Noch ist die Ems keine Wasserleiche

■ Aber Atomkraftwerke, Landwirtschaft und Industrie haben ihr zugesetzt / Jetzt auch noch Giftmüll aus dem Krieg

Die Ems, so wurde behauptet, fließe nicht so richtig durchs Bewußtsein der öffentlichen Meinung. Zu sehr sei sie ein abseitiger Fluß, irgendwo links oben am Rand der Deutschlandkarte. Das wird sich ändern. Denn der beschauliche Strom, der zumeist nur als beliebte Quer- und Längsverbindung in Kreuzworträtseln von sich reden machte, geriet in der vergangenen Woche in die Schlagzeilen.

Trübe Emsfluten hatten eine Fracht ans Tageslicht gespült, die der Zweite Weltkrieg als hochbrisante Altlast zurückließ: Hochgiftigen „weißen“ Phosphor, der, mit Bomben und Granaten verschossen, Dörfer und Städte in Flammen setzte und dessen Dämpfe beim Einatmen lebensgefährliche Verletzungen hervorriefen. Ganze Waffenarsenale und Munitionsdepots verschwanden bei Kriegsende in den emsländischen Moorsümpfen und im Wasser der Ems.

Die gefährlichen Brocken des chemischen Elements, die jetzt vor der Listruper Schleuse dümpelten, sind, das darf vermutet werden, erst die Spitze eines Eisberges. Die alarmierten Behörden reagierten denn auch rigoros: Bade-, Angel-, Durchfahrts- und Wasserentnahmeverbot in den gefährdeten Streckenabschnitten und Warnung vor dem Verzehr hier gefangener Fische.

Die vergeblichen Such- und Tauchaktionen nach weiteren Giftgranaten, das Zurückführen des abgeflauten Fischsterbens auf Sauerstoffmangel und die inzwischen erfolgte Aufhebung der verfügten Beschränkungen sind kein Indiz dafür, daß die Ems ihre einstmals gerühmte Natürlichkeit zurückgewonnen hat.

Das „Flußporträt“, vor sechs Jahren vom damaligen „Natur„ -Redakteur Claus-Peter Lieckfeld und vom heutigen Hochschullehrer für Geographie an den Universitäten Hamburg und Oldenburg, Dr. Jürgen Hasse, gezeichnet, stufte schon damals den behäbigen Flachlandstrom als eine „Schönheit mit Fehlern“ ein. die

Ems, so die Autoren, sei zwar keine „Wasserleiche“ wie die Elbe und der untere Main, aber Vorfluter, Entwässerungsrinne, Kernkraftwerkskühler, Schadstoffverdünner, Freizeitgestalter und Industrieerwartungsregion.

Tatsächlich ist der rund 330 Kilometer lange Flußlauf von seiner Quelle nördlich von Paderborn bis zu seiner Einmündung in den Dollart bei Emden Träger gewaltiger Schmutz- und Salzfrachten, die, bevor sie sich in die Nordsee ergießen, die Flora und Fauna der beschaulichen Uferregionen dezimieren. „Zwischen Lingen und Hanekenfähr (rund fünf Kilometer) wurden 60 Lachse, bei Papenburg 81 und in der Aa bei Plantlünne 50 Lachse gefangen“, meldete am 12. Juni 1890 eine emsländische Zeitung. Und weiter: „Dieselben waren durchweg sieben bis 15 Pfund, einzelne gar bis 30 Pfund schwer.“

Knapp hundert Jahre später tötete die Salzfracht der Preussag-Zeche Ibbenbühren die vom Fischerverein Lingen eingesetzte Lachsbrut von 10.000 Exemplaren. Und Güllefässer, die unge

niert in die Ems entleert werden und hier Algenwuchs und Sauerstoffmangel bewirken, sind Schiffsbesatzungen kein unge

wohnter Anblick.

Die Ems, begradigt und eingedeicht, als Flüssigmülldeponie mißbraucht, ausgebaggert und

untertunnelt, sei erstaunlicher weise noch intakt, resümierten 1984 die Porträtschreiber. Doch der ölkologische Vorsprung der

Ems vor allen anderen deutschen Flüssen, so Jürgen Hasse heute, drohe unterzugehen, wenn Kampfmittelgifte ins Flußwasser gerieten.

Eine weitere Verschlechterung der Wasserqualität zu verhindern, ist nach den Worten des Leitenden Verwaltungsdirektors des Landkreises Emsland, Bernd Kuckuck, Aufgabe der für die Bundeswasserstraßen zuständigen Wasser und Schiffahrtsbehörden. Doch wie? Mahlende Flußsande, Schlamm und Strömungsdruck haben in über vier Jahrzehnten die mörderische Fracht tief vergraben, kilometerweit versetzt und im Flußbett verstreut. Der Landkreis, so Kuckuck, appelliere an die Bevölkerung, vor allem bei Niedrigwasser Ausschau nach verdächtigen Stahlbehältern zu halten, und Munitionsfunde sofort zu melden. Eine verstärkte Überwachung der Wasserqualität soll künftige Verseuchungen eher erkennbar und Reaktionen schneller möglich machen, betonte Kuckuck. Mehr könne man derzeit nicht tun.

Heinrich Heeren (dpa)