Referendum in Kasachstan: Tokajew muss liefern
Kasachstans Machthaber wurde durch den Sieg beim Referendum gestärkt. Doch auf schnelle Veränderung hofft die Bevölkerung wahrscheinlich vergebens.

Präsident Tokajew (hier im Mai mit Amtskollegen Erdogan) kann sich gestärkt fühlen Foto: Burhan Ozbilici /ap/ dpa
Der kasachische Souverän hat geliefert: Knapp unter 70 Prozent der Wähler*innen sind am Sonntag an die Urnen gegangen, und rund 77 Prozent der Wählenden haben für eine Rundumerneuerung der Verfassung gestimmt. Mit dieser Übung in direkter Demokratie, der keine breite Debatte in der Zivilgesellschaft voraus ging, hat Präsident Kassym-Schomart Tokajew zwei seiner wichtigsten Ziele erreicht: Zum einen hat sich der erste Mann im Staat Legitimität verschafft. Außerdem braucht Tokajew die nach den Massenprotesten vom Januar.
Bislang sind noch nicht einmal die genauen Opferzahlen bekannt, geschweige denn die Namen der Getöteten. Auch die Verfahren gegen Teilnehmer*innen an den Protesten sind mit dem Begriff „intransparent“ noch freundlich umschrieben. Zum anderen gibt die Volksabstimmung Tokajew weitere Mittel an die Hand, um seinen langjährigen auto- und kleptokratischen Amtsvorgänger Nursultan Nazarbajew endgültig politisch kaltzustellen und ob des Entzuges der Immunität auf Lebenszeit vielleicht sogar auch noch juristisch zur Verantwortung zu ziehen.
Doch ob dieses Referendum wirklich zum Auftakt für grundlegende Reformen und die so vollmundig angekündigte „Zweite Republik Kasachstan“ werden wird, darf bezweifelt werden. Denn nach wie vor sind wichtige Vollmachten in der Hand des Präsidenten konzentriert. Dazu gehört sein Recht, Gouverneure und Bürgermeister zu ernennen. Wie das mit der angekündigten Dezentralisierung der Macht zusammengehen soll, erschließt sich nicht wirklich. Auch die Einführung des Postens einer Ombudsperson klingt gut. Dieses Amt gibt es auch in Russland, was offensichtlich kein Hinderungsgrund für schwere Menschenrechtsverletzungen ist.
Wie auch immer die weitere Entwicklung verlaufen wird: Jetzt muss auch Tokajew liefern. Dabei dürfte die Kasach*innen vor allem ihre wirtschaftliche Situation umtreiben. Noch immer leidet der zentralasiatische Staat unter den Nachwehen der Corona-Pandemie. Jetzt machen sich auch die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland, mit dem Kasachstan in der Eurasischen Wirtschaftsunion verbunden ist, bemerkbar.
Wie die Ereignisse im Januar gezeigt haben, ist die Geduld der Menschen in Kasachstan endlich. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das jetzt anders ist.
Referendum in Kasachstan: Tokajew muss liefern
Kasachstans Machthaber wurde durch den Sieg beim Referendum gestärkt. Doch auf schnelle Veränderung hofft die Bevölkerung wahrscheinlich vergebens.
Präsident Tokajew (hier im Mai mit Amtskollegen Erdogan) kann sich gestärkt fühlen Foto: Burhan Ozbilici /ap/ dpa
Der kasachische Souverän hat geliefert: Knapp unter 70 Prozent der Wähler*innen sind am Sonntag an die Urnen gegangen, und rund 77 Prozent der Wählenden haben für eine Rundumerneuerung der Verfassung gestimmt. Mit dieser Übung in direkter Demokratie, der keine breite Debatte in der Zivilgesellschaft voraus ging, hat Präsident Kassym-Schomart Tokajew zwei seiner wichtigsten Ziele erreicht: Zum einen hat sich der erste Mann im Staat Legitimität verschafft. Außerdem braucht Tokajew die nach den Massenprotesten vom Januar.
Bislang sind noch nicht einmal die genauen Opferzahlen bekannt, geschweige denn die Namen der Getöteten. Auch die Verfahren gegen Teilnehmer*innen an den Protesten sind mit dem Begriff „intransparent“ noch freundlich umschrieben. Zum anderen gibt die Volksabstimmung Tokajew weitere Mittel an die Hand, um seinen langjährigen auto- und kleptokratischen Amtsvorgänger Nursultan Nazarbajew endgültig politisch kaltzustellen und ob des Entzuges der Immunität auf Lebenszeit vielleicht sogar auch noch juristisch zur Verantwortung zu ziehen.
Doch ob dieses Referendum wirklich zum Auftakt für grundlegende Reformen und die so vollmundig angekündigte „Zweite Republik Kasachstan“ werden wird, darf bezweifelt werden. Denn nach wie vor sind wichtige Vollmachten in der Hand des Präsidenten konzentriert. Dazu gehört sein Recht, Gouverneure und Bürgermeister zu ernennen. Wie das mit der angekündigten Dezentralisierung der Macht zusammengehen soll, erschließt sich nicht wirklich. Auch die Einführung des Postens einer Ombudsperson klingt gut. Dieses Amt gibt es auch in Russland, was offensichtlich kein Hinderungsgrund für schwere Menschenrechtsverletzungen ist.
Wie auch immer die weitere Entwicklung verlaufen wird: Jetzt muss auch Tokajew liefern. Dabei dürfte die Kasach*innen vor allem ihre wirtschaftliche Situation umtreiben. Noch immer leidet der zentralasiatische Staat unter den Nachwehen der Corona-Pandemie. Jetzt machen sich auch die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland, mit dem Kasachstan in der Eurasischen Wirtschaftsunion verbunden ist, bemerkbar.
Wie die Ereignisse im Januar gezeigt haben, ist die Geduld der Menschen in Kasachstan endlich. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das jetzt anders ist.
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Kommentar von
Barbara Oertel
Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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