppen stehe derzeit nicht auf der Tagesordnung.
Dabei hatte Kasachstan im vergangenen Januar selbst Streitkräfte des OVKS ins Land geholt, um Massenproteste niederschlagen zu lassen. Dabei waren, offiziellen Angabe zufolge, 225 Menschen getötet und über 1.000 verletzt worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Extremwetter und Klimakrise
Köln wird so wie heute San Marino