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Ausstellung über die Facetten von SandKlänge aus dem Sand des Mars

Von der Ausbeutung Südafrikas bis zum Mars spannt eine Ausstellung im Hamburger Kunsthaus den Bogen. Ihr Thema: Sand, Sand und wieder Sand.

Garth Erasmus’ Sandbilder erinnern an koloniale Schaudepots Foto: Ruth May

Er nimmt tatsächlich den Bogen in den Mund. Tippt dann mit einem kleinen Stab auf die zugehörige Saite und erzeugt einen Oberton, fein wie ein Windhauch. Garth Erasmus weiß, wie man den Mundbogen spielt. Das Instrument entstand einst aus dem Jagdbogen seiner Vorfahren, der indigenen südafrikanischen Khoi-San.

Garth Erasmus, derzeit in der Ausstellung „Sand!Hū Sand“ im Hamburger Kunsthaus zu Gast, hat das erst als junger Erwachsener erfahren. Denn er ist im Südafrika der Apartheid aufgewachsen, das für Indigene eine minderwertige – und schon gar nicht über eigene Wurzeln informierende – Bildung vorsah.

In den 1980er-Jahren hat der Maler, Lehrer und Anti-Apartheids-Aktivist dann in der Instrumentenabteilung des Kapstadter Museums für Sozialgeschichte diese Bögen gesehen, „und das war eine Initialzündung“, sagt er. Es war der Moment, in dem er sich von den Normen der europäisch-kolonialistischen Kunstausbildung befreite und seine eigenen Wurzeln, Materialien, Methoden suchte.

Was dabei unter anderem herauskam: selbst gebaute Mundbögen, einige mitgebracht, weitere für die Hamburger Ausstellung aus ad hoc vorgefunden Materialien gebaut – Blechdosen, ein Kanister. Und auch wenn zur Demonstration mal kurz darauf spielt, sind sie doch explizit als Installation gedacht – eine subtile Anspielung auf den musealen Kontext, in dem er die Instrumente in Kapstadt vorfand.

Auch die niedrigen Tische, auf die er seine kleinen seriellen „Sandbild“-Blätter gelegt hat, erinnern an Schaudepots kolonialer Forschungsstationen. Der teils rötlich oder blau schimmernde Sand stammt aus jener dürren Gegend, in die die Indigenen – ursprünglich am fruchtbaren Fuß des Tafelbergs lebend – vom Apartheidsregime vertrieben wurden. Für Erasmus ist dieser Sand Anlass und Symbol für Grabungen, für das Schürfen nach Spuren der Vergangenheit, das Freilegen von Vergessenem.

Nicht bei der Wurzelsuche stehen bleiben

Teils hat er die Oberfläche der Blätter durch Noppen und Schnitte versehrt, teils Figürliches in den Sand gezeichnet: eine menschliche Silhouette, einen Unterkiefer, Tierspuren, Pflanzenteile – und natürlich den Mundbogen. Fast archaisch sieht das aus und erinnert daran, dass die Khoi-San zu den wohl ältesten Völkern der Erde zählen. Auch den Mundbogen, heute noch in Taiwan, Neuguinea und Südafrika gespielt, finden sich schon auf 15.000 Jahre alten französischen Felszeichnungen.

Stehen bleiben will Erasmus bei dieser nachholenden Wurzelsuche allerdings nicht, denn dann wäre die indigene Vergangenheit erneut – wie im Kolonialismus – von der Gegenwart abgeschnitten. Der Künstler will vielmehr ergründen, was das Vorgefundene heute bedeutet, will es weiterentwickeln.

Das heißt zum Beispiel, dass die alten Instrumente nicht auf traditionelle Musik beschränkt bleiben, sondern auch in anderen Kontexten gedeihen. Im von ihm mitgegründeten Musikaktivistentrio Khoi Khonnexion und in anderen Bands ergeben Mundbogen, Elektronik, traditionelle und Free-Jazz-Elemente eine inspirierende Mixtur.

