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Fischsterben an der OderJahre zur Erholung nötig

Experten zeigen sich optimistisch nach dem Fischsterben. Polnische und deutsche Behörden suchen jetzt nach der Ursache für den hohen Salzgehalt.

Nicht nur die Fischer hoffen, dass sich die Wasserqualität der Oder bald wieder erholt Foto: Christian Thiel

Nach dem massiven Fischsterben in der Oder könnte sich der Bestand in zwei bis drei Jahren wieder erholen. Zu hoffen sei, dass hinter dem Fischsterben eine nur kurzfristig giftige Sub­stanz stehe und sich diese nach und nach verdünne, sagte Lars Dettmann vom Landesfischereiverband Brandenburg-Berlin. Dann könnte sich das Leben im Fluss erholen, so Dettmann. Mit dem Nachweis der giftigen Algenart Prymnesium parvum in der Oder scheint zwar nun der Grund für das massive Fischsterben gefunden zu sein. Viele Ex­per­t:in­nen vermuten jedoch, dass das extreme Wachstum der Goldalge mit einer enormen Salzfracht im Fluss zusammenhängt. Wie das Salz in den Fluss gelangte, versuchen Behörden auf deutscher wie polnischer Seite derzeit zu ermitteln.

Die polnische Wasserbehörde gab am Dienstag bekannt, dass mehr als 280 illegale Abwasserabflüsse in die Oder entdeckt werden konnten. Es werde derzeit geklärt, von wo aus diese Leitungen in die Oder gelegt wurden und wem sie gehören, sagte der designierte neue Chef der Behörde, Krzysztof Wos. In 57 Fällen sei bereits die Polizei in Kenntnis gesetzt worden.

In einer Sondersitzung des Umweltausschusses des Brandenburger Landtags in Potsdam informierten am Dienstag die Wissenschaftler Christian Wolter und Jan Köhler des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) die Abgeordneten über die Ursachen des Fischsterbens. Ver­tre­te­r:in­nen des betroffenen Landkreises Märkisch-Oderland, des Landesfischereiverbands Brandenburg/Berlin sowie von Naturschutzverbänden schilderten den desolaten Zustand des Ökosystems.

„Wir haben eine große Forderung“, sagt Dettmann vom Landesfischereiverband zur taz. „Wir brauchen ein öffentlich einsehbares Kataster, in dem vermerkt ist, wer die Genehmigung zum Einleiten von Abwasser hat.“ Ein Kataster ist ein Register der Landstücke und Gebäude einer Region. Darin soll laut Dettmann ablesbar sein, wann und wie viel von welcher Substanz eingeleitet wird. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) räumte indes ein, dass der internationale Warn- und Alarmplan für die Oder dringend überarbeitet werden müsse. Der bisherige Plan sei zu Havarie-orientiert.

Alge bildet sich von selbst zurück

Der Umweltausschuss des Bundestages soll am Mittwochvormittag zum Fischsterben an der Oder tagen. „Wichtig ist jetzt, Verursacher der Katastrophe ausfindig zu machen und den Fluss umfassend zu sanieren und zu renaturieren“, sagt Jan-Niclas Gesenhues, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Außerdem müsse „der geplante Ausbau der Oder unterbleiben. Weitere Schädigungen kann dieses massiv getroffene Ökosystem jetzt nicht verkraften.“ Die Versuche von Umweltverbänden, die begonnenen Bauarbeiten auf polnischer Seite zu stoppen, scheiterten bisher.

Eine aktive Bekämpfung der Giftalge, etwa durch ein Gegengift, findet derzeit nicht statt. Die letzten Proben stammten von Montag und zeigten bereits einen leichten Rückgang der wuchernden Alge um etwa 10 bis 20 Prozent, sagt Biologe Jan Köhler vom Leibniz-Institut bereits vor der Sondersitzung zur taz. Weniger Licht und etwas kühlere Temperaturen sorgten dafür, dass die Giftalge sich von selbst zurückbilde. „Ein stärkerer Durchfluss würde die Alge ausspülen“, sagt Köhler. Aktuell führt die Oder allerdings extremes Niedrigwasser. Die Region leidet unter Trockenheit.

„Normalerweise sorgen auch Muscheln dafür, dass die Alge aus dem Wasser gefiltert wird“, sagt Köhler, „aber das findet ja nun auch nicht statt.“ Neben den Fischen verendeten auch zahlreiche Kleinlebewesen wie Muscheln und Schnecken. Bis zum Samstag wurden in Polen und Deutschland rund 200 Tonnen Fischkadaver eingesammelt.

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3 Kommentare

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  • Ich frage mich wie dieser Staat uns Bürgern bei einem Chemie- Biounfall überhaupt helfen könnte, wenn man selbst nach Wochen des Fischsterbens noch nicht einmal die Ursache mit 100% Sicherheit kennt.

  • "dass hinter dem Fischsterben eine nur kurzfristig giftige Sub­stanz stehe"

    Heißt: Sie wissen immer noch nicht, welche Substanzen da gewirkt haben.

    Aber sie sind wenigsten optimistisch. Warum?

    Wahrscheinlich haben die beauftragten Labore in England nicht geliefert, diese Luschis ... :-)

  • Zwischen Oder und Rhein wird immer was sein, von Schwedt bis zur Pfalz oft allzuviel Salz, ergo sind erloschen, die Leben von Fischen. Eins vergesse ich nie, die Weißsagung der Cree: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man (mensch) Geld nicht essen kann".



    Dr. Ernst Paul Dörfler hat einmal im Hörfunk bei SR2 'Fragen an den Autor' zum Besten gegeben, wie die Behörden in der DDR mit seinen Ergebnissen u.a. zur Wasser-/Bodenqualität umgingen. Offenbar war der Ofen oder der Panzerschrank Endstation für unbequeme Wahrheiten zu Messwerten der Umwelttoxizität. Sie waren als geheim eingestuft, aus Staatsräson. So kam es zu seinem ersten Buch (1986 mit Marianne Dörfler), das ein Meilenstein der Umweltbewegung in der DDR sein sollte, rasch ausverkauft nach 3 Tagen. "Zurück zur Natur?" der Titel, die Komplexität der Schnittstellen zwischen Kultur und Industrie mit der Natur war unübersehbar sehr gefährlich geworden.



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    taz.de/Umweltschut...nde-Aera/!5685032/



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    Das Problem Leben im Fluss war westlich der Elbe ebenso evident:



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    taz.de/Noch-ist-di...erleiche/!1756597/



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    Durch die Wiedervereinigung gab es an einer Schnittstelle entscheidende Veränderungen:



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    taz.de/Zusammenbru...ie-Weser/!1608928/



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    Nach längerer Beobachtungszeit kommt nach dem akuten Déjà-vu auch Unmut auf, dass sich Vorgänge seit vielen Dekaden wiederholen und die Ursachen offensichtlich fortbestehen:



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    taz.de/Kleintierto...geklaert/!1861211/



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    Eine mit robusteren Möglichkeiten ausgestattete transnationale Umweltschutzbehörde und ein laufendes Monitoring der Gewässerqualität tun not.