Khoi Khonnexion war auch Teil des Musik-Theaterprojekts „Das Haus der Herabfallenden Knochen“ 2018 auf Kampnagel Hamburg, das in namibischen Volkserzählungen nach Spuren deutscher Märchen suchte. Und immer waren in der Performance die Ahnen präsent, deren Schädel von der Decke fielen, sich zu Wort meldeten, gesehen werden wollten, bevor sie endlich Ruhe gäben.

Wortmeldungen der besonderen Art hat auch Peter Thiessen erschaffen, langjähriger Gitarrist der Hamburger Band „Kante“. Im Kunsthaus verschafft er Materialien des „größten bekannten Sandhaufens, des Mars“ Gehör. In einer Art Küche platziert er Trockeneis und Wasser – auf dem Mars vorkommende Sub­stanzen – so in Schüsseln und auf Metallscheiben, dass sie das Geräusch der gefrierenden und wieder tauenden Marspole erzeugen. Da knirscht und stöhnt es in den Ausstellungsraum hinein, als wolle die Materie etwas sagen. Er wolle die Aktivität unbelebter Materie erfahrbar machen, sagt Thiessen.

Bezüglich der Definition von belebter oder unbelebter Materie hegt er nämlich große Zweifel. Ein Songtext berichtet von einem 2006 unter der Erdoberfläche Südafrikas durch den Forscher Tullis Onstott entdeckten Phänomen, das bislang noch nicht als – lebendes – Bakterium anerkannt ist.

Einstige Goldminen als ökologische Zeitbombe

Dabei wäre das wichtig, denn „was unbelebt ist, meint der Mensch hemmungslos ausbeuten zu können“, findet Thiessen. Da seien zum Beispiel die Goldminen von Witwatersrand bei Johannesburg, deren giftiger Abraum und Abwässer die Gegend bis heute beeinträchtigen. Beispielhaft nennt Thiessen in seinen Texten Cadmium und Cyan, spielt auch mit der Ambivalenz von Ethik und Ästhetik, wenn er dazwischen adrette Farbfotos der Giftlauge einblendet.

Konzipiert sei die Ausstellung „Sand!Hū Sand“ („!Hū“ bedeutet in der Khoi-San-Sprache Khoekhoegowab „Sand“) als Fortführung des erwähnten Kampnagel-Projekts, sagt Kunsthaus-Chefin Katja Schroeder. Sie habe die dort Beteiligten eingeladen, ihre Recherche-Erfahrungen für den White Cube zu übersetzen – wobei es zwischendurch Konzerte und Performances auch der namibischen Spoken-Word-Künstlerin Nesin­dano „Khoes“ Namises über bis heute aktuelle koloniale Strukturen geben werde.

Die Ausstellung

Die Ausstellung „Sand!Hu Sand“ ist bis 2.10.2022 im Kunsthaus Hamburg zu sehen.

Damit ist auch die Ausbeutung der Ressource Sand gemeint, befeuert durch Baubooms in Asien und Europa. Und da sich der rundkörnige Wüstensand nicht zur Betonherstellung eignet, baggert man Meeres-, Fluss- und Ufersand aus, saugt am Meeresgrund, trägt Strände ab. Einige Länder haben den Export von Sand bereits untersagt, aber diese Verbote werden unterlaufen, Lebensräume und Landschaften im großen Stil zerstört.

Auch das ist eine Form von Kolonialismus, der auch solche Landschaften zerstört, die Europäer gern zum Idyll verklären. Diesen andauernden kolonialen Blick hat auch die Hamburger Künstlerin und Musikerin Ruth May auf der gemeinsamen Namibia-Recherchereise beobachtet.

Um dieser gefährdeten Wahrnehmung auf die Spur zu kommen, hat sie für die Hamburger Ausstellung riesige Patchwork-Stoffbilder genäht, die wie verpixelte Landschaftsfotos aussehen. Zum kohärenten Bild zusammensetzen kann man die Aufnahmen nicht, weil man im sich weiter entfernen müsste, als es im Kunsthaus möglich ist. Man steht also viel zu dicht vor den Stoffen und kann höchstens erahnen, was sie ergeben könnten. Aber genau dieser selbstreflexive Schwebezustand ist ja gewollt.

